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# taz.de -- Assanges Anwalt über Whistleblowing: „Die Schuld steht fest“
> Edward Snowden hat die USA herausgefordert. Ihm droht eine Haft ohne
> Kommunikation mit der Außenwelt, fürchtet Jurist Michael Ratner. Er
> kritisiert imperialistische Sitten.
Bild: Protest gegen Snowdens Verfolgung vor der amerikanischen Botschaft in Kie…
taz: Herr Ratner, was würde passieren, wenn Edward Snowden in die USA
zurückginge?
Michael Ratner: Er würde verhaftet und vor ein Gericht kommen. Der Antrag,
ihn auf Kaution freizulassen, würde mit der Begründung abgelehnt, dass er
bereits einmal auf der Flucht war. Es würde ein langer und sehr teurer
Prozess werden. Snowden würde sein Leben im Gefängnis verbringen. Er würde
nie wieder die Straße sehen. Und er würde keinen Zugang mehr zu Computern
haben.
Offiziell ist bislang „nur“ von 30 Jahren Gefängnis die Rede.
Das bezieht sich auf die Strafanträge, die die USA benutzt haben, um
Snowdens Verhaftung in Hongkong zu erreichen. Aber wahrscheinlich existiert
längst eine geheime Anklage, die zehn oder mehr Verbrechen enthält. Genau
die würde der Richter ihm bei seiner Vorführung enthüllen.
Hat Snowden keine Chance auf einen fairen Prozess?
So gut wie alle Institutionen in diesem Land – von den Medien über den
Präsidenten, den Außenminister bis zum Kongress – rufen zu Strenge gegen
ihn auf. Alle argumentieren, dass die Programme, die er enthüllt hat,
völlig legal und gut für das Land sind. Es ist, als stünde seine Schuld
fest, bevor das Verfahren überhaupt beginnt. Es kommt hinzu, dass seine
Gefängnisbedingungen zu den schlimmsten gehören werden, die wir haben. Er
wird in eine der „communications management units“ kommen.
Was ist so eine Einheit für Kommunikationsmanagement?
Das sind Gefängnisse für Terroristen, aus denen keinerlei Kommunikation mit
der Außenwelt möglich ist. Und wo Anwälte und andere Besucher die Anordnung
bekommen, nichts, das sie drinnen erfahren, nach draußen weiterzugeben. Die
Regierung denkt, Snowden hat lauter geheime Codes im Kopf und wird
versuchen, sie weiterzugeben.
Wie erklären Sie die enorme Wut der US-Regierung?
Die USA sind von einem einzelnen Individuum herausgefordert worden. Er hat
ein massives Überwachungsschema offengelegt, von dem jedes Mitglied des
Kongress wusste und das Richter bewilligt haben. Jetzt sind sie erwischt
worden und versuchen den Überbringer der Botschaft zu bestrafen.
Zeigen die Drohgebärden gegen andere Länder, dass die Supermacht
angeschlagen ist?
Die Supermacht fällt zurück in alte Schemen: Drohungen und Übergriffe. Das
sind imperialistische Sitten, die eine Reihe von Ländern entfremdet haben.
Signalisiert der scharfe Ton zwischen Washington und Moskau einen neuen
Kalten Krieg?
Nach dem Ende des Kalten Krieges hätte es für jemanden wie Snowden kaum
Alternativen gegeben. Heute gibt es immerhin wieder einen Machtblock, der
gegenüber Washington sagt: Nein, wir tun nicht, was Ihr wollt. So wie
mehrere kleine Länder – Ecuador, Bolivien, möglicherweise Venezuela –, die
bereit sind, aufzustehen. Von einem „Kalten Krieg“ würde ich trotzdem nicht
reden. Das spielt sich auf einem niedrigeren Niveau ab.
Was bedeutet es für ein kleines und armes Land wie Ecuador, Leuten wie
Assange und eventuell auch Snowden Asyl zu bieten?
Was in den letzten zehn Jahren in Südamerika – in Bolivien, Ecuador,
Argentinien und auf gewisse Weise in Venezuela – geschieht, ist auch eine
Art Resultat von 9/11. Die USA haben dort ihre Kontrolle gelockert und
haben sich auf den Nahen und Mittleren Osten konzentriert. Aber [1][Ecuador
geht ein großes Risiko ein]. Die USA könnten Ecuador in einer Minute
erdrücken.
Meinen Sie mit „Erdrücken“ polizeiliche oder militärische Operationen?
Es würde mich nicht überraschen, wenn sie ihn verschleppten. Das ist immer
eine Option der USA, jemanden zu bekommen, den sie haben wollen. Das gilt
für Drogenverdächtige und für Terrorverdächtige. Aber ich denke nicht, dass
es hier eine Militärintervention geben würde.
Das „Erdrücken“ Ecuadors wäre wirtschaftlicher Natur?
Schon nachdem Julian Assange in die ecuadorianische Botschaft in London
geflohen war, haben Abgeordnete im US-Kongress gesagt, wir sollten die
Zölle für Ecuador wieder einführen. Und den ökonomischen Interessen des
Landes schaden.
Edward Snowden wird kritisiert, weil er Asyl in einem Land beantragt hat,
in dem regierungskritische Journalisten Gefängnis und hohe Geldstrafen
riskieren.
Er hat nur begrenzte Auswahl. Im Übrigen sind etwa Hunderttausende von
Flüchtlingen aus El Salvador in die USA gekommen. Sollen wir sagen: Sie
haben Asyl in einem Land gesucht, das foltert und Drohnen abwirft und
Kriege führt?
