# taz.de -- Reporter auf der Suche nach Snowden: Gefangen im Transit | |
> Wo steckt Edward Snowden? Der AP-Nachrichtenchef für Osteuropa will es | |
> herausfinden – und erlebt surreale Stunden in einem Moskauer | |
> Airport-Hotel. | |
Bild: Irgendwo hinter der grauen Fassade soll er sein: Edward Snowden. | |
MOSKAU ap | Die Frau hinter dem Tresen im Transitbereich zieht ihre | |
Augenbraue hoch. „Eine interessante Route, Mr. Phillips“, sagt sie, während | |
sie meinen Flugreiseplan studiert. „Das ist verdächtig.“ | |
Das Papier in der Hand der Angestellten auf dem Moskauer Flughafen | |
Scheremetjewo besagt, dass ich hier auf dem Airport einen 21 Stunden langen | |
Zwischenstopp einlege, bevor ich dann in die Ukraine weiterfliege. „Warum | |
würde IRGENDJEMAND hier so lange im Transit bleiben? Es gibt so viele | |
frühere Flugverbindungen, die Sie hätten nehmen können. Das ist ein | |
merkwürdiges Verhalten.“ | |
Nicht für mich. Ich bin hierhin gekommen, um nach Edward Snowden zu suchen | |
– dem US-Informanten, der sich seit seiner Flucht aus Hongkong vor einer | |
Woche im Transitbereich dieses Flughafens aufhalten soll. Was merkwürdig, | |
ja surreal ist, sind die 21 Stunden, die nach meinem Stopp am Transittresen | |
beginnen. Sie lassen bei mir den Gedanken aufkommen: Wenn sich Snowden | |
tatsächlich hier in der Transitzone aufhält, bekommt er vielleicht einen | |
Geschmack davon, wie man sich in einem Gefängnis fühlt. | |
Snowden befindet sich vermutlich in einem Flügel des Novotel-Hotels. | |
Während der Hauptteil mit der gediegenen Eingangshalle samt Springbrunnen | |
und schicken Läden normalen Besuchern offen steht, ist ein Teil für | |
Reisende reserviert, die kein Einreisevisum für Russland besitzen. Er liegt | |
in der Transitzone, also in internationalem Niemandsland. | |
## Stacheldraht und Sicherheitskameras | |
Nach einer fast zweistündigen Wartezeit im Flughafengebäude holt mich ein | |
Bus aus dem Transitbereich ab, ich bin der einzige Passagier. Wir fahren | |
langsam über eine Rollbahn, passieren eine Barriere, elektronisch | |
gesteuerte Tore mit Stacheldraht und Sicherheitskameras. | |
Im Hotelflügel für Transitreisende fühlt man sich wie hinter Schloss und | |
Riegel. Man muss in seinem Zimmer bleiben, bis auf kurze Spaziergänge im | |
Flur. Drei Kameras verfolgen dabei jede Bewegung. Immerhin ist es | |
tröstlich, ein Schild mit dem Hinweis zu sehen, dass sich die Schlösser an | |
den schwer gesicherten Türen zum Fahrstuhl im Notfall öffnen. | |
Als ich mein Zimmer verlassen will, springt auf dem Flur ein Wachmann auf. | |
Ich frage ihn, wie ich an etwas zu essen kommen kann, mein Anruf beim | |
Zimmerservice ist unbeantwortet geblieben. Er faucht: „Telefonanschluss | |
70!“ | |
Die Frau am Transit-Tresen hatte mir versichert, ich brauche mir keine | |
Sorgen zu machen. „Wir haben alle Ihre Fluginformationen. Wir holen Sie | |
morgen Abend um 18 Uhr aus Ihrem Zimmer ab, eine Stunde vor Ihrem | |
Weiterflug.“ | |
## Natürlich nicht | |
Jetzt ist es gerade mal Mitternacht, und ich fange an, unruhig zu werden. | |
Ich fühle mich eingesperrt in diesem stickigen Raum mit seinen dicht | |
versiegelten Doppelglasfenstern. Und teuer ist es: Umgerechnet 230 Euro pro | |
Nacht, dazu ein Aufschlag von 50 Prozent, weil ich das Zimmer erst nach dem | |
Mittag räumen werde. Ob ich denn nach 12 Uhr nicht unten in der Hotellobby | |
auf meine Abholer warten könne, hatte ich beim Einchecken ins Hotel die | |
Frau an der Rezeption gefragt. „Natürlich nicht“, winkte sie ab. „Sie ha… | |
kein Visum.“ | |
Ich schaue aus dem Fenster. Wenn Snowden hier ist und den gleichen Ausblick | |
