# taz.de -- Bericht zum Stand der deutschen Einheit: Wie ein geteiltes Land | |
> 30 Jahre nach der Wiedervereinigung liegen ostdeutsche Länder in vielen | |
> Bereichen zurück. Etwa beim Einkommen und bei der Zufriedenheit mit dem | |
> System. | |
Bild: Offene Grenze bei Travemünde und Pötenitz im Einheitsjahr 1990 | |
BERLIN taz | Am nächsten Mittwoch soll er vom Kabinett beschlossen werden, | |
der taz liegt er vorab vor: der diesjährige Bericht der Bundesregierung zum | |
Stand der deutschen Einheit. Diesmal, zum 30. Jahrestag der | |
[1][Wiedervereinigung], wird natürlich noch genauer geschaut, was in dem | |
284-Seiten-Werk drinsteht. | |
Die aufschlussreichsten Elemente des Berichts sind die Grafiken und | |
Landkarten. Mag die Sprache der Begleittexte noch so blumig sein, mögen die | |
Leistungen der Ostdeutschen noch so sehr gepriesen werden – die Zahlen | |
sprechen eine andere Sprache. | |
Noch immer liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Ostdeutschen | |
nur bei 88,8 Prozent des Durchschnittseinkommens der Westdeutschen. Die | |
durchschnittliche Wirtschaftskraft der Ostländer beträgt nur knapp 73 des | |
Bundesdurchschnitts und reicht nicht einmal an das schwächste | |
Westbundesland, das Saarland, heran. | |
Und so geht es weiter und weiter. Ob beim Bruttoinlandsprodukt, bei den | |
Steuereinnahmen oder dem privaten Einkommen, bei den Baulandpreisen, dem | |
Arbeitsvolumen, der Überalterung und natürlich bei der Arbeitslosenquote – | |
auf verblüffende Weise sehen viele der grafisch aufbereiteten Karten aus, | |
als sei Deutschland nach wie vor geteilt. Und so gut wie immer steht es in | |
Ostdeutschland schlechter. Nur beim Breitband-Ausbau geht es dem ganzen | |
Land in etwa gleich. | |
## Chance auf Veränderung vertan | |
Vorgelegt wird der Bericht in diesem Jahr vom [2][CDU-Politiker Marko | |
Wanderwitz.] Der hatte den Staatssekretärposten im | |
Bundeswirtschaftsministerium Anfang des Jahres überraschend von seinem | |
Thüringer Fraktionskollegen Christian Hirte übernommen. | |
Hirte hatte im Februar dem mit den Stimmen der AfD gewählten FDP-Thüringer | |
Ministerpräsidentenwahl Thomas Kemmerich gratuliert. Auf Twitter nannte er | |
Kemmerich einen „Kandidaten der Mitte“. Kurz darauf gab Hirte bekannt, er | |
habe auf „Anregung der Bundeskanzlerin“ um seine Entlassung gebeten. Noch | |
am selben Tag schlug Merkel dem Bundespräsidenten vor, Hirte aus dem Amt | |
des Staatssekretärs zu entlassen. Auf Hirte folgte dann Wanderwitz, dem, so | |
war zu hören, vor allem an der „inneren Einheit“ gelegen ist. | |
Spannend ist, was die BerichterstatterInnen dazu schreiben, also zu den | |
Einstellungen zum Staat und zur Demokratie. Zur Bilanz gehöre, steht da, | |
dass „nicht alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zufrieden sind und | |
der Zuspruch zur Demokratie und den Institutionen in Deutschland in den | |
neuen Ländern heute geringer ist“. Die politischen Werteüberzeugungen seien | |
eines der Felder, wo man noch deutliche Unterschiede finde. | |
In den „neuen Ländern“ sei die Grundeinstellung gegenüber Politik und der… | |
VertreterInnen grundsätzlich skeptischer; die allgemeine Unzufriedenheit | |
der Deutschen sei im Osten deutlicher spürbar. Sehen 91 Prozent der | |
Westdeutschen die Demokratie als „für Deutschland am besten geeignete | |
Staatsform“ an, seien es im Osten nur 78 Prozent. Und bei einer Befragung | |
im August 2019 sah gar genau die Hälfte aller Befragten mehr Unterschiede | |
als Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West. | |
Ein erster Schritt hin zu mehr Angleichung könnte mit etwas mehr | |
Sprachsensibilität gemacht werden. Ein Staatssekretär, der 30 Jahre nach | |
der Wiedervereinigung noch immer „Beauftragter der Bundesregierung für die | |
neuen Länder“ auf seiner Visitenkarte stehen hat, wirkt wie ein | |
Vertrauenslehrer für schwierige SchülerInnen, die nebenbei bemerkt alles | |
andere als „neu“ sind. Mit dem Bericht zur deutschen Einheit 2020 ist diese | |
Chance auf Veränderung einmal wieder vertan worden. | |
11 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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