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# taz.de -- Einberufung in Russland: Erst überwacht, dann an die Front
> Der russische Staat geht immer strenger vor, um Männer für das Militär zu
> rekrutieren. Kritiker sprechen bereits von einem „elektronischen Gulag“.
Bild: Rekruten der russischen Armee auf dem Weg zur Front im September 2022 in …
Kiew taz | Mit einer neuen Gesetzgebung will der russische Staat
Wehrpflichtige stärker kontrollieren und so sicherstellen, dass den eigenen
Truppen im Krieg gegen die Ukraine nicht die Männer ausgehen. Bereits am
vergangenen Samstag unterzeichnete Präsident Wladimir Putin dazu das Gesetz
über elektronische Vorladungen zu Erfassungen und die Schaffung eines
einheitlichen Registers der Wehrpflichtigen. Zuvor war es von Duma und
Föderationsrat angenommen worden.
Bisher konnte sich in Russland jeder [1][einer Einberufung entziehen], wenn
er für die Wehrbehörden nicht erreichbar war. Wer also in einer Wohnung
lebte, in der er nicht wohnbehördlich gemeldet war, brauchte sich auch
nicht vor einer Einberufung fürchten. Damit ist nun Schluss: Eine Vorladung
zur Erfassung und Einberufung gilt jetzt bereits als zugestellt, wenn sie
per E-Mail versandt wurde. Heißt: Die Begründung, man habe seine Mails
nicht gecheckt, ist fortan keine Ausrede mehr.
Die Vorladungen werden an den Account eines Bürgers im staatlichen Portal
„Gosuslugi“ versandt. Wer sich nicht um seine auf diesem Portal
bereitgestellten Nachrichten kümmert, hat nun das Nachsehen: Wer eine
Einberufung „erhalten“ hat, darf Russland nicht mehr verlassen. Wenn er
sich nicht innerhalb von 20 Tagen bei der Einberufungsstelle meldet, darf
er zudem kein Auto mehr fahren, keine Immobilien erwerben, keine Kredite
aufnehmen und sich nicht als Selbständiger registrieren lassen.
Doch damit nicht genug. Moskau hat inzwischen auch ein
Gesichtserkennungssystem installiert, mit dem wehrpflichtige Bürger
ausfindig gemacht werden sollen, berichtete der Militärkommissar der
Hauptstadt, Oberst Maxim Loktew, jüngst der Nachrichtenagentur TASS.
Zwar versprach Loktew, dass kein Wehrpflichtiger [2][in den ukrainischen
Kampfgebieten] eingesetzt werde. Die meisten Einberufenen müssten ihren
Wehrdienst im westlichen Militärbezirk ableisten. Allerdings befinden sich
eben dort Städte wie Belgorod, Brjansk und Kursk, die regelmäßig von
ukrainischer Seite beschossen werden.
## Selbst das Tragen von Mützen oder Masken schützt nicht
Gegenüber dem vom US-Kongress finanzierten Portal Krym Realii erklärte der
Journalist Andrei Sacharow, dass es schwierig sei, sich dieser totalen
elektronischen Kontrolle zu entziehen. Er geht davon aus, dass dieses
Überwachungssystem bereits seit Monaten besteht. So wisse er von jungen
Männern, die im vergangenen Herbst Besuch von der Wehrbehörde erhalten
hätten – obwohl sie in der Wohnung, in der sie sich aufhielten, gar nicht
gemeldet waren.
Für die elektronische Überwachung, führt Sacharow aus, sei es nicht
schwierig, herauszufinden, ob eine Person regelmäßig einen Ort aufsuche
oder ob ein Besuch nur einmalig sei. Wenn eine Überwachungskamera
regelmäßig einen Mann filme, der den Müll entsorge, könne man davon
ausgehen, dass dieser auch in diesem Haus wohne, so der Journalist.
Wenn man also wissen wolle, wo eine Person wohne, brauche man nur dessen
Foto in das System eingeben und schon wisse man, wo dieser wohne.
Schließlich würden ja Hauseingänge und Freisprecheinrichtungen an Türen von
Kameras überwacht. In Moskau, so Sacharow, sei eine aus Belarus stammende
Software installiert, die in Belarus Personen ausfindig machen konnte, die
an Demonstrationen teilnahmen. Selbst das Tragen von Masken oder Mützen
verberge nicht die Identität, da die Software Personen auch aufgrund ihrer
Silhouette identifizieren könne.
Angesichts von mehreren hunderttausend Mobilisierten komme nun als Nächstes
sicherlich ein Gesetz zu elektronischen Beerdigungen, kommentierte der
Politologe und ehemalige Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow, das Gesetz
mit reichlicher Portion Sarkasmus.
„Mit diesem Gesetz wollen die Machthaber den massiven passiven Widerstand
derjenigen brechen, die nicht in den Krieg ziehen wollen“, sagte der
russische Anarchist Andrei, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen
will, der taz. Nun werde den Machthabern eine riesige, einheitliche
Datenbank zur Verfügung stehen, in der sich alle Daten, von den
Finanzbehörden bis zu den Krankenhäusern, abrufen ließen. „Damit kann der
Staat die Bevölkerung vollständig überwachen, ein elektronischer Gulag.“
20 Apr 2023
## LINKS
[1] /Asylsuchende-aus-Russland/!5929065
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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