# taz.de -- Bedrohte linke Projekte in Berlin: Linke fordert Aufschub von Räum… | |
> Die Linksfraktion will angesichts der Pandemie Räumungen auch für Gewerbe | |
> aussetzen. Sie zielt damit unter anderem auf die Szenekneipe „Meuterei“. | |
Bild: Eine Unterstützungsdemo für die Rigaer94 vor dem Anwaltsbüro des „Ei… | |
BERLIN taz | Die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus bittet | |
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) um die Aussetzung der Räumung des | |
Kreuzberger Kneipenkollektivs Meuterei. Diese ist für kommende Woche | |
angesetzt. Ein persönlicher Brief der Fraktionsvorsitzenden Anne Helm und | |
Carsten Schatz an den Senator vom Freitag liegt der taz vor. | |
Darin bitten die Linken, die Räumung angesichts der Pandemie und der zu | |
erwartenden Proteste auszusetzen. Helm und Schatz schreiben: „Wir wissen um | |
Dein Engagement im Hinblick auf ein Moratorium für Zwangsräumungen von | |
Wohnungen und bitten Dich im Namen des Vorstandes der Linksfraktion, Dich | |
auch für ein Moratorium bei Zwangsräumungen von Gewerbetreibenden | |
einzusetzen.“ | |
Räumungen würden nicht nur ein erhöhtes Infektionsrisiko für alle | |
Beteiligten bedeuten, sondern auch eine besondere soziale Härte für die | |
Betroffenen darstellen. Gewerbetreibende stünden angesichts der Pandemie | |
vor existenziellen Notlagen. „Es würde uns sehr freuen, wenn wir als R2G | |
hier gemeinsam eine Lösung finden und bitten Dich deshalb, gegenüber den | |
Amtsgerichten dafür zu plädieren, auch von der Durchsetzung von | |
Räumungstiteln gegenüber Gewerbetreibenden abzusehen“, heißt es weiter. | |
Dirk Behrendt hat sich bisher auf taz-Anfrage nicht dazu geäußert. | |
Bislang hat die Pandemie Rot-Rot-Grün jedoch nur begrenzt davon abgehalten, | |
rechtlich erzwungene Räumungen auch durchzuführen. Im vergangenen August | |
wurde trotz Pandemie das linke Kneipenkollektiv [1][Syndikat in Neukölln] | |
geräumt. Das Hausprojekt [2][Liebig34 folgte im Oktober]. Aktuell drohen | |
dem Bauwagenplatz [3][Köpenicker Straße], dem selbstverwalteten | |
[4][Jugendprojekt Potse] und [5][der Meuterei] die Räumung. Der | |
Räumungstermin der Meuterei ist am nächsten Donnerstag, den 25. März. | |
Aktivist:innen haben angesichts dessen zum Gegenprotest und dezentralen | |
Aktionen aufgerufen. | |
## Rote Zone bereits geplant | |
Das Schreiben der Linksfraktion kommt allerdings etwas spät: Denn die | |
Polizei hat bereits bekannt gegeben, dass sie eine so genannte Rote Zone um | |
die Kneipe in der Reichenberger Straße in Kreuzberg 36 einrichten will – | |
vom 24. März, 15 Uhr, bis zum 25. März, 23.59 Uhr. Demos in Reichenberger | |
und Lausitzer Straße sollen untersagt werden; das Abstellen von Autos, | |
Fahrrädern und Müllcontainern dort verboten sein. | |
Die Polizei hatte bereits bei der Räumung der Kiezkneipe Syndikat die | |
Umgebung großräumig abgesperrt und mit einem überdimensionierten | |
Polizeieinsatz [6][mehrere Tage lang die Anwohner:innen gestresst.] | |
2.300 Polizist:innen, darunter Kletterteams, und ein Polizeihubschrauber | |
waren damals im Einsatz, um die Kneipe für das auf Steuerersparnisse | |
ausgelegte [7][Immo-Imperium von Pears Global] zu räumen. | |
Am Freitagvormittag hatten 45 stadtpolitische Initiativen Rot-Rot-Grün | |
zudem [8][in einem offenen Brief] aufgefordert, von Instrumentalisierungen | |
der Räumungen im Wahlkampf abzusehen. Insbesondere mit Blick auf den | |
[9][anhaltenden Streit um den Brandschutz in der Rigaer 94] in | |
Friedrichshain heißt es darin: „Die Befürwortung eines großen | |
Polizeieinsatzes zur Begehung der Rigaer 94 durch einen Brandgutachter | |
wurde durch das Engagement des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg als | |
das entlarvt, was es war: Ein völlig aus dem Kostenrahmen gefallener | |
Wahlkampfauftakt für Innensenator Geisel und seine Partei, die SPD.“ | |
## Urteil gegen Stadtrat Schmidt | |
Man erwarte von Rot-Rot-Grün ein klares Statement gegen dieses Handeln. | |
