# taz.de -- Bauen im Friedrichshainer Nordkiez: Brauerei im Dornröschenschlaf | |
> Ein lange leerstehender Kinokomplex wird abgerissen. Der Neubau soll | |
> Büros und eine Kita beherbergen. Die alte Brauerei nebenan dämmert vor | |
> sich hin. | |
Bild: Abgestanden: die ehemalige Schultheiß-Brauerei an der Landsberger Allee | |
BERLIN taz | Der schmucklose 1990er-Jahre-Neubaukomplex an der Landsberger | |
Allee 52 in Friedrichshain soll abgerissen werden. [1][Das ehemalige | |
UCI-Kinogebäude] wird aktuell entkernt. „Geplant ist ein Bürokomplex mit | |
insgesamt rund 18.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche“, sagt Florian | |
Schmidt, Grünen-Baustadtrat des Bezirks. „In dem Gebäude sollen auch drei | |
Läden, eine Gaststätte (alle unter 200 Quadratmeter) und eine Kita im | |
Erdgeschoss unterkommen, wovon man sich eine Belebung erhoffen kann.“ | |
Das Bezirksamt habe sich für die Errichtung einer Kita für 25 Kinder mit | |
einer eigenen Außenspielfläche auf dem Grundstück eingesetzt. Die | |
Bereitschaft des Eigentümers, auf diese Weise einen Beitrag zur sozialen | |
Infrastruktur des Bezirks zu leisten, habe man im Ausschuss positiv | |
aufgenommen. Das neue Vorhaben soll auf der Grundlage des noch | |
rechtsverbindlichen Vorhaben- und Erschließungsplans in Verbindung mit | |
einem neuen Durchführungsvertrag realisiert werden. Die | |
Einflussmöglichkeiten des Bezirksamtes bei der Verwendung der Fläche | |
beschränkten sich laut Schmidt auf den Durchführungsvertrag, da der | |
Eigentümer geltendes Baurecht nutze. | |
„Wir befinden uns mitten im Baugenehmigungsverfahren“, sagt Jürgen Mentzel, | |
Leiter der Projektentwicklung der Centrum Gruppe, die das Grundstück 2018 | |
erworben hat. In den vergangenen Jahren hatte es etliche Eigentümerwechsel | |
gegeben. Man beginne gerade mit der Vermietung, so Mentzel, erste | |
Interessenten gebe es bereits. Terrassenartig angelegte Gebäude, viel Glas, | |
viel Grün – bis spätestens zum zweiten Quartal 2022 soll „ein | |
Gebäudeensemble mit heller Klinkerstruktur“ entstehen. Die Lücke zur | |
benachbarten Wohnbebauung – das Projekt Walden48 mit 40 Wohnungen am oberen | |
Rand des St. Georgen Friedhofs gelegen, fast fertig, aber noch nicht | |
bezogen –, wird geschlossen. | |
„Aus städtebaulicher Sicht wird der Standort aufgewertet“, meint | |
Baustadtrat Schmidt. Das Gebäude liegt in unmittelbarer Nähe des | |
Friedrichshainer Vivantes Klinikums. In dem mehrgeschossigen Gebäude wurde | |
20 Jahre lang das Multiplexkino UCI Kinowelt betrieben, bis es im August | |
2018 eingestellt wurde. UCI-Pressesprecherin Nadine Breuer sagte damals | |
gegenüber der taz, dass die Rahmenbedingungen es ihnen nicht ermöglichten, | |
das Kino erfolgreich weiter zu betreiben. Genauere Angaben dazu gibt es | |
trotz Nachfrage nicht. In dem Gebäude hatten außerdem ein Friseur, eine | |
Fahrschule und gleich zwei Stoffgeschäfte ihr Domizil. | |
## Brauerei besetzt | |
Gleich neben dem ehemaligen Kinogebäude scheint eher Stillstand angesagt: | |
Die ehemalige Patzenhofer- und spätere Schultheiß-Brauerei steht seit | |
nunmehr bald acht Jahren leer. Das Backsteingebäude aus den 1850er Jahren | |
ist denkmalgeschützt, doch es wirkt verwahrlost: Junge Birkenstämme drängen | |