hat, kann er die Zufahrt zum Abflug-Terminal sehen und einen Parkplatz voll | |
mit Autos. | |
Ein Zimmermädchen hat mir just einen Teebeutel gebracht. Sie macht auf | |
einer Liste auf ihrem Servierwagen einen Haken neben meiner Zimmernummer. | |
Die Liste enthält keine Namen, nur Zahlen und Abflugdaten. Ich versuche | |
einen raschen Blick zu erhaschen, wie es aussieht, könnten sich hier ein | |
paar Dutzend andere Leute aufhalten. Tatsächlich stehen vor ein paar Türen | |
auf meinem Flur Serviertablette vom vergangenen Abend auf dem Boden, ein | |
Zeichen dafür, dass die Räume bewohnt sind. | |
Aber von Snowden keine Spur. | |
Der Wachmann erlaubt mir, dass ich mir auf dem Flur etwas die Beine | |
vertrete. Ein Schild an der Wand ist unmissverständlich klar – und | |
süffisant. Unter einem hübschen Bild von der Moskauer Skyline und dem Roten | |
Platz heißt es: „Sollten Sie während Ihres nächsten Aufenthaltes alles | |
sehen wollen, was unser Hotel bietet, empfehlen wir Ihnen dringend, sich | |
vor dem Flug nach Moskau ein Visum zu beschaffen.“ | |
Wenn er hier ist, hat Snowden in seinem Raum Zugang zu ein paar | |
internationalen TV-Sendern. Der Zimmerservice bietet außerdem eine gute | |
Auswahl an Speisen, die einzige Möglichkeit, in diesem Hotelflügel an Essen | |
heranzukommen. Aber nach einer Woche wird auch das Menü wohl langweilig | |
werden. Und Snowden braucht eine Kreditkarte oder eine Menge russisches | |
Bargeld. Ein Steak? 1500 Rubel (etwa 38 Euro). Eine Flasche Brunello di | |
Montalcino-Rotwein? 127 Euro. | |
Ich habe alle 37 Zimmer auf meinem Flur angerufen, in der Hoffnung, dass | |
Snowden abnimmt. Keine Antwort, bis auf eine Ausnahme, als sich mein | |
Wachmann meldet. Der Flur über mir? Eine ähnliche Pleite. Ich erreiche nur | |
ein paar müde und irritierte Russen, die in den Hörer murren: „Da? Da? Da? | |
– Ja, ja,ja?“ | |
30 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Ian Phillips | |
## TAGS | |
Edward Snowden | |
Moskau | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Russland | |
Edward Snowden | |
NSA | |
Internet | |
Wikileaks | |
Edward Snowden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Asylsuche von Edward Snowden: Keine Bleibe in Russland | |
Whistleblower Edward Snowden bittet in zahlreichen Ländern um politisches | |
Asyl – auch in Deutschland. Den Antrag in Russland hat er jetzt | |
zurückgezogen. | |
Asyl für Snowden in Russland: Putin reicht seine Hand | |
Der NSA-Whistleblower soll Asyl in Russland beantragt haben. Zuvor hatte | |
Präsident Putin ein entsprechendes Angebot gemacht – und an Bedingungen | |
geknüpft. | |
NSA späht offenbar die EU aus: „Angriffsziel“ Europa | |
Der NSA hat Computer und Gespräche von EU-Mitarbeitern überwacht, meldet | |
der „Spiegel“. US-Vizepräsident Biden hat Ecuador aufgefordert, Snowden | |
kein Asyl zu gewähren. | |
taz-Grafik zur Internet-Überwachung: Die Welt der Datenspione | |
Alle paar Tage liefert der Whistleblower Snowden neue Erkenntnisse über die | |
Überwachung des Internets durch Geheimdienste. Wir zeigen den Datenfluss. | |
Assanges Anwalt über Whistleblowing: „Die Schuld steht fest“ | |
Edward Snowden hat die USA herausgefordert. Ihm droht eine Haft ohne | |
Kommunikation mit der Außenwelt, fürchtet Jurist Michael Ratner. Er | |
kritisiert imperialistische Sitten. | |
Gerangel um Edward Snowden: Ecuador kündigt Zollabkommen | |
US-Politiker hatten Ecuador bei einer Aufnahme Edward Snowdens mit | |
wirtschaftlichen Konsequenzen gedroht. Nun kam das Land ihnen zuvor und | |
verzichtet auf Zollvergünstigungen. |