# taz.de -- Berlin im Film: Ein Bild von Berlin | |
> Ein Gespräch zweier taz.berlin-Redakteur*innen über das Berlin-Bild im | |
> deutschen Film endet bei Tom Tykwer, dem Regisseur von „Babylon Berlin“. | |
Bild: Regisseur Tom Tykwer vor Kulissen von „Babylon Berlin“ in Babelsberg | |
Susanne Messmer: Der deutsche Film ist ja von den Nazis gründlich kaputt | |
gemacht worden. Statt Bilder vom wilden, urbanen Leben und neuen | |
Geschlechterrollen gab es fast nur noch biedere Heimat- und Liebesfilme. | |
Was war denn für dich der erste Film, der die raue Wirklichkeit in Berlin | |
wieder aufgenommen hat, Andreas? | |
Andreas Hergeth: Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich den allerersten | |
deutschen Nachkriegsfilm überhaupt gesehen, im DDR-Fernsehen: „Die Mörder | |
sind unter uns“ aus dem Jahr 1946, mit Hildegard Knef in der Hauptrolle. | |
Ein Trümmerfilm, gedreht in zerbombten Häusern. Es geht um die | |
Kriegstraumata, die Bilder haben sich mir eingebrannt. | |
War das ein Defa-Film? | |
Ja, aber die Defa wurde erst zwei Monate nach dessen Drehbeginn gegründet. | |
Komisch, der erste Film, den ich bewusst als Film über Berlin gesehen habe, | |
ist erst in den achtziger Jahren entstanden. | |
Na ja, ich bin halt DDR-sozialisiert, habe auch bei meinem Studium viel mit | |
der Kulturgeschichte des Ostens beschäftigt. Schon 1956 kam ein toller | |
Berlinfilm raus, „Berlin, Ecke Schönhauser“, für den Wolfgang Kohlhaase d… | |
Drehbuch geschrieben hat. Die Grenze ist noch offen, es ging um kleine | |
Ganoven, Verlierer … | |
Hooligans? | |
Na, eher um die sogenannten Halbstarken. Und deren Probleme. Ein cooler | |
Alltagsfilm, noch bevor die SED so offene Filme im Panzerschrank | |
verschwinden ließ. | |
War die DDR in Sachen Berlinfilm etwa weiter vorn? Mir fällt eigentlich als | |
erster wichtiger Berlinfilm aus dem Westen nur „Der Himmel über Berlin“ von | |
Wim Wenders aus dem Jahr 1987 ein. | |
Tja, war eben doch nicht alles schlecht. Wir hatten schon 1973 „Die Legende | |
von Paul und Paula“! Da wurden Szenen gedreht in dem Kiez, in dem ich heute | |
wohne, zum Beispiel im Volkspark Prenzlauer Berg. Das war ein toller, | |
freizügiger Film, nicht nur wegen der nackten Brüste und Männerpopos. | |
Sondern auch, weil es um geplatzte Träume geht, weil es um Menschen geht, | |
die nicht viel von sozialistischen Persönlichkeiten hatten. Heiner Carow | |
hat den Film gedreht, der hat ja dann noch „Coming Out“ gemacht. | |
Um geplatzte Träume geht es auch in „Solo Sunny“, oder? | |
Ja, den hatte ich auch noch auf der Liste. Für den hat ebenfalls Wolfgang | |
Kohlhaase das Drehbuch geschrieben. Es geht um eine Frau, die an der | |
Gesellschaft scheitert und ihren eigenen Weg geht, auch wenn sie aneckt. | |
Sie lässt sich nicht verbiegen. Ein sehr moderner Film. Prenzlauer Berg | |
kommt herrlich morbide rüber, wie zum Abriss bestimmt. War er ja damals | |
auch. | |
Kohlhaase hat auch für „Sommer vorm Balkon“ das Drehbuch geschrieben, oder… | |
Ja, 2005 war das. Da sieht der Prenzlauer Berg dann schon etwas anders aus. | |
Kohlhaase konnte den Menschen wirklich aufs Maul schauen. Diese Nike, die | |
nach der ersten Nacht dem Mann sagt: Ist ohne Frühstück! | |
Aber sie macht ihm dann ja doch Frühstück, oder? | |
Na, das ist ja das Nette daran. | |
Und dazu läuft Mireille Mathieu. | |
Na, du erinnerst dich aber sehr genau. | |
Darf ich dich nochmal auf „Der Himmel über Berlin“ ansprechen? | |
Ja, aber ich verbinde damit nicht so viel. | |
Zu künstlich? | |
Ja, zu gestelzt. Ich komme einfach aus einer anderen Filmtradition. | |
Na gut. 2005 kam neben „Sommer vorm Balkon“ noch ein anderer Berlinfilm ins | |
Kino. „Gespenster“ von Christian Petzold. | |
Hab ich gesehen und vergessen. | |
Da kommt Berlin noch ähnlich leer daher. Und die Menschen, die durch dieses | |
Berlin geistern, sind voller Hoffnungen und Trugschlüsse. | |
Hm. Wenn schon leere Stadt, dann lieber „Westler“ von Wieland Speck, von | |
1985. Der zeigt Berlin furchtbar trostlos und grau. | |
„Oh Boy“, der 2012 in die Kinos kam, geht in eine ähnliche Richtung. | |
Den mag ich! | |
Berlin als eine melancholische Stadt, in der man sich herrlich treiben | |
lassen kann. Und in der man verloren gehen kann. Ein leeres Blatt Papier. | |
Wie eine Metapher für den Berlinfilm, der ja auch kaputtgegangen ist. | |
Stimmt. | |
Und „Viktoria“? Wie findest du den? | |
Zu anstrengend. | |
Der spielt ja in der südlichen Friedrichstadt. Und da hat nicht nur Wim | |
Wenders gedreht. Hier befindet sich auch unser Arbeitsplatz. Das taz-Haus | |
steht hier. | |
Ein komischer Kiez. | |
Ja, und der irgendwie immer noch nicht richtig zusammenwächst. Da fällt mir | |
ein: Einen Film haben wir noch vergessen. | |
Wahrscheinlich ganz viele. | |
Einen aber, der ganz wichtig ist. „Lola rennt“ von 1998! | |
Warum findest du den wichtig? | |
Weil Lola durch eine Stadt rennt, bei der man nicht mehr immer weiß, ob man | |
im Osten oder im Westen ist. | |
Sie rennt über die Warschauer Brücke, oder? | |
Genau. | |
Rennt sie vom Osten in den Westen oder umgekehrt? Hab ich vergessen. | |
Macht auch nichts. „Lola rennt“ ist der Film, mit dem Tom Tykwer bekannt | |
geworden ist. | |
Der Regisseur von „Babylon Berlin“. | |
Ein Mann, der sich auskennt mit dieser Stadt. | |
23 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
Susanne Messmer | |
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