# taz.de -- Filme über das Berliner Kulturprekariat: Das Nichts der Freiheit | |
> Die Filme „Umsonst“ und „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ | |
> beleuchten Lebensentwürfe der Berliner Kreativszene. | |
Bild: Das Driften in Kreuzberg fängt „Umsonst“ ein. | |
Als wollten sie als zwei Hälften sich zu einem Gesamtbild des Berliner | |
Standes der Dinge addieren, traten diese beiden Filme im Laufe der letzten | |
Berlinale in Erscheinung und wurden dort zu viel und heiß diskutiertem | |
Material: Stephan Geenes „Umsonst“ und „Ich will mich nicht künstlich | |
aufregen“ von Max Linz. | |
Gerne erklärte man den nicht Deutsch sprechenden Festivalbesuchern die zwei | |
Bedeutungen des Wortes „umsonst“: for free und in vain, „kostenlos“ und | |
„vergeblich“. Dass das eine mit dem anderen zu tun hat, ist einerseits | |
schlechte kapitalistische Wirklichkeit: Was jenseits des Tauschens | |
passiert, ist für die Katz und hat keinen Wert. Andererseits kommt man über | |
den Mut zum Nichtteleologischen, dem absichtslosen, „vergeblichen“ Handeln, | |
dem urbanen Driften, wie es in diesem Film praktiziert wird, dem utopischen | |
Gegenteil der vom Tauschwert dominierten Warengesellschaft womöglich doch | |
ein bisschen näher. | |
Aber auch „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ lieferte schon vom Titel | |
her reichlich Gesprächsstoff. Ist diese „künstliche Aufregung“, mit der in | |
diesem Film Theorie von Luhmann, Brecht und Kracauer zitiert, Mietpreise | |
verlesen, Kulturprojekte angepriesen und zurückgewiesen werden, die geheime | |
Regieanweisung, die all die hier vorgeführten uneigentlichen Redeweisen und | |
siebenfach gerahmten und dreizehnfach abgeschrägten Dialoge in Gang | |
gebracht hat? | |
Und der englische Titel („Asta upset“) legt noch ein | |
Interpretationslockangebot obendrauf. Die Hauptfigur Asta heißt wie eine | |
Stummfilmdiva und ein Allgemeiner Studierendenausschuss – wenn das nicht | |
genau die Synthese ist, aus der die hier Handelnden und Porträtierten | |
gebacken sind: Diva und Drittmittelantrag. | |
## Nichts zu verlieren | |
In „Umsonst“ wird mit der Vorstellung von Darstellbarkeit der äußeren | |
Wirklichkeit im Spielfilm zunächst nicht gebrochen – nur an einer | |
entscheidenden Stelle, die man schwer diskutieren kann, ohne eine Pointe zu | |
versauen. | |
Aziza (Ceci Chuh), eine junge Frau zwischen allen Lebensentscheidungen, | |
ihre eigentlich sehr entspannte, aber dennoch im Dauerstreit mit der | |
Tochter befindliche alleinerziehende Kreativmilieu-Mutter (Vivian Daniel), | |
ein Drifter namens Zach (Elliot McKee) und LebenskünstlerInnen aus allen | |
Teilen der Welt ziehen durch ein Kreuzberg des offenen, vorläufigen, | |
unbestimmten Lebens und improvisieren über die Freiheit zwischen dem guten | |
alten „Nothing left to loose“ von Kris Kristofferson und Janis Joplin und | |
dem langsamen Aufbau von realen Möglichkeiten über Praktika beim abwesenden | |
Vater in Portugal. | |
Dass auch die Freiheit in der Ökonomie des Nichts-zu-verlieren-Habens nur | |
einen Kompromiss darstellt oder nur als Vorläufigkeit zu haben ist, wird in | |
dem an genau beobachteten Alltagsszenen, Minikonflikten, glücklichen | |
Zufällen und allgemeiner Lässigkeit reichen Naturalismus nie explizit | |
ausgesprochen; es ist aber die am Ende auch absolute und ontologische | |
Grenze von Azizas In-der-Nacht-im-Kreis-Herumlaufen, dessen zutiefst | |
sympathisierende Zeugen wir werden. | |
## Driften und Behütetsein | |
Statt zu spoilen, also ein Versuch, die letzte Szene zu lesen: Um das | |
Driften, die Unsicherheit, das prekäre Leben als Freiheit genießen zu | |
können, muss man behütet aufgewachsen sein und über eine innere Sicherheit | |
verfügen. Deswegen erkennt man in vielen Spielfilmen hinter den | |
abenteuerlichsten Streuner- und Grenzgängerinnen-Darstellungen stets die | |
Züge bürgerlicher Behütetheit, unter der die SchauspielerInnen dieser | |
Transgressionen aufgewachsen sind. | |
Wenn dann aber tatsächlich einmal das gefährliche Neuland jenseits der | |
Reichweite der Behüter aufgesucht werden soll, greifen auch in liberalen | |
Kreisen die Erziehungsmaßnahmen in vollem Umfang – das Kind ist dann nicht | |
mehr frei, sich selbst zu entdecken, sondern auch eine Person, in die | |
investiert wurde. | |
Das Kompliment, das „Umsonst“ am häufigsten gemacht wurde, war das der | |
Leichtigkeit – nicht zu Unrecht. Das sommerliche Kreuzberg mit seinem | |
international-lockeren Lebenskunst-Prekariat schlendert hier auf den ersten | |
Blick wirklich ziemlich zwanglos von Marktstand zu Festivälchen, von | |
vorübergehender Übernachtungsmöglichkeit zu verletzlichen Folk-Darbietungen | |
in den zahllosen Parks und schließlich zu nächtlichen Eröffnungen von | |
Projekträumen, von denen die heitere, aber bestimmte Bevölkerung verlangt, | |
