# taz.de -- Ausstellung von Michel Houellebecq: Gemeinsam Pornos schauen | |
> Auf 2.000 Quadratmetern leuchtet sich Michel Houellebecq in Paris an und | |
> aus. Eine narzisstische Nabelschau mit Humor. | |
Bild: Ziemlich aktuell: Michel Houellebecqs Sicht auf Europa | |
Vielleicht ist das alles nur eine Farce. Vielleicht sitzt Michel | |
Houellebecq gerade in seiner Siebziger-Jahre-Hochhauswohnung im 13. | |
Arrondissement von Paris und gratuliert sich selbst zu diesem Coup: | |
„Michel“, grummelt er zufrieden und schaut runter auf das Grau in Grau des | |
Pariser Chinatown, „du hast es wieder einmal geschafft. Du hast dich über | |
alle lustig gemacht, und sie sind dir dafür auch noch dankbar.“ | |
Jean de Loisy etwa, der Direktor des Palais de Tokyo, dem Pariser Museum, | |
das seit vergangener Woche Houellebecqs erste große Ausstellung mit dem | |
Titel „Rester Vivant“ zeigt, lobt den weltbekannten Schriftsteller als | |
„wahren Künstler“. In fast schon obsessiver Manier spricht er von | |
Houellebecqs Arbeitsgewohnheiten (Aufstehen um Mitternacht, arbeiten bis 4 | |
Uhr, wieder aufstehen gegen 11 Uhr, bisschen arbeiten, dann Freizeit und | |
schlafen), als würden diese Arbeitszeiten den sehr großzügigen Platz, den | |
man dem Autor eingeräumt hat – 18 Räume, 2.000 Quadratmeter –, irgendwie | |
erklären. | |
Und das Magazin Les Inrocks, dessen Literaturchefin Nelly Kaprièlian | |
bekanntlich eine große Freundin und Bewunderin des Autors ist, hat | |
Houellebecq gleich das ganze Heft zur Verfügung gestellt, um sich selbst | |
ein bisschen an- und auszuleuchten. Schon auf dem Cover schaut uns der | |
kleine Mann mit dem schütteren Haar, der etwas überalkoholisiert | |
aussehenden großen Nase und den eng beieinander liegenden Augen mit | |
teuflischen Blick (von unten hoch) entgegen, so als müssten wir uns jetzt | |
vor seinen neuesten Erkenntnissen fürchten. | |
Im Heft spricht er mit Emmanuel Macron, dem neuen Politstar Frankreichs, | |
einer TV-Moderatorin und dem belgischen Schauspieler Benoît Poelvoorde, der | |
ihm über viele Zeilen versichert, er sei ein toller Schauspieler, Sänger, | |
Sportler, überhaupt einfach toll, worauf Houellebecq nur antwortet: | |
„Sprechen wir doch lieber von dir. Hast du ,Plattform' (einer seiner frühen | |
Romane) gelesen?“ Lustig. | |
## Der „große Prophet“ | |
Die Ausstellung im Palais de Tokyo ist im Grunde wie dieser Satz: eine | |
narzisstische Nabelschau, der es an Humor nicht mangelt. So lässt er zum | |
Beispiel seine Freundin Arielle Dombasle, Frau des Philosophen | |
Bernard-Henri Lévy, in einem Filmauszug vom „großen Propheten“ schwärmen, | |
und man kommt nicht drum herum, dies als eine Anspielung auf sein eigenes | |
Image als „Seher“ zu deuten. | |
Es ist ein bisschen so, als sei die gesamte Schau eine Gegendarstellung zur | |
Le Monde-Sommerserie „Die sechs Leben des Michel Houellebecq“, die im | |
vergangenen Jahr für viel Aufregung sorgte. Die Reporterin Ariane Chemin | |
hatte sich darin auf den Weg gemacht, das Universum des Schriftstellers zu | |
ergründen, woraufhin dieser seinem gesamten Umfeld ein striktes | |
Aussageverbot erteilte. | |
Houellebecq möchte eben lieber selbst in seine Welt einführen. Und das tut | |
er im Palais de Tokyo auch sehr gut. Schon der Auftakt, eine Fotografie | |
einer Abendlandschaft mit dem Schriftzug „Il est temps de faire vos jeux“, | |
es wird Zeit die Karten auf den Tisch zu legen, wirkt klassisch | |
