# taz.de -- Belegschaft gegen Privatisierung: Kein sicherer Hafen | |
> Letzte Rettung oder Ausverkauf: Hamburg treibt die Privatisierung des | |
> Hafens voran. Hafenarbeiter:innen sorgen sich um ihre Zukunft. | |
Bild: Trübe Aussichten am Hafen: Containerschifffahrt ist in der Krise | |
Hamburg taz | Arno Münster ist nicht gut auf die drei mächtigsten Hamburger | |
Sozialdemokrat:innen zu sprechen – seine eigenen Genoss:innen. „Die | |
haben es richtig verkackt“, sagt er. Er meint Bürgermeister Peter | |
Tschentscher, Wirtschaftssenatorin und Landesvorsitzende Melanie Leonhard | |
und Finanzsenator Andreas Dressel. An der Zukunft des Hamburger Hafens, wie | |
sie die örtliche SPD-Spitze da im Geheimen über Monate hinweg eingefädelt | |
hat, „ist nichts Sozialdemokratisches“, sagt Arno Münster, der nicht nur | |
lange Jahre selbst für die SPD Politik machte, sondern auch sein ganzes | |
Arbeitsleben im Hafen und als Betriebsrat verbrachte. | |
Was Arbeiter:innen wie Münster den „Ausverkauf des Hamburgers Hafens“ | |
nennen, bedeutet konkret, dass der SPD-geführte Senat erstmals eine | |
[1][Kooperation mit einer jener großen privaten Reedereien] eingehen will, | |
deren Einfluss auf die globalen Warenströme in den vergangenen Jahren | |
massiv zugenommen hat: Künftig soll das zentrale Hafenunternehmen an den | |
Containerterminals, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), nahezu | |
gleichberechtigt in Besitz von Stadt und der Mediterranian Shipping Company | |
(MSC) sein. | |
Deutschlands größter Seehafen ist für Hamburg identitätsstiftend, als „Tor | |
zur Welt“ vom Großbürgertum in Blankenese ebenso lokalpatriotisch bejubelt | |
wie in einstigen Arbeitervierteln wie Barmbek oder auf der Veddel. Und so | |
hat der ökonomische Interessengegensatz von Kapital und Arbeit in Hamburg | |
zwei im Hafen angesiedelte Figuren, auf den sich die politischen Lager in | |
Hamburg gern folkloristisch beziehen: Die des ehrbaren Kaufmanns und die | |
des fleißigen Hafenarbeiters. | |
Die SPD, so sehen es die Hafenarbeiter:innen, pfeift beim MSC-Deal auf | |
den fleißigen Hafenarbeiter, vernachlässigt also die Interessen der | |
lohnabhängig Beschäftigten zugunsten des großen Kapitals. Und damit treibt | |
die SPD auch noch die Privatisierung von öffentlichem Eigentum voran. Das | |
alles passt Arno Münster und vielen anderen Hafenarbeiter:innen | |
nicht. | |
## Ein Leben als Genosse | |
Lange Zeit war er die laute Stimme der stolzen und selbstbewussten | |
Hafenarbeiter:innen in der Hamburger SPD – und stand dadurch auch | |
persönlich für eine enge Bindung von Sozialdemokratie und | |
Hafenarbeiter:innen. Bei der HHLA war er seit 1976 als Arbeiter | |
beschäftigt, stieg später zum Lademeister – verantwortlich also für die Be- | |
und Entladung von Containern im Hafenterminal – am Burchardkai auf. 2006 | |
wurde er Vorsitzender des HHLA-Betriebsrats und blieb das auch, nachdem er | |
zwei Jahre später erstmals für die SPD in die Hamburgische Bürgerschaft | |
einzog. Zwölf Jahre verbrachte er im Parlament. | |
Am 13. September 2023 hat es Münster und die aktiven | |
Hafenarbeiter:innen kalt erwischt. Weder die Belegschaft noch die | |
Gewerkschaft war vor der Bekanntgabe in Kenntnis gesetzt worden. An jenem | |
frühen Morgen hatten Tschentscher, Leonhard und Dressel vor Börsenbeginn | |
kurzerhand etwas mitzuteilen – „zu einem wichtigen Vorhaben für den Hafen- | |
und Wirtschaftsstandort Hamburg“, wie es in einer kaum 60 Minuten zuvor | |
verschickten Ankündigung hieß. | |
Der Hamburger Senat sah sich zu einer drastischen Maßnahme genötigt, weil | |
die Kräne im Vergleich zu den konkurrierenden nordwesteuropäischen Häfen in | |
den vergangenen Jahren immer häufiger hochgeklappt still standen. So wenig | |
Container wie zuletzt während der Weltwirtschaftskrise 2009 waren | |
vergangenes Jahr von den großen Pötten an den Kaikanten gelöscht worden. | |
Es brauche einen potenten Partner, der viel Geld zur Verfügung hat, um in | |
die Modernisierung der Terminals zu investieren. Weil er als | |
Containerlieferant zugleich verspricht, mehr Ladung nach Hamburg zu | |
bringen, sei MSC der optimale Partner, befand der Senat. Der Preis dafür | |
sind nun schwindender öffentlicher Einfluss aufs Geschäft und die | |
langfristige Aufgabe von Werten zu einem gegenwärtig verhältnismäßig | |
niedrigen Preis. | |
## Fünf-Jahres-Garantie als Galgenfrist | |
Für nicht viel mehr als „Lippenbekenntnisse“ hält Münster auch, was der | |
