| # taz.de -- Bedingungen für ÄrztInnen in Hessen: Mehr als bloß Applaus | |
| > Hessens UniklinikärztInnen fordern bessere Arbeitsbedingungen. Die | |
| > Landesregierung lehnt das ab und verweist auf die Coronakrise. | |
| Bild: MitarbeiterInnen des Uniklinikums Gießen Marburg | |
| Frankfurt taz | Die ÄrztInnen an den hessischen Universitätskliniken sind | |
| sauer. Das Land nutze die [1][Coronakrise] aus, weil zur Zeit ein Streik | |
| nicht in Frage kommt, schreiben sie in einem Brief an Ministerpräsident | |
| Volker Bouffier, CDU. In dem Brandbrief, den inzwischen mehr als 1000 | |
| Ärztinnen unterschrieben haben, fordern sie die Übernahme des | |
| Tarifvertrags, den die Tarifgemeinschaft der Länder und der Marburger Bund | |
| Anfang März für bundesweit 23 Unikliniken abgeschlossenen haben. | |
| „Während mittlerweile alle anderen Universitätsklinika auf einen fairen | |
| Kompromiss zurückblicken, lässt man uns in Frankfurt, Gießen und Marburg | |
| inmitten der Krise völlig im Stich“, heißt es in dem Brief, der mit einem | |
| Appell an Bouffier endet: „Lassen Sie Ihren anerkennenden Worten für unsere | |
| Arbeit Taten folgen!“ | |
| Der Tarifvertrag für die 2200 ÄrztInnen an den Unikliniken in Gießen, | |
| Marburg und Frankfurt ist im September letzten Jahres ausgelaufen. Aus der | |
| Tarifgemeinschaft der Länder ist Hessen ausgeschieden. | |
| Das Land geht bei den Tarifen einen Sonderweg, weil die Unikliniken in | |
| Gießen und Marburg 2006 an einen privaten Betreiber verkauft wurden. Mit am | |
| Verhandlungstisch sitzt in Hessen deshalb mit der Rhönklinikum AG ein | |
| privates Unternehmen. Die MedizinerInnen, die in Marburg und Gießen in | |
| Lehre und Forschung arbeiten, sind nach wie vor Landesbedienstete. Für die | |
| übrigen Beschäftigten dort ist aber der private Betreiber zuständig. | |
| ## Es geht vorallem um die Arbeitszeit | |
| Die Tarifgemeinschaft der Länder – ohne Hessen – hat im März mit dem | |
| Marburger Bund einen Kompromiss geschlossen. Für bundesweit 23 Kliniken | |
| außerhalb Hessens gilt: Die Gehälter steigen in drei Schritten innerhalb | |
| von 33 Monaten um insgesamt 6,5%. Wichtiger für die Ärztegewerkschaft waren | |
| Zugeständnisse bei der Arbeitszeit. Künftig werden in diesen Unikliniken | |
| auch die Arbeitszeiten der Ärzte dokumentiert; es sollen mindestens jeweils | |
| zwei Wochenenden im Monat arbeitsfrei bleiben und für die Nachtdienste | |
| wurde eine Obergrenze festgelegt. | |
| Die Ärztinnen an den hessischen Unikliniken fordern nun die Übernahme | |
| dieser Regelungen. Das Land hat in den Verhandlungsrunden aber bisher | |
| lediglich beim Gehalt ein Angebot gemacht. Für die Zeit von Oktober bis | |
| Ende 2020 sollen in einer „Zwischenlösung“ die Gehälter um 2,5 % steigen. | |
| Außerdem verspricht das Land seinen ÄrztInnen, wie allen anderen | |
| Landesbediensteten, ein Ticket für den ÖPNV. „Das Land wollte sich aus dem | |
| Kompromiss etwas für die Ärzte negatives herausschneiden, über die Fragen | |
| der Arbeitszeit aber erst in 2021 verhandeln,“ beklagt der Geschäftsführer | |
| der hessischen Ärztegewerkschaft MB, Andreas Wagner. | |
| Die taz trifft in einer Videokonferenz drei von denen, die den Brief | |
| unterzeichnet haben. Sie stellen sich als „Dr. Schmidt, Müller und | |
| Schneider“ vor. „Ärzte in Unikliniken sind extrem vom Wohlwollen ihrer | |