houellebecqsch, düster und existenziell: Es geht um alles oder nichts. | |
## Der Mensch ist kaum zu sehen | |
In den Folgeräumen zeigt der hier als Fotokünstler erscheinende Autor | |
Bilder, die die depressive Grundstimmung, die Hoffnungslosigkeit seiner | |
Romane nur allzu gut illustrieren – triste Vorstädte, Wohnhausblöcke, | |
Zäune, das Dauergrau der Banlieue, rostige Lettern des bröckelnden Europa | |
in Calais. Der Mensch ist in seinen Fotografien, die er über Jahrzehnte | |
gesammelt hat, bis auf ein paar nackte Damen kaum zu sehen, schließlich ist | |
der Autor von seinem baldigen Verschwinden überzeugt. | |
Was ihn interessiert, ist das, was bleibt, also die weite, leere Natur, | |
Berge, Schluchten, überkontrastierte Grünflächen. Erheiternd, wenn auch | |
deprimierend gemeint, ist der Raum, den Houellebecq dem Tourismus widmet, | |
bekanntlich eines seiner Lieblingsthemen: Der Boden ist tapeziert mit | |
kitschigen Tischsets, die die Schönheit der französischen Regionen rühmen, | |
aus den Lautsprechern ertönt Kindergeschrei, wir befinden uns (zumindest | |
soundtechnisch) in einer „Tropical Island“-artigen Anlage. | |
Überhaupt zeigt der „Author-Turned-Artist“ Houellebecq viel mehr als nur | |
Fotografie, es ist ein multisensorielles Erlebnis aus Klang, Foto, Video, | |
Text, in dem auch Freunde und Bekannte mitspielen dürfen. So etwa der Maler | |
Robert Combas, der Houellebecqs Gedichte aus der Sammlung „Rester Vivant“ | |
mit seinen wilden, teilweise an Dubuffet erinnernden, Farbexplosionen | |
kommentiert und illustriert. | |
Seine Exfrau steuert im fraglos rührendsten Raum der Ausstellung, der, der | |
seinem verstorbenen Hund Clément gewidmet ist, Aquarelle des gemeinsamen | |
Tieres bei. Auch Houellebecq, so lernen wir hier, kann lieben und geliebt | |
werden, auch der Mann, der so amüsant defätistische Sätze schreibt wie | |
„fürchte dich nicht vor dem Glück, es existiert nicht“, kann glücklich | |
aussehen. Und sei es nur wegen eines Hundes. | |
## Erstaunlich versöhnlich | |
Im Pariser Kunstbetrieb wurde „Rester Vivant“ mit gemischten Gefühlen | |
aufgenommen. Warum, fragte man sich, räumt man einem Autor, dessen | |
fotografisches Genie durchaus in Frage gestellt werden kann, so viel Platz | |
in einer großen Institution ein? Sollte es seine Absicht gewesen sein, | |
hiermit die Leere des Betriebs anzuklagen oder den kommenden Selbstmord der | |
zeitgenössischen Kunst zu prophezeien, so meinte man, haben das andere | |
schon früher und besser gemacht. Richtig. | |
Nur scheint das überhaupt nicht seine Intention gewesen zu sein. Vielmehr | |
trifft man in diesen vielen Räumen einen erstaunlich versöhnlichen, | |
ausnahmsweise kaum Konfrontation suchenden Mann. Nach dem Skandal von | |
„Unterwerfung“ im vergangenen Jahr, dem Hass, der Empörung, den | |
Anfeindungen und den Islamophobie-Vorwürfen, denen sich der Autor stellen | |
musste, wirkt all dies überraschend freundlich: Man schaut gemeinsam | |
Pornos, man darf rauchen, man kann Stunden in dieser Ausstellung | |
verbringen, in der der kluge Michel viele Sitzmöglichkeiten vorgesehen hat. | |
Die Depression ist gemütlich geworden. Und vielleicht ist das am Ende das | |
Einzige, das einen an dieser zum „Lebendig bleiben“ aufrufenden Schau | |
verunsichern kann. Doch wie gesagt: Vielleicht ist all dies auch wieder nur | |
ein großer houellebecqscher Spaß. | |
30 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Annabelle Hirsch | |
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