Senat [2][im Hinblick auf die Belegschaft] mit MSC vereinbart hat: Die habe | |
vorerst nichts zu befürchten. Die Arbeitsplätze seien für den | |
vergleichsweise langen Zeitraum von fünf Jahren gesichert, auch an der | |
Tarifbindung werde, bis dahin, festgehalten. Und: Die Belegschaft soll | |
dauerhaft ihre vergleichsweise hohe Mitbestimmung im Unternehmen behalten. | |
Doch die Fünf-Jahres-Garantie empfinden viele Hafenarbeiter:innen als | |
Galgenfrist. „Und haben Sie schon mal davon gehört, dass man bei MSC den | |
Begriff betriebliche Mitbestimmung kennt?“, fragt Münster rhetorisch. Durch | |
ein neues Entscheidungsgremium oberhalb der HHLA-Führung, in dem die | |
Angestellten nicht vertreten sein sollen, sehen sie bereits den Weg, wie | |
MSC die Mitbestimmung umgehen will. | |
Zugetraut wird dem Unternehmen einiges: „Mafia Shipping Company“ stand | |
zuletzt auf Protestschildern während einer Demonstration gegen den Deal, | |
weil die im schweizerischen Genf sitzende MSC als straff patriarchal | |
geführtes Unternehmen gilt. Da es nicht an der Börse gelistet ist, muss es | |
nicht einmal Umsatzzahlen veröffentlichen. Selbst Experten, die die | |
Bürgerschaft zu einer Anhörung lud und die eher die Vorteile am Einstieg | |
betont hatten, beschreiben MSC als einen ziemlich „ruppigen“ Akteur im | |
Vergleich zu anderen Reedereien: Wegen seiner Größe setzt er seine | |
Interessen in den globalen Schifffahrt gewöhnlich recht rustikal durch. | |
## Wilde Streiks im Hafen | |
An jenem Kai, an dem Münster jahrelang arbeitete, kam es zuletzt wegen des | |
MSC-Deals zu einem wilden Streik: Rund 150 Arbeiter:innen stellten ihre | |
Arbeit im November spontan ein, Kolleg:innen späterer Schichten | |
erschienen nicht zur Arbeit, die Abfertigung am Terminal wurde eingestellt. | |
In der Folge wollte die Konzernleitung die stellvertretende | |
Betriebsratsvorsitzende fristlos entlassen, nahm die Kündigung aber nach | |
Protesten zurück. Schon unmittelbar nach der Ankündigung des Senats machten | |
die Hafenarbeiter:innen ordentlich Rabatz gegen den MSC-Deal: Mit | |
Bengalos marschierten sie mehrfach demonstrierend durch die Innenstadt. | |
Dass die Wut vor allem auf die SPD groß ist, [3][zeigte sich auch am | |
Neujahrstag]. Da lädt der Hamburger Bürgermeister traditionell die | |
Bürger:innen zu einem offenen Empfang ein. Doch als einige | |
Mitarbeiter:innen der HHLA in gelben Warnwesten erschienen, wurde | |
ihnen kurzerhand der Zutritt zum Rathaus verwehrt. | |
Auf so eine Idee war nicht einmal Tschentschers Vorvorgänger, der frühere | |
CDU-Bürgermeister Ole von Beust, gekommen. Der hatte 2007 die erste | |
Teilprivatisierung vorangetrieben, einige Hunderte wütende | |
Hafenarbeiter:innen tauchten daraufhin beim Neujahrsempfang im | |
Rathaus auf – doch von Beust ließ sie mit ihrem Protest gewähren. | |
## „Was weg ist, ist weg für immer“ | |
Als Arbeiter und Betriebsrat im Hafen kämpfte auch Münster seinerzeit gegen | |
diese erste Teilprivatisierung. Damals war die SPD noch in der Opposition | |
und wetterte vehement gegen die Pläne der CDU. Sie seien eine historische | |
Fehlentscheidung, beklagte der Spitzenkandidat für die damals anstehende | |
Landeswahl, Michael Naumann: „Was weg ist, ist weg für immer.“ | |
Das wird von den Kritiker:innen auch heute wieder gegen den MSC-Deal | |
angeführt. Nur nicht mehr von der SPD, obwohl doch die anstehende zweite | |
Privatisierungswelle deutlich spürbarer für die Beschäftigten werden | |
dürfte. Die Stadt behielt damals schließlich mit fast 70 Prozent der | |
Anteile ihren beherrschenden Einfluss, die Arbeiter:innen behielten | |
ihre vergleichsweise hohen Löhne und die Vertretung im höchsten | |
Betriebsgremium, dem HHLA-Aufsichtsrat. | |
Arno Münster betreffen die Folgen der Entscheidung beruflich zwar nicht | |
mehr. Reagiert hat er darauf dennoch. Eigentlich hatte er schon direkt zum | |
Ende des vergangenen Jahres seinen Parteiaustritt erklärt. Aber im | |
Kurt-Schuhmacher-Haus, in dem die Hamburger SPD ihren Sitz hat, sei Münster | |
das Ende als Genosse erst zum 31. Januar dieses Jahres bestätigt worden. | |
„Na ja, sei es drum“, sagt er gelassen. Nach knapp 43 Jahren als Mitglied | |
der SPD komme es auf den einen Monat ja nun auch nicht mehr an. „Die Partei | |
wird nach dieser Aktion ohnehin noch mehr verlieren“, sagt Münster. | |
19 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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