zwischen den roten Backsteinmauern hervor, die Fenster sind mit Holz | |
vernagelt, auf Gehsteighöhe kleben Werbeplakate und Graffitischmierereien. | |
Teile der Brauerei wurden seinerzeit für den Bau des nun zum Abriss | |
stehenden Kino-Gebäudekomplexes geopfert und abgerissen. | |
„Der bauliche Zustand des Denkmals bedingt umgehend Maßnahmen, um es zu | |
erhalten“, meint Schmidt. Die neuen Eigentümer hätten ursprünglich die | |
Bereitschaft signalisiert, dies zuallererst zu gewährleisten. Den Worten | |
seien bisher aber keine Taten gefolgt. „Darum wird der Bezirk demnächst | |
eine Erhaltungsanordnung nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 des Berliner | |
Denkmalschutzgesetzes aussprechen, sollte der neue Projektplaner weiterhin | |
untätig bleiben.“ | |
Auch eine Ersatzvornahme durch den Bezirk selbst und die Erstattung der | |
entstehenden Kosten durch den Eigentümer sei eine Möglichkeit, die das | |
Bezirksamt nicht mehr ausschließt. Die Untere Denkmalschutzbehörde des | |
Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg möchte nach eigenen Angaben sicherstellen, | |
dass der nächste Winter an den Denkmälern keinen weiteren Schaden | |
verursacht. | |
Im letzten September war die Brauerei im Rahmen der „Tu mal | |
wat“-Aktionstage kurzzeitig besetzt worden. „Das waren nicht wir, aber wir | |
waren hoffentlich eine Inspirationsquelle“, meint Gustav Kleinschmidt. Er | |
ist Sprecher des Kunstvereins LA54, der seit Jahren mit verschiedenen | |
Kunstaktionen gegen den anhaltenden Leerstand und den zunehmenden Verfall | |
der Brauerei protestiert. | |
## Eigentümer mehrfach gewechselt | |
Von 2006 bis 2012 hatten die Künstler:innen in dem Gebäude ihre Ateliers, | |
bis das Bezirksbauamt wegen baulicher Mängel und Fehlen der Genehmigung des | |
Pächters die dortige Arbeit verbot. Zuvor waren dort 70 Künstler:innen und | |
fünf Galerien aktiv, bis zu 1.000 Besucher:innen kamen zu den | |
veranstalteten Kunstfestivals. | |
Laut einer mündlichen Vereinbarung zwischen Bezirk, damaligem Eigentümer | |
und Kunstkollektiv aus dem Jahr 2014 sollten auf dem Komplex der Brauerei | |
eigentlich Sozialwohnungen, eine Kita und ein Ort für Kunst entstehen. Die | |
Bezirksverordnetenversammlung bewilligte das Vorhaben, doch aufgrund eines | |
erneuten Eigentümerwechsels musste das Verfahren nach jahrelanger Planung | |
eingestellt werden. Die Künstler:innen von LA54 sind seitdem bemüht, | |
Kontakt mit den jeweiligen Eigentümern zu halten, die in den letzten Jahren | |
mehrfach gewechselt haben – teilweise drei Mal im Jahr. | |
Der momentane Eigentümer ist die Patzenhofer GmbH. Auskunft über das | |
aktuelle Vorhaben könne man derzeit keine erteilen, sagte Michael Alert, | |
der Projektleiter bei Investa, dem Mutterkonzern der Patzenhofer, auf | |
taz-Anfrage. Man befinde sich in Abstimmungsprozessen mit der Stadtplanung, | |
der Bauaufsicht und den Nachbarn. Investa hat die Liegenschaft im Juli 2017 | |
erworben – als sogenannten Sharedeal (Deutsch für Anteilskauf). | |
Laut Schmidt gibt es zu der geplanten Nutzung erste Entwürfe, die „noch | |
einen hohen Abstimmungsbedarf“ hätten. „Der neue Investor möchte am | |
Standort kein Wohnen mehr entwickeln, sondern entsprechend des noch | |
