# taz.de -- Asylsuchende aus Russland: Mobilmachung als Fluchtgrund | |
> Die Zahl russischer Asylsuchender in Deutschland steigt. Tun die Behörden | |
> hierzulande genug, um deren Einberufung zu verhindern? | |
Bild: In einem Einberufungsbüro der russischen Armee auf der Krim | |
BERLIN taz | Als vor mehr als einem Jahr Russlands Angriffskrieg begann, | |
sind in der Folge vor allem Menschen aus der Ukraine nach Deutschland | |
geflüchtet. Doch inzwischen steigt hierzulande auch die Zahl russischer | |
Asylsuchender. Unter den fast 81.000 Erstanträgen auf Asyl, die von Januar | |
bis März gestellt wurden, machen die 2.381 russischen | |
Staatsbürger*innen zwar nur einen kleinen Teil aus. Doch ist die Zahl | |
schon jetzt beinahe so hoch wie im gesamten Jahr 2022: Damals waren es | |
insgesamt 2.851 Erstanträge, wie aus Zahlen des Bundesamts für Migration | |
und Flüchtlinge (Bamf) hervorgeht, über die am Dienstag der | |
Fachinformationsdienst Table.Media berichtete. | |
So habe es einen deutlichen Anstieg in der Altersgruppe der 19- bis | |
30-jährigen Männer und Frauen aus Russland gegeben, ebenso sei der Anteil | |
männlicher Asylsuchender aus Russland von 59 auf 64 Prozent gestiegen. Die | |
Behörde führt die Zunahme auf Moskaus Mobilmachung im [1][Krieg gegen die | |
Ukraine] zurück. Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser | |
(SPD) hatten ebenso wie viele andere deutsche Politiker*innen im | |
vergangenen Jahr betont, jenen helfen zu wollen, die nicht in Russlands | |
Krieg kämpfen wollen. Entsprechend erklärte das Bundesinnenministerium | |
(BMI): „Deserteure, die sich an Putins Krieg nicht beteiligen wollen“, | |
erhielten „im Regelfall internationalen Schutz“. | |
Deutlich schwieriger aber ist die Situation für Militärdienstentzieher, die | |
nicht als Soldat fliehen, sondern nach Erhalt ihrer Einberufung – oder | |
sogar davor, aus Sorge, danach das Land nicht mehr verlassen zu können. Im | |
Dezember erklärte das BMI auf taz-Anfrage, für diese Personengruppe | |
überprüfe das Bamf derzeit die Entscheidungspraxis. Diese Prüfung dauere | |
noch immer an, erklärte [2][das Bamf] auf Nachfrage. „Gleichwohl wird in | |
jedem Einzelfall geprüft, ob individuelle Verfolgungsgründe und damit ein | |
Schutzanspruch vorliegen.“ | |
Tatsächlich sind die Aussichten auf Asyl für russische Staatsangehörige | |
gestiegen – auf geringem Niveau. Demnach bekamen 2023 bislang rund 27 | |
Prozent der russischen Asylsuchenden Schutz. Im Vorjahr waren es rund 18 | |
Prozent. Das zeigt die bereinigte Schutzquote, die nur jene Asylgesuche | |
berücksichtigt, bei denen der Antrag inhaltlich geprüft wurde. | |
Gelöst ist das Problem der Kriegsdienstentzieher aber nicht. So berichtet | |
der Verein Connection vom Fall eines Russen, dessen Asylantrag Ende Januar | |
abgelehnt wurde. Es sei „nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon | |
auszugehen, dass der Antragsteller gegen seinen Willen zwangsweise zu den | |
Streitkräften eingezogen würde“, zitiert der Verein, der | |
Kriegsdienstverweigerer weltweit unterstützt, aus dem Bescheid. Der Mann | |
sei über 40 Jahre alt, Russland berufe aber Männer bis 27 Jahre ein. | |
Connection weist jedoch darauf hin, dass seit einer Gesetzesänderung vom | |
Mai 2022 auch Männer bis 65 eingezogen würden. | |
Zudem berichtet der Verein vom Fall eines Russen, dessen Antrag auf ein | |
Visum von einer deutschen Botschaft abgelehnt wurde. Er gehöre zu dem | |
Personenkreis, „der in Russland potentiell von der Teilmobilisierung für | |
die russischen Streitkräfte betroffen ist“, daher sei seine | |
„Rückkehrbereitschaft“ gering. „Die einen sagen, es drohe keine | |
Rekrutierung, die anderen erklären, es drohe eine Rekrutierung“, kritisiert | |
Rudi Friedrich von Connection. Und alles nur mit dem Ziel, russische | |
Kriegsdienstverweigerer „außer Landes zu halten“. | |
19 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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