| Chefs abhängig“, sagt einer. „Wer in Ungnade fällt, hat Mühe, seinen | |
| Pflichtkatalog für die Facharztausbildung zu erfüllen“, sagt sein Kollege. | |
| „Wir alle haben befristete Verträge, die kann die Klinik ohne Begründung | |
| auslaufen lassen,“ ergänzt die Assistenzärztin in der Runde. Deshalb | |
| bleiben sie anonym. | |
| Gerade die Arbeitszeitregelungen, sind ihnen wichtig. Alle drei haben vor | |
| zwei Wochen das letzte freie Wochenende gehabt. „Es wird das einzige im | |
| Monat April bleiben,“ sagt einer der Ärzte. Die Assistenzärztin in der | |
| Runde berichtet über ihren Arbeitstag. „Es war viel los, wegen der vielen | |
| Corona-Patienten.“ Sie trägt noch ihre grüne Dienstkleidung und ihren | |
| Mundschutz. Seit mehr als 12 Stunden ist sie im Dienst. | |
| ## ÄrztInnen drohen mit Verhandlungscut | |
| Ihr Kollege, der in der Tarifkommission der Ärztegewerkschaft mitarbeitet, | |
| verweist auf seinen aktuellen Dienstplan. „An vier Tagen der Woche 24 | |
| Stunden, an den übrigen theoretisch acht oder neun, im Zweifel eher 12 | |
| Stunden.“ Mit der Zeiterfassung, den die Tarifgemeinschaft der Länder in | |
| dem neuen Tarifvertrag erstmals zugestanden hat, werde endlich die | |
| tatsächliche Dienstzeit dokumentiert. Laut Marburger Bund eine | |
| „Zeitenwende“. „Noch immer kommt es jetzt vor, dass Chefs ihren | |
| MitarbeiterInnen untersagen, die Überstunden auch nur aufzuschreiben,“ sagt | |
| der Arzt. | |
| Zu der Forderung, in dieser Tarifrunde über die Arbeitszeit zu verhandeln, | |
| erklärt das federführende hessische Innenministerium der taz zunächst: „Die | |
| offenen Fragen zur Dienstplangestaltung sollten nunmehr Ende 2020/Anfang | |
| 2021 weiterverhandelt werden, da eine Eilbedürftigkeit für diese | |
| Forderungen in Zeiten der Corona-Pandemie nicht gesehen wurde.“ „Eine | |
| Frechheit“, empören sich die drei betroffenen ÄrztInnen; „gerade in der | |
| Corona Krise haben die Patienten ein Recht, nicht von übermüdeten ÄrztInnen | |
| behandelt zu werden“, sagt einer von ihnen. | |
| Auf taz-Nachfrage schiebt das Ministerium nach: „Das (hessische) Tarifwerk | |
| unterscheidet in einer Vielzahl von Regelungen grundlegend von dem | |
| Tarifvertrag der Tarifgemeinschaft deutscher Länder. Eine unterschiedslose | |
| Übernahme der generalisierenden TdL-Regelungen, auch im aktuellen | |
| Abschluss, scheidet daher aus“. | |
| Außerdem sei diese Tarifvereinbarung „vor Ausbruch der Corona-Pandemie“ | |
| getroffen worden. „Die Regelungen zur Dienstplangestaltung, insbesondere | |
| zusätzliche freie Wochenenden und die Reduzierung der Bereitschaftsdienste, | |
| zum 1. Oktober 2020 vereinbart, bedürfen in Zeiten der Corona-Pandemie | |
| aufgrund der zu gewährleistenden Patientensicherheit einer intensiven | |
| Überprüfung“. Tatsächlich wurde die Vereinbarung von Marburger Bund und | |
| Tarifgemeinschaft der Länder ohne Hessen am 7. März geschlossen, als die | |
| Corona-Krise länst absehbar war. | |
| Für den Verhandlungsführer des Marburger Bundes in Hessen, Geschäftsführer | |
| Wagner ist jedenfalls klar. „Wenn es in der nächsten Runde am 15. Mai zu | |
| keinem Ergebnis kommt, läuft es mindestens auf einen cut der Verhandlungen | |
| hinaus“ | |
| 24 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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