# taz.de -- Ausstellung über rechte Gewalt seit 1945: Hamburgs Baseballschläg… | |
> Bei rechter Gewalt denken viele zuerst an die 1990er-Jahre und | |
> Ostdeutschland. Dabei war Hamburg nur früher dran, wie eine Ausstellung | |
> zeigt. | |
Bild: 1986: Ein Hakenkreuz wird vom internationalen Mahnmal in Neuengamme entfe… | |
HAMBURG taz | Ins Hamburger Rathaus kommt man durch schwere hohe Türen. Die | |
Rathausdiele ist ein großer Raum mit viel Stein, ausladenden | |
Treppenaufgängen und einem kleinen Springbrunnen. Es hallt und plätschert. | |
Jedes Jahr zeigt die [1][Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur | |
Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen] hier eine Ausstellung, immer um | |
den Holocaustgedenktag am 27. Januar. Dieses Jahr geht es um „Rechte Gewalt | |
in Hamburg von 1945 bis heute“. Zum ersten Mal beschäftigt sich die | |
Ausstellung auch mit der Gegenwart. | |
„Der Ort war schon wichtig – ins Herz der Stadt“, sagt Alyn Beßmann-Ši�… | |
von der Stiftung. Sie hat die Ausstellung kuratiert, mit ihrem Kollegen | |
Lennart Onken und in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Andreas Speit, | |
[2][der auch für die taz arbeitet]. | |
„Die Ausstellung beginnt mit den Menschen, die in Hamburg ermordet worden | |
sind“, sagt Speit. Es sind fünf Namen – [3][Nguyen Ngoc Châu und Đo Anh | |
Lân], Mehmet Kaymakçı, [4][Ramazan Avcı] und [5][Süleyman Taşköprü] –… | |
fünf Geschichten. Es sei wichtig, nicht nur über Täter zu sprechen, sagt | |
der Rechtsextremismusexperte. | |
## Der jüngste Fall ist keine vier Monate alt | |
Ihre Geschichten finden sich auf Aufstellern, die um die Säulen der | |
Rathausdiele herum angeordnet sind. Besucher:innen können sich so durch | |
den Raum lesen, Jahrzehnt für Jahrzehnt, zur Geschichte rechtsextrem | |
motivierter Gewalt seit 1945 – zu den Opfern und den Tätern. | |
Der jüngste Fall ist keine vier Monate alt. Eine knappe Notiz beschreibt, | |
wie am 23. Oktober 2023 rund 40 Jugendliche in Hamburg-Harburg randaliert | |
sowie rechtsextreme und antisemitische Parolen gesprüht haben. Einem | |
Lokalsender sagte einer der Jugendlichen: „Ich wünsche mir Adolf Hitler | |
zurück. Vergast die Juden!“ | |
„Wir konnten für die Ausstellung nicht systematisch forschen, sondern haben | |
angefangen in Presseartikeln und Antifa-Archiven zu suchen und geguckt, was | |
zusammenkommt“, sagt Alyn Beßmann-Šišić. | |
Am Ende hätten sie rund 500 Fälle rechter Gewalt in Hamburg gesammelt, von | |
denen einige in der Ausstellung dokumentiert sind. Auch wenn die drei | |
Kurator:innen sich schon lange mit dem Thema auseinandersetzen, sei man | |
über die Anzahl erschrocken gewesen, sagt Beßmann-Šišić. „Als wir | |
angefangen haben, war uns nicht klar, was uns entgegenschlagen würde.“ | |
Zum Hamburger Selbstverständnis gehöre, dass man weltoffen und liberal ist, | |
sagt Andreas Speit. „Aber die Geschichte zeigt, dass es hier sehr früh | |
eine militante rechtsextreme Szene gab“. | |
Im Jahr 2019 prägte der Zeit-Redakteur Christian Bangels für die 1990er | |
nachträglich die Bezeichnung „Baseballschläger-Jahre“. Der Begriff wird | |
seither oft synonym für das Jahrzehnt in den ostdeutschen Bundesländern | |
verwendet. Überhaupt denken wohl viele beim Stichwort rechte Gewalt zuerst | |
an die 1990er, im Osten. | |
„Die Baseballschläger-Jahre fanden in Hamburg in den 80ern statt“, sagt | |
Speit, „nur eben nicht im kollektiven Gedächtnis.“ Die Ausstellung erzählt | |
von diesem Jahrzehnt, in dem es nahezu täglich Angriffe, besonders auf | |
Migrant:innen gegeben hat. „Vieles ist unter dem Thema ‚Jugendgewalt‘ | |
verbucht worden“, sagt Speit. Es gebe eine Fülle von rechts motivierten | |
Taten, „wenn man erst mal genau hinschaut“, sagt Beßmann-Šišić. | |
## Drastischer Anstieg schon vor dem 7. Oktober | |
Im vergangenen Herbst ergab eine kleine Anfrage der Hamburger | |
Linksfraktion, dass rechte Straf- und Gewalttaten im dritten Quartal 2023 | |
im Vergleich zum Vorjahr deutlich häufiger geworden sind – schon vor dem 7. | |
Oktober, dem Massaker der Hamas, nach dem antisemitische Straftaten | |
drastisch zunahmen. | |
Nur einen Tag nach der Eröffnung am 19. Januar war „bis heute“ plötzlich | |
sehr nah: Nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt demonstrierten | |
180.000 Menschen unter dem Motto „Hamburg steht auf“ gegen | |
Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke. | |
Wie die Kurator:innen auf die aktuellen Proteste gegen die AfD blicken? | |
„Erfreut“, sagt Andreas Speit. Allerdings sei es wichtig, rechte Gewalt | |
immer im Kontext zu betrachten. „Rassismus in der Mitte der Gesellschaft | |
ist immer Beschleuniger für rechtsextreme Gewalttäter.“ Daher müssten | |
Ressentiments und Rassismus der ganzen Gesellschaft in den Blick genommen | |
werden. „Wir müssen über uns selber nachdenken“, sagt Speit. | |
10 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gedenkstaetten-hamburg.de/de/ | |
[2] /!s=&Autor=speit&ExportStatus=Intern&SuchRahmen=Alle/ | |
[3] /Nahestehende-ueber-rassistische-Morde/!5703265 | |
[4] /Rechter-Mord-an-Ramazan-Avc/!5735218 | |
[5] /NSU-Prozess/!5067941 | |
## AUTOREN | |
Amira Klute | |
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