In vielen Ländern hat die NSA-Schnüffelei Debatten über staatliche
Überwachung ausgelöst. Nicht so in den USA. Dort reagieren die meisten
Menschen gleichgültig auf die Überwachung ihres Privatlebens. Wie erklären
Sie das?
Unsere Medien sind eine Katastrophe. Sie konzentrieren sich auf Vorwürfe
gegen Snowden: Er mache unser Land unsicher und unser Leben gefährlicher.
Er nütze Terroristen. Die Medien stellen sich in eine Reihe mit unserem
Präsidenten, unserem Außenministerium und unserem Kongress und sagen, wir
brauchen die Überwachung. Sie richten keinen Schaden an. Zumindest nicht
für Leute, die nichts Böses tun. Es ist sehr schwer, dagegen anzugehen. In
Deutschland sind Sie sensibilisierter, weil Sie Ihre Stasi hatten.
Glauben US-Amerikaner, dass ihre privaten Daten bei der Regierung sicher
sind? Oder haben sie das Gefühl, dass sie eh nichts gegen Big Brother
ausrichten können?
Vielleicht ist es etwas Drittes. Den Leuten ist es egal. Und sie sagen
sich: Ich bin auf Facebook und Twitter. Die wissen eh alles. Dabei
verkennen sie, dass es erstens schlecht genug ist, wenn private Unternehmen
all das Material haben. Und dass diese Unternehmen zweitens auch für die
Regierung arbeiten.
Was steckt hinter der Haltung der US-Medien? Selbstzensur von Journalisten?
Mangelnde Meinungsfreiheit?
Es ist ihre eigene Wahl. Sie wollen Zugang zu der Regierung und zum Weißen
Haus haben. Sie sind Insider. Sie gehen zur Regierung, bevor sie etwas
enthüllen. Sie sind Establishment.
Wieso wird in diesem Land, das riesige Medienapparate hat und weltweit
Nachwuchsjournalisten ausbildet, der größte heimische Geheimdienstskandal
hauptsächlich von ausländischen Medien – insbesondere dem Guardian –
enthüllt?
Das zeigt die Schwäche und den Mangel an Rückgrat unserer Medien.
Wieso ist trotz allem die Unterstützung für Edward Snowden in den
Vereinigten Staaten größer als für Bradley Manning?
Weil [2][Manning Dinge enthüllt hat], die Irakern und Afghanen passieren.
Was die Amerikaner kümmert, ist, was mit ihnen selbst geschieht.
Dient die NSA-Überwachung dem Schutz der USA?
Mit „Schutz“ hat das nichts zu tun. Wir hatten trotz der Überwachung die
Attentate vom Boston-Marathon. Und auch bei 9/11 kannten die Dienste vorher
Namen von einigen Entführern und haben sie dennoch ins Land gelassen. Hinzu
kommt, dass die NSA trotz der großen Datenmenge kaum etwas vorweisen kann.
Sie macht 50 Fälle von verhinderten Anschlägen geltend.
Das ist im Vergleich zu der Datenmasse sehr wenig. Aus Erfahrung weiß ich
zudem, dass diese Dinge meist frisiert sind. Das beste Beispiel für das
Versagen des Systems ist übrigens Snowden selbst. Er konnte bei Booz Allen
herausspazieren und eine riesige Menge von Material mitnehmen.
Das erklärte Ziel der NSA-Arbeit ist die nationale Sicherheit.
Es geht nicht darum, Terroristen zu stoppen. Es geht um massive
Überwachung. Die Regierung will das Internet überwachen und die Aktionen
von jedem Individuum kennen. Sie will vertikal kontrollieren.
Wofür braucht die Regierung in Washington so viele Daten über Individuen?
Es geht um soziale Kontrolle. Nehmen Sie den Arabischen Frühling oder
Spanien, Griechenland oder vielleicht Brasilien. Die US-Regierung
kontrolliert diese Daten. Und kann ihren Alliierten sagen, wer ihre Freunde
und wer ihre Gegner sind. Letztere können dann hinter Gitter gebracht
werden.
Die US-Regierung steht nicht immer auf der Seite der Demokratie. Wenn zum
Beispiel ein Aufstand in Saudi-Arabien stattfindet, können Sie wetten, dass
die US-Regierung ihre Daten nicht nutzen wird, um die demokratischen
Kräften in Saudi-Arabien zu stützen.
Wollen Sie denn jede Telefon- und Internetüberwachung stoppen?
Die Überwachung der Bürger en gros muss aufhören. Wenn es einen Verdacht
gibt, muss ein Gericht entscheiden.
Die NSA überwacht hauptsächlich Ausländer. In den USA konzentriert sich die
ohnehin geringe Empörung auf die Überwachung von US-Amerikanern. Wieso ist
es okay, Deutsche, Briten et cetera zu überwachen?
Ich meine, die Regeln sollten nicht an unseren Grenzen stoppen. Im Internet
ist jeder ein Weltbürger. Wir sollten keine künstlichen Grenzen darum
ziehen, wen wir überwachen und wen wir töten.
Würde es irgendetwas in den USA bewirken, wenn die EU sagte: Hier dürfen
nur Unternehmen arbeiten, die die europäischen Datenschutzregeln
akzeptieren?
Das würde großen Eindruck machen. Solange Europa nicht aufsteht, wird sich
nichts ändern.
Sie vertreten Julian Assange in den USA. Verändern die Enthüllungen und die
Flucht von Snowden die Lage für ihn?
Ich glaube nicht, dass es seinen Fall verschlimmert. Abgesehen davon, dass
es Washington noch wütender macht. Aber Julian ist in London. Dass er sich
für Snowden einsetzt, zeigt, dass er an das glaubt, was er tut.
27 Jun 2013
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## AUTOREN
Dorothea Hahn
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