gültigen Vorhaben- und Erschließungsplans V-VE 2 seine Nutzungen | |
realisieren“, so der Baustadtrat. „Gegenwärtig sind hier Hotel- und | |
Büronutzungen, Sondergastronomie und die Nutzung der Trinkhalle mit | |
Biergarten vorgesehen.“ | |
## „Nichts zu verlieren“ | |
Auch hier verfüge der Bezirk über den Durchführungsvertrag nur über eine | |
geringe Einflussmöglichkeit auf die Planungen. „Das Landesdenkmalamt steht | |
dem aktuell geplanten Vorhaben positiv gegenüber.“ Das Bezirksamt setzt | |
sich nach eigenen Angaben weiterhin dafür ein, dass die früher zugesagten | |
Räumlichkeiten für den Kunstverein LA54 bereitgestellt werden. | |
Kleinschmidt gibt die Hoffnung nicht auf, dass das Künstler:innenkollektiv | |
bei den Planungen berücksichtigt wird. Und er wünscht sich, dass das | |
Grundstück für die Öffentlichkeit zugänglich wird, da der Ort voller | |
kommunaler Geschichte sei. Trotz uneingelöster Versprechen und jahrelanger | |
Verhandlungen bleibt er positiv: „Das Schöne ist ja: Wir haben nichts zu | |
verlieren.“ | |
Künstlerische Aktionen seien weiterhin möglich, und man stürze sich gerne | |
mit Kunst in den Dialog. „Ich sehe das nicht als ein verlorenes Gebäude, | |
wir können ja weitermachen, weitere zwanzig Jahre. Es geht uns um die | |
politische Auseinandersetzung, um Kommunikation und um Kunst. Wir glauben | |
nicht an das Eigentum an sich, sondern daran, dass es um die Nutzung geht.“ | |
Mit ihren Aktionen hat die LA54 immer wieder auch spekulativen Leerstand | |
und Sharedeals kritisiert. | |
Letzten Sommer hatte die LA54 die Trinkhalle besetzt und darin Zimmer für | |
Wohnungslose hergerichtet. Anfang Juli wurden sie im Auftrag der | |
Eigentümerin, der Patzenhofer GmbH, von der Polizei geräumt – | |
widerrechtlich, meint Kleinschmidt. | |
## Fester Ort für die Kunst | |
Die Beamten hätten keinen richterlichen Beschluss gehabt. „Die Polizei darf | |
da nicht einfach Tatsachen schaffen“, sagt Kleinschmidt. „Das ist schon ein | |
dickes Ding, dass die Polizei uns als Handlanger der Eigentümer geräumt | |
hat.“ In einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin fordert | |
er die Rückgängigmachung des Verwaltungsaktes. | |
Unterstützung bekommt die LA54 auch von der Kulturstadträtin Clara Herrmann | |
(Bündnis 90/Die Grünen). Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg stehe für eine | |
vielfältige Kunst- und Kulturszene, meint die Politikerin. Sie ist | |
überzeugt, dass die Kunst wieder einen festen Ort im Friedrichshainer | |
Norden braucht. „Steigende Mieten und ein hoher Verwertungsdruck treffen | |
insbesondere die freie Kulturszene. | |
Gerade die vielen nichtkommerziellen Initiativen und freien | |
Künstler*innen-Kollektive brauchen Freiräume, die sie mit ihrer Kreativität | |
prägen und entwickeln können“, sagt Herrmann. In Zeiten von Corona sehe man | |
zurzeit verstärkt, wie sehr uns Kulturorte fehlten. „Dieses bewusste | |
Erleben mit anderen können auch die vielen digitalen Angebote nicht | |
komplett ersetzen.“ Vielleicht kommt wieder Bewegung in die Landsberger | |
Allee 54. | |
19 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Henrike Koch | |
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