# taz.de -- Baerbock im Nahen Osten: Zwischen Beistand und klarer Kante | |
> Die Außenministerin fordert Israel bei ihrem Besuch auf, Hilfen für Gaza | |
> zu erleichtern. Eine Besatzung des Küstenstreifens dürfe es nicht geben. | |
Bild: Hoffen auf die deutsche Außenministerin: Angehörige der Hamas-Geiseln | |
JERUSALEM taz | Drei Monate dauert der Krieg zwischen Israel und der | |
radikal-islamischen Miliz Hamas nun bereits an. Doch die Fronten werden | |
nicht weniger, sondern mehr. Die Region steht kurz vor einem Flächenbrand, | |
die internationale Unterstützung für Israel und seinen Militäreinsatz im | |
Gazastreifen schwindet zunehmend. Und was die Bundesregierung angeht, so | |
ist ihre Entscheidung sich bei UN-Resolutionen zu enthalten, die [1][vor | |
allem humanitäre Hilfe für die Palästinenser:innen fordern] und | |
Israels uneingeschränktes Recht auf Selbstverteidigung in Frage stellen, | |
schwer aufrechtzuerhalten. In der Wahrnehmung vieler arabischer Staaten, in | |
der Sichtweise Israels und in etlichen Ländern des globalen Süden. | |
Es gibt also viel zu besprechen für Bundesaußenministerin Annalena Baerbock | |
(Grüne). Auf ihrer vierten Reisen in den Nahen Osten seit dem 7. Oktober | |
2023 will sie die anhaltende Solidarität der Bundesregierung für Israel | |
zeigen, aber auch klare Botschaften senden – an die israelische Regierung, | |
an die Terrororganisation Hamas, an die Verbündeten in der Region. So ist | |
es keine Überraschung, dass bereits am ersten Tag ihrer Reise in Israel der | |
Zeitplan auseinanderfällt und es stundenlange Verzögerungen gibt. | |
[2][In Jerusalem traf Baerbock am Sonntagabend ihren neuen israelischen | |
Amtskollegen Israel Katz]. Seit Anfang Januar ist er im Amt – und nun zum | |
zweiten Mal Außenminister Israels. Gemeinsam mit Angehörigen von | |
Hamas-Geiseln empfängt er Baerbock in Westjerusalem. Sie setzen auf die | |
deutsche Außenministerin, dass sie sich bei ihren Terminen und Reisen für | |
die sofortige Freilassung der Geiseln ausspricht. Rund 130 Menschen werden | |
von der Terrororganisation noch festgehalten. Über ihren Zustand ist wenig | |
bekannt. Ob sie noch leben oder nicht, ist unklar. Je länger der Krieg | |
fortschreitet, desto mehr schwindet die Hoffnung, dass sie freikommen. Und | |
damit wächst auch die Verzweiflung der Angehörigen. | |
Nach ihrem Gespräch mit Katz wird Baerbock an diesem Abend [3][eindringlich | |
an die Hamas appellieren, die Geiseln unverzüglich freizulassen]. Und sie | |
skizziert – wie so oft – auf sehr persönliche Weise, was es bedeutet, einen | |
engen Menschen in Terrorgefangenschaft zu wissen. „Jeder, der bereit ist, | |
hinzuschauen, sich vorzustellen, es sei die eigene Familie, kann und darf | |
dazu nicht schweigen.“ Deshalb steht es für Baerbock und die | |
Bundesregierung auch außer Frage, Israel im Kampf gegen die Hamas weiter | |
beizustehen. „Wenn die Hamas diesen Kampf nicht fanatisch fortsetzen würde, | |
wäre der Krieg schon längst vorbei.“ | |
## Deutschland will mehr humanitäre Hilfe bereitstellen | |
Das ist die Brücke, die die deutsche Außenministerin nutzt, um den Blick | |
nach Gaza zu richten. Tausende sind dort in den vergangenen 12 Wochen durch | |
die Bombardierungen Israels gestorben. Die humanitäre Lage vor Ort ist | |
katastrophal. Von den rund 2,2 Millionen Palästinenser:innen ist ein | |
Großteil innerhalb des abgeriegelten Küstenstreifens auf der Flucht. Im | |
Norden Gazas sollen mehr als 50 Prozent der Häuser zerstört sein, es fehlt | |
