# taz.de -- Azubi über Handwerksbranche: „Die Atmosphäre ist für queere Me… | |
> Sexismus im Handwerk: Der Lübecker Tischler-Azubi Linus rechnet | |
> anlässlich seiner Freisprechungsfeier mit seiner männlich dominierten | |
> Branche ab. | |
Bild: Muss sich während der Ausbildung oft sexistische Sprüche anhören: jung… | |
taz: Linus, Sie setzen sich für Frauen und queere Personen im | |
Tischlerhandwerk ein. Warum ist das wichtig? | |
Linus: Es wird totgeschwiegen, dass es hier eine strukturelle | |
Diskriminierung gibt. Den Personen werden einfach Kompetenzen abgesprochen. | |
Es wird von Grund auf gesagt, sie seien zu schwach für den Job, oder zu | |
klein. [1][Diskriminierung wird im Handwerk überhaupt nicht aufgearbeitet]. | |
Stattdessen heißt es: „So ist eben das Handwerk – da muss man halt durch.�… | |
taz: Ihre Handwerksausbildung haben Sie nun offiziell beendet. Was wollen | |
Sie jetzt machen? | |
Linus: Ich gehe meinen Weg weiter und werde Sozialpädagogik studieren. Ich | |
fühle mich mega unwohl, in einem Umfeld zu arbeiten, das überhaupt nicht | |
offen für Reflexion ist. | |
taz: Also verlassen Sie das Tischlerhandwerk komplett? | |
Linus: Gegebenenfalls werde ich noch Projekten nachgehen, die sich mit | |
diesem Thema befassen. Mein Traum ist es, eine Plattform zu schaffen, wo | |
sich Menschen, insbesondere Frauen und queere Personen, über | |
Ausbildungsplätze austauschen können. | |
taz: Werden trotz Fachkräftemangels noch immer Interessierte aufgrund von | |
Geschlecht, sexueller Orientierung oder Hautfarbe abgelehnt? | |
Linus: Leider ja. Mehrere Frauen erzählten mir, dass sie sich bei | |
Tischlereien beworben hatten und sie teilweise direkt zurückbekommen | |
hatten: „Tut mir leid, wir nehmen keine Frauen.“ Oder auch, dass Betriebe | |
am Telefon gesagt haben, dass sie nicht ausbilden, nachdem klar war, dass | |
die bewerbende Person eine Frau ist. In der Berufsschule gab es dann später | |
Klassenkameraden, die in diesem Betrieb einen Ausbildungsplatz bekommen | |
haben und sich auch deutlich später beworben hatten. | |
taz: Sind bei denen, die es doch geschafft haben, während der Ausbildung | |
Unterschiede zu merken, wie sie behandelt werden? | |
Linus: Auf jeden Fall. Bei mir im Betrieb ist mehrmals vorgekommen, dass | |
weiblichen Auszubildenden gesagt wurde, dass sie zu schwach seien. Auch | |
dass der Arm irgendwie festgehalten und geschüttelt wurde, um zu zeigen, | |
wie schwach die Person doch ist, passierte mehrmals. [2][Das Klima mit | |
Frauen im Betrieb ist einfach ganz anders.] | |
taz: Inwiefern? | |
Linus: Die Gesellen gehen komplett anders mit den Frauen um. Es gibt dann | |
Gespräche, zum Beispiel über das Sexleben der Auszubildenden. Das hat sie | |
überhaupt nicht zu interessieren. Frauen werden auch eher nur in der | |
Werkstatt eingesetzt und nicht auf Baustellen mitgeschickt. Hier könne ja | |
etwas zu Schweres zu tragen sein. | |
taz: Also wird ihnen weniger zugetraut als Männern? | |
Linus: Total, es wird auch alles doppelt erklärt, damit sie es auch | |
wirklich verstanden haben. Und macht eine weibliche Auszubildende einen | |
Fehler, ist im Nachhinein klar, dass sie das ja nicht konnte. Wenn das bei | |