„Hört auf, unsere Kieze durch diese brutalen und martialischen Räumungen zu | |
attackieren und die sozialen Nachbarschaftsnetze zu zerstören. Investiert | |
stattdessen die gesparten Steuergelder in sozialen und bezahlbaren Wohnraum | |
und Treffpunkte“, heißt es in dem Brief. Unterzeichnet ist er unter anderem | |
von den Initiativen Deutsche Wohnen und Co. Enteignen, Bizim Kiez, dem | |
Bündnis Zwangsräumung verhindern, diversen Kneipen, | |
Mieter:innenbündnissen sowie Stadtteilinitiativen. | |
Das Schreiben nimmt Bezug auf ein [10][Deeskalationsmanöver von Florian | |
Schmidt] (Grüne), Stadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Er hatte im | |
Vorfeld eines geplanten Polizeigroßeinsatzes zur Brandschutzbegehung in dem | |
linken Hausprojekt kurzerhand [11][ohne Eigentümer und Polizei selbst eine | |
Brandschutzbegehung durchgeführt.] Dabei seien keine gravierenden Mängel | |
festgestellt worden. | |
Schmidt Vorpreschen hatte vor allem bei der düperten Innenverwaltung von | |
Innensenator Andreas Geisel (SPD), aber auch bei AfD, CDU und FDP für | |
ungesunden Bluthochdruck und viel Aufregung gesorgt. Innenstaatssekretär | |
Torsten Akmann (SPD) hatte Kreuzberg daraufhin mit einer „Bananenrepublik“ | |
verglichen. | |
Am Freitag musste Schmidt allerdings eine Niederlage einstecken. Ein | |
Verwaltungsgerichtsbeschluss zwingt den Bezirk, die Bewohner:innen des | |
linksradikalen Hausprojekts auch weiterhin anzuweisen, eine | |
Brandschutzbegehung im Beisein einer Eigentümervertretung zu gewähren und | |
das Betreten der Wohnungen zu ermöglichen (VG 13 L 76/21). Die Begründung | |
des Gerichts enthält deutliche Kritik am Stadtrat: „Ein Misstrauen der | |
Eigentümerin erscheine im Hinblick auf die Untätigkeit der Behörde in der | |
Vergangenheit gerechtfertigt.“ | |
Zuvor hatte der Bezirk lange keine Brandschutzbegehung durchgeführt – auch | |
weil rechtlich nicht klar war, ob es sich bei Vertreter:innen der | |
[12][britischen Briefkastenfirma Lafone Investments Limited] überhaupt um | |
befugte Vertreter:innen der Eigentümerin handele. Nun sagte das | |
Gericht, dass nicht ausgeschlossen werden könnte, dass die Behörde von | |
einer umfassenden Mängeldokumentation und -bewertung abgesehen habe. | |
Demnach bestehe weiter die Pflicht der Eigentümerin, eine fachlich | |
fundierte Überprüfung des Brandschutzes durchzuführen – und zwar mit | |
Unterstützung des Bezirksamts. | |
Die Bewohner:innen fürchten, dass die Brandschutzbegehung ein Vorwand | |
für eine Räumung sein könnte. Eigentlich war bereits für vergangene Woche | |
ein überdimensionierter Polizeieinsatz geplant. Ein bisschen Zeit hat der | |
zwischen den Stühlen stehende Stadtrat Schmidt durch seine Spontanbegehung | |
allerdings allen Beteiligten erkauft: Der Polizeieinsatz wurde vorerst | |
verschoben. Und gegen den nun ergangenen Beschluss kann der Bezirk | |
Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen. | |
Innensenator Geisel nahm das Urteil jedenfalls zum Anlass, um am | |
Freitagnachmittag erneut Schmidt scharf anzugehen: „Obwohl es um den Schutz | |
von Leben und Gesundheit von Menschen geht und es deshalb keinen | |
politischen Ermessensspielraum geben kann, versucht Florian Schmidt immer | |
noch die mit Gewalt drohenden Bewohner der Rigaer Str. 94 vor | |
rechtsstaatlichem Handeln zu schützen“, so Geisel. Der Stadtrat eskaliere | |
die Lage, „in dem er eine normale und notwendige Brandsicherheitsschau | |
politisch weiter auflade.“ Zur Eskalation des Konfliktes durch den zu | |
erwartenden martialischen Polizeieinsatz sagte Geisel nichts. | |
19 Mar 2021 | |
## LINKS | |
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[8] https://syndikatbleibt.noblogs.org/post/2021/03/19/offener-brief-an-den-ber… | |
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[12] /Streit-um-die-Rigaer-Strasse-94/!5755837 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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