| # taz.de -- Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen: Großversuch für ein Jahr | |
| > Hartz-IV-Sanktionen werden ausgesetzt. Das bietet eine Chance, die | |
| > Sinnhaftigkeit des Systems zu überprüfen. | |
| Es ist ein unfreiwilliger Großversuch, über dessen Ergebnisse man in einem | |
| Jahr mehr wissen wird: Die Sanktionen wegen Pflichtverletzungen, also die | |
| Möglichkeit, einer [1][Hartz-IV]-Empfänger:in 30 Prozent (rund 135 Euro im | |
| Monat) vom Regelsatz zu kürzen, wenn sie oder er einen Job oder eine | |
| zumutbare Beschäftigungsmaßnahme ablehnt, sind für ein Jahr ausgesetzt. Das | |
| entsprechende Gesetz wurde am Donnerstag verabschiedet. Nur 10 Prozent vom | |
| Regelsatz, also 45 Euro, können dann gekürzt werden, wenn jemand beim | |
| Jobcenter gar nicht mehr auftaucht. | |
| Interessanterweise wurde in den Gesetzestext aber auch gleich | |
| hineingeschrieben, dass die Sanktion mit Einführung des sogenannten | |
| [2][Bürgergeldes], also voraussichtlich im Sommer 2023, wiedereingeführt | |
| wird. Es handelt sich also nur um eine begrenzte Auszeit und nicht etwa um | |
| die dauerhafte Abschaffung der Sanktionen. | |
| Nach einem Jahr wird man wissen, ob im genannten Zeitraum tatsächlich, wie | |
| von Kritiker:innen befürchtet, Hunderttausende die | |
| [3][Hartz-IV-Leistung] in Anspruch genommen, dabei den Kontakt zum | |
| Jobcenter abgebrochen und jede Maßnahme abgelehnt haben werden. Wobei man | |
| dann auch gleich evaluieren kann, welche Maßnahmen genau verweigert wurden | |
| – etwa die vielen unsinnigen Bewerbungstrainings? | |
| ## Das Ergebnis wird vermutlich undramatisch | |
| Jobcenter-Mitarbeiter:innen kommentieren das neue Gesetz im persönlichen | |
| Gespräch sehr unterschiedlich: Die einen fürchten, nun gar keine | |
| Einwirkungsmöglichkeit mehr zu haben bei Hartz-IV-Empfänger:innen, die | |
| anderen sehen die Aussetzung als Chance, aus der Rolle des Buhmanns | |
| herauszukommen, der Langzeitarbeitslose unter Druck setzt und nicht | |
| unterstützt. | |
| Womöglich wird das Ergebnis des Großversuchs relativ undramatisch sein. Es | |
| könnte sein, dass die Zahl der Hartz-IV-Empfänger:innen zunimmt, die zwar | |
| auf Aufforderung zum Jobcenter kommen, dann aber die angebotene Maßnahme | |
| oder den angebotenen Job ablehnen und dies auch begründen können. | |
| Vielleicht haben die Hilfeempfänger:innen dann aber mehr | |
| Möglichkeiten, eigene Vorstellungen einzubringen darüber, welche | |
| Weiterbildung sie gerne machen würden, womit sie sich gerne beschäftigen | |
| würden, auch wenn die wirtschaftlichen Aussichten dieser Wunschtätigkeiten | |
| erst mal nicht umwerfend sind. | |
| Am Ende des Moratoriums zeichnet sich womöglich ein sehr differenziertes | |
| Bild. Und das Klischee, dass die Aussetzung der Sanktionen Hunderttausende | |
| von schwarzarbeitenden Leistungsempfänger:innen produziere, die | |
| steuerzahlende Arbeitnehmer:innen ausnutzen, wird ins neoliberale | |
| Märchenreich befördert. Das wäre ein gutes Ergebnis. | |
| 20 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ampel-kippt-Hartz-IV-Sanktionen/!5855948 | |
| [2] /Aktivistin-ueber-Buergergeld-Plaene/!5813710 | |
| [3] /Alltag-einer-Hartz-IV-Empfaengerin/!5849112 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
| ## TAGS | |
| Ampel-Koalition | |
| Hartz IV | |
| GNS | |
| Sozialstaat | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Hubertus Heil | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Bundestag | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hubertus Heil will Hartz IV erhöhen: 50 Euro mehr im Monat | |
| Sozialminister Heil stellt eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze in | |
| Aussicht. Die Wirtschaftsexpertin Irene Becker findet den Vorstoß | |
| „nebulös“. | |
| Hartz-IV-Sanktionen: Vernarrt ins Bestrafen | |
| Die Ampel-Koalition setzt Hartz-IV-Sanktionen weitestgehend aus. Das reicht | |
| aus, um Panik vor vermeintlich Arbeitsunwilligen auszulösen. | |
| Ampel kippt Hartz-IV-Sanktionen: Jobcenter sollen netter werden | |
| Die Hartz-IV-Sanktionen wegen Pflichtverletzungen fallen bis Mitte 2023 | |
| weg. Nur noch Kürzungen von zehn Prozent sind künftig möglich. | |
| Hohe Preissteigerungen: Bundestag beschließt Entlastungen | |
| Hartz-IV-Bezieher sollen einmalig 200 Euro bekommen, arme Familien | |
| monatlich 20 Euro. Am Abend sollen noch weitere Erleichterungen auf den Weg | |
| gebracht werden. |