an Lebensmitteln, an Trinkwasser, die Gefahr, dass sich Seuchen ausbreiten, | |
ist hoch. | |
[4][Und um das Leid der Menschen im Gaza zu adressieren, setzt Baerbock auf | |
die persönliche Bindung]: „Jeder, der sich vorstellt, es wären die eigenen | |
Angehörigen, kann dazu nicht schweigen.“ Die Bundesregierung sei bereit, zu | |
unterstützen – mit Geld für humanitäre Güter, ganz praktisch mit Lastwage… | |
mit Scannern für die Sicherheitskontrollen. Die Grünen-Politikerin sieht | |
allerdings auch die Bemühungen Israels, einzulenken und humanitäre Hilfe | |
zuzulassen. Doch es muss mehr passieren. | |
Es sei ein wichtiges Zeichen, dass nicht nur der Grenzübergang Rafah zu | |
Ägypten für Hilfslieferungen offen sei, sondern auch der Übergang Kerem | |
Shalom, so Baerbock. Allerdings dauert die Verteilung von Gütern viel zu | |
lange; die Kontrollen und Verladeverfahren verzögern, dass Lebensmittel, | |
Trinkwasser, Decken oder Zelte schnell zu den Menschen im Gazastreifen | |
kommen. Und wie sieht die Zukunft Gazas aus? „Gaza gehört den | |
Palästinensern, sie dürfen nicht aus Gaza vertrieben werden“, drückt sich | |
Baerbock unmissverständlich aus. Auch eine Besatzung dürfe es nicht geben. | |
Das Leid der Palästinenser:innen zu lindern und die Freilassung der | |
Geiseln aus der Geiselhaft der Hamas – das gehört für die deutsche | |
Außenministerin zusammen. Und könne auch bei Verhandlungen der Vermittler | |
aus den Golfstaaten helfen. Derzeit ist der Gesprächsfaden unterbrochen – | |
und damit gibt es praktisch keine Hoffnung auf die Freilassung der Geiseln. | |
## Verbündete pflegen, neue Allianzen | |
Die Verbündeten seit dem 7. Oktober 2023 wollen und müssen pfleglich | |
behandelt werden. Insbesondere die Golfstaaten. So gibt Baerbock | |
überraschend in Jerusalem zu, dass Saudi-Arabien im Kampf gegen die | |
jemenitische Rebellengruppe Huthis auch deutsche Eurofighter einsetzt. „Die | |
ist ein offenes Geheimnis“, so die Außenministerin. Und noch mehr sollen | |
folgen, wenn Saudi-Arabien dies einfordert. In jedem Fall will sich die | |
Bundesregierung dem nicht weiter entgegenstellen und damit auch dem Wunsch | |
der Briten nachkommen. Die Huthis, unterstützt von Iran, greifen seit | |
Wochen mit Drohnen und Raketen Handelsschiffe im Roten Meer an. Zusammen | |
mit den Angriffen der Schiitenmiliz Hisbollah auf Israel droht der Konflikt | |
im Nahen Osten weiter zu eskalieren. | |
Was konkret Baerbocks Aussage für die Ankündigung bedeutet, Rüstungsexporte | |
in Staaten zu begrenzen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, dazu | |
verhält sie sich bedeckt. In Saudi-Arabien hat sich zwar einiges getan. | |
Doch nach wie vor wird die Todesstrafe ausgeübt, werden die Rechte von | |
Frauen oder LGBTIQ-Personen eingeschränkt. Auch ob es einen Konsens darüber | |
innerhalb ihrer eigenen Partei der Grünen gibt – auch dazu gibt es keine | |
eindeutigen Aussagen. Nur das: „Die Welt ist seit dem 7. Oktober eine | |
andere geworden.“ | |
Am Montag wird Baerbock in die palästinensischen Gebiete reisen und unter | |
anderem den palästinensischen Außenminister Riad al-Maliki treffen. In den | |
vergangenen drei Monaten hat auch die radikale Siedlergewalt im | |
Westjordanland zugenommen. Baerbock verurteilte die Übergriffe scharf und | |
forderte die israelische Regierung auf, für die Sicherheit der | |
Palästinenser:innen zu sorgen. | |
8 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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