einem männlichen Auszubildenden passiert, ist das etwas total Normales, | |
einfach mal ein dummer Fehler. | |
taz: Wie weit geht die Diskriminierung? | |
Linus: Teilweise so weit, dass auch der körperliche Kontakt zu weiblichen | |
Auszubildenden mehr provoziert wird. Auch in der Schule. Die Lehrkräfte | |
stellen sich dann irgendwie näher an die Auszubildenden ran, wenn sie | |
versuchen, denen etwas zu erklären. Wird das Problem angesprochen, dann | |
wird das als lächerlich behandelt. Das sei übertrieben und einfach eine | |
falsche Wahrnehmung. | |
taz: Wie ist das konkret für queere Menschen? | |
Linus: Die Atmosphäre in der Werkstatt ist für queere Menschen einfach | |
unerträglich. Von Anfang an wird das Leben lächerlich gemacht. Es wird über | |
Sexualität und sexuelle Orientierung gelacht. Es gibt auch Begriffe, die | |
einfach in anderem Kontext benutzt werden. | |
taz: Zum Beispiel? | |
Linus: Ein transparentes Silikon wird gerne Transe genannt. Darüber wird | |
sich dann lustig gemacht. Als ein [3][queerer Mensch], der vielleicht auch | |
gerade in seiner Transition ist, ist eine Ausbildung im Handwerk einfach | |
mega hart. Man kriegt von allen Seiten zu hören, dass man nicht richtig | |
sei. Als ich mir Ohrringe stechen ließ, musste ich mir Kommentare anhören, | |
dass ich schwul sei. | |
taz: Outen Menschen sich bewusst nicht? | |
Linus: Es ist halt überhaupt nicht das Umfeld, offen darüber zu reden. Man | |
merkt sofort, wenn man in den Betrieb kommt, dass man, wenn man sich outet, | |
eine richtig beschissene Ausbildung haben wird. Vor allem gegen Schwule | |
wird viel gehatet. Irgendwie gibt es so eine Angst von Gesellen vor | |
Schwulen. Sie wollen die auf jeden Fall nicht haben, und gibt es welche, | |
werden die halt rausgeekelt. | |
taz: Setzen sich die Betriebe damit auseinander? | |
Linus: Überhaupt nicht. Und als Auszubildender traut man sich auch nicht, | |
etwas zu sagen. Man steht so weit unten und muss gucken, dass man sich mit | |
seinem Ausbildungsbetrieb gut stellt. Man ist halt total abhängig von | |
denen. Wenn man dann doch mal was sagt, dann wird das nicht ernst genommen. | |
Das wird dann, wie alles andere, weiter ins Lächerliche gezogen. | |
taz: Kann man sich extern darüber beschweren? | |
Linus: Es gibt keine richtige Beschwerdestelle. Auch keine Infos darüber, | |
die zeigen, wo man sich bei Diskriminierung im Handwerk melden kann. | |
[4][Man kann natürlich in eine Gewerkschaft eintreten, dort gibt es Hilfe.] | |
Das wird einem aber auch nicht beigebracht, da muss man selber drauf | |
kommen. | |
taz: Was braucht es für ein offenes Handwerk? | |
Linus: Das Bewusstsein in den Betrieben fehlt einfach komplett. Es braucht | |
Betriebe, die von sich aus offen sagen: Wir können Frauen und queere | |
Personen ausbilden, und das in einem sozialen Umfeld, in dem angesprochen | |
werden kann, wenn man sich unwohl fühlt. Und es muss Konsequenzen geben. Es | |
ist so krass, dass es einfach nicht möglich ist, als Frau einen ganz | |
normalen Berufsweg zu gehen. Es braucht Anlaufstellen und Betriebe, die da | |
mithelfen. | |
28 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Leo Schurbohm | |
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