| # taz.de -- Zukunftszentrum in Ostdeutschland: Dezentralisiert das Zentrum! | |
| > Das geplante Transformationszentrum ist eine gute Idee, um die | |
| > ostdeutsche Lebensleistung anzuerkennen. Dabei sollte in jedem | |
| > Ost-Bundesland eines stehen. | |
| Bild: Dietmar Woidke und Angela Amerkel am Mittwoch bei der Ost-Konferenz | |
| Am Mittwoch trafen sich die Ministerpräsident*innen der ostdeutschen | |
| Bundesländer zum letzten Mal mit der ersten ostdeutschen Kanzlerin der | |
| Bundesrepublik. Eine „diktatursozialisierte“ Kanzlerin ist Merkel, wie der | |
| Ostbeauftragte der Bundesregierung [1][Marco Wanderwitz] es nennen würde, | |
| zu dessen jüngsten Äußerungen über die Demokratiefähigkeit vieler | |
| Ostdeutscher zwar Nachfragen in der Pressekonferenz gestellt wurden. | |
| Im Fokus der [2][Ost-Konferenz] standen aber andere Fragen. Etwa diese, wie | |
| es denn jetzt genau weitergehen soll mit dem Zusammenwachsen von dem, was | |
| zusammen gehört. Eine Antwort darauf, neben mehr Bundesbehörden und | |
| Arbeitsplätzen im Osten, soll das „Zukunftszentrum für Europäische | |
| Transformation und Deutsche Einheit“ sein. Es soll gesellschaftliche | |
| Umbrüche erforschen, von denen der Osten Deutschlands in enormem Tempo | |
| bekanntermaßen viele erlebt hat. Die Anerkennung ostdeutscher | |
| Lebensleistung klingt hier durch und die Suche nach dem, was der Westen vom | |
| Osten lernen kann. | |
| Es gibt eine zentrale Asymmetrie im Wiedervereinigungsprozess: dass [3][der | |
| Osten] so werden solle, wie der Westen glaube, selbst zu sein. So drückte | |
| es der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk kürzlich auf der Leipziger | |
| Buchmesse aus. Dabei hat der Westen auch enorm vom Osten profitiert – etwa | |
| durch die vielen gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die den Osten verlassen | |
| haben aufgrund von Perspektivlosigkeit. Von den Top 30 DAX-Unternehmen in | |
| Deutschland hat keines seinen Hauptsitz im Osten. | |
| Und der Westen, aber eben auch andere Länder, können von den | |
| Transformationserfahrungen der Nachwendezeit lernen, vom einseitigen | |
| Elitentransfer, der bis heute stärker von Ost nach West zieht. Ein | |
| Beispiel: Von elf Exzellenzuniversitäten befindet sich eine im Osten, | |
| Berlin herausgerechnet. Auf Führungspositionen wiederum sind Ostdeutsche, | |
| wie auch Menschen mit Migrationsgeschichte, überdurchschnittlich | |
| unterrepräsentiert. Rübermachen geht also, Aufsteigen dann schon weniger. | |
| ## Es braucht viele Zukunftszentren | |
| Das Zentrum war ein zentraler Vorschlag der Kommission „30 Jahre Friedliche | |
| Revolution und Deutsche Einheit“, die Ende letzten Jahres ihren | |
| Abschlussbericht vorlegte. Darin klingt das Zentrum sehr schillernd, aber | |
| auch wie der unmögliche Versuch, alle Ansprüche auf einmal zu Ansprüche | |
| erfüllen. Das Zentrum wirkt wie die berühmte eierlegende Wollmilchsau: Von | |
| außen mit „architektonisch eigener Anziehungskraft“ aufgeladen, von innen | |
| wissenschaftliches Institut, Dialog- und Begegnungszentrum sowie | |
| Kulturzentrum in einem. Entsprechend begehrt ist das noch nicht einmal | |
| final geplante, geschweige denn finanzierte Werk. | |
| Bodo Ramelow sagte im Anschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz, dass | |
| es in Thüringen gleich Interesse von zwei Städten gäbe. Auch Michael | |
| Kretschmer rechnet mit vielen Bewerbungen aus seinem Bundesland. Jeder | |
| hätte gerne ein Stück vom Zentrumskuchen. Zu Recht. Denn eigentlich braucht | |
| es nicht ein, sondern viele Zukunftszentren für Europäische Transformation | |
| und Deutsche Einheit. Nicht nur in Chemnitz, sondern auch in Apolda und | |
| Rostock – in jedem Ost-Bundesland eines. | |
| Es gibt diesen kollektiv gefühlten Raum Ostdeutschland, aber im Alltag | |
| hockt man eben in ganz konkreten Orten. Die Ost-Nordies fühlen sich den | |
| Sachsen nicht pauschal verbunden – und andersrum. An einem Ort könnte daher | |
| das geplante Begabtenförderungswerk sitzen, an einem anderen das | |
| Forschungszentrum zur Transformation und wiederum woanders könnte das | |
| Programm für „Scientists and Artists in Residence“ stattfinden. Denn der | |
| Hauptgewinn dieses Zentrums beziehungsweise der Zentren ist ja nicht der | |
| symbolische Wert, der Beitrag zu „Anerkennung der Lebensleistung“ der | |
| Ostdeutschen. Der konkrete Gewinn wären die entstehenden Arbeitsplätze und | |
| manifeste Treffpunkte im vorpolitischen Raum. | |
| Die Dezentralisierung bringt natürlich auch Nachteile mit sich. Dem Wumms, | |
| der Strahlkraft des Projektes geht etwas verloren und die Kosten werden | |
| steigen. | |
| Merkel kündigte auf der Pressekonferenz am Mittwoch an, am 7. Juli im | |
| Kabinett darüber zu sprechen. Im Bundestag wird das Vorhaben auch Thema | |
| sein müssen. Denn es geht hier, ob nun ein Zentrum oder mehrere, um viel | |
| Geld. Geld, das nach anderthalb Jahren Coronapandemie nicht ungenutzt herum | |
| liegt. Deshalb muss die Regierung die Chance jetzt nutzen. Jetzt, da noch | |
| eine ostdeutsche Kanzlerin im Amt ist, der absehbare Schock nach der | |
| Landtagswahl in Sachsen-Anhalt noch wirkt – und bevor der Blick auf | |
| Ostdeutschland mit der Bundestagswahl wieder vereinheitlicht wird. | |
| 3 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Gottschalk | |
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