das Vernissagen-Bier doch bitte der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen | |
– gewissermaßen als präventive Steuer auf die zu erwartenden | |
Gentrifizierungsschäden, die die projektförmige Umtriebigkeit schon | |
irgendwie verursachen wird. | |
Eine durchaus zu vertretende Position, die sich etwa mit dem deckt, was | |
Boris Groys vor ein paar Jahren in der Berlin-Nummer von Lettre dem | |
Berliner Bohemismus empfahl, um seinen Lebensstil zu verteidigen: | |
unbedingte Unproduktivität. Andernfalls droht der Untergang. Auch „Umsonst“ | |
teilt mit den Nouvelle-Vague-Filmen, an die man sich erinnert fühlt („Cleo | |
von 5 bis 7“ zum Beispiel), nicht nur den Charme, sondern auch die Nähe zur | |
(persönlichen) Katastrophe, mit der die traumwandelnde Sicherheit erkauft | |
ist, die Voraussetzung von Leichtigkeit ist. Nicht nur Aziza spaziert an | |
Abgründen entlang, auch das sie hervorbringende Kreuzberg und Kreuzkölln. | |
## Inszenierung von Diskontinuitäten | |
Analytischer und diskursiver geht „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ | |
die Dramen des Berliner Kulturprekariats an, hier das erwachsenere, | |
Projekte machende, das schon weiß, was es will. In seiner filmischen | |
Welterschließung ist dieser Film das Gegenteil von Geenes beseelt | |
groovendem Großstadt-Chanson. Es werden hier erst sehr spät Kontinuitäten | |
jenseits der Hauptfigur, der Kuratorin Asta Andersen (Sarah Ralfs), | |
erkennbar. Bis weit in die zweite Hälfte wird sehr stark darauf geachtet, | |
dass nahezu jedes Bild, jede Szene wie aus einem eigenen Film zu sein | |
scheint. | |
Die Inszenierung der Diskontinuitäten (mit fiependen Testbildern, einem | |
Vorspann, der erst nach gut 30 Minuten beginnt) erinnert zwar ihrerseits an | |
alles, was zwischen Dziga Vertov, Jean-Luc Godard und Alexander Kluge dem | |
reflexiven Filmemachen gut und teuer ist, spricht dies aber auch | |
unausgesetzt aus: deklariert nicht nur die Kenntnis der | |
Reflexivitätsklassik als Gebrauchswanweisung fürs Publikum, sondern hält | |
sich dann auch an deren Imperative. | |
Die Ausflüge in diese Genres und Traditionen auch außerhalb des Kinos – | |
Auftritte von Schlingensief-Darstellern, wunderbar farblich abgestimmte | |
Bühnenbilder, parodistische Anspielungen auf alle möglichen Personen des | |
Berliner Avantgardelebens, hölzerne Pollesch-Rekonstruktionen mit | |
ausgestellter Verdattertheit über die eigene Hölzernheit – und die | |
dazugehörigen rekonstruktiven Nachdenklichkeiten sind zugleich angeberisch, | |
hilflos, riskant und schlau. | |
Die Beteiligten in diesem Film kämpfen sehr entschieden um Professionalität | |
und Professionalität als Problem, aber sie sind ebenso die ganze Zeit | |
Lernende, Studierende, die es weder schaffen, ihre Kulturmachertexte | |
glaubwürdig aufzusagen (noch die Denunziation durch das Aufsagen oder | |
reflexive Ausstellung des Aufsagens durchzuhalten), noch beim | |
Projekteablehnen so blasiert und böse auszusehen, wie sie eigentlich wollen | |
oder sollen. Dazu sind sie ständig am Exzerpieren, Zitieren, | |
Archivedurchstöbern und Klassikerdurcharbeiten. | |
Das Irritierende ist, dass das hier vorgeführte und als Wärmetod aller | |
möglichen politisierten Avantgarden ausgestellte Strebertum auch einen | |
total verstreberten Film hervorgebracht hat, der sich in alle denkbaren | |
Richtungen absichert, aber eben dennoch die Leistung vollbringt, dass man | |
oft nicht entscheiden kann, ob er seine Protagonisten karikieren oder | |
erklären will. Oder, was dann auch manchmal als Möglichkeit anklingt: ihnen | |
seine Solidarität aussprechen. | |
## Ewige höhere Töchter | |
Zusammengehalten wird der Film von – neben einer großartig stolz-ratlosen | |
Hauptdarstellerin und einem bestechenden Set- und Kostümdesign – zwei | |
Thesen, die trotz aller Einklammerungen durchschlagen: Zum einen, dass es | |
ein Skandal ist, dass experimentelle und politische Bewegtbildgenres (wie | |
Fassbinders 70er-Jahre-Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“) aus der | |
großen Öffentlichkeit des Fernsehens und des Kinos verschwunden sind und im | |
exklusiven Kunstraum einer exklusiven Öffentlichkeit vorbehalten bleiben. | |
Zum anderen, dass dieser Kunstbetrieb, der hier von adlig säuselnden, | |
ewigen höheren Töchtern beherrscht wird, kritische Positionen nur zur | |
Dekoration zulässt, aber eigentlich eben bestraft. | |
Die erste These ist richtig und wird auch sehr zwingend und in Hommagen | |
(Hannelore Hoger) und Reminiszenzen an jenes schon einmal öffentlichere | |
politisierte Filmemachen vorgetragen. Die zweite These übersieht, dass der | |
das avancierte Bewegtbild verschlingende Kunstbetrieb aus zwei Betrieben | |
besteht, dem kommerziellen und dem staatlichen, den Kunstmessen und den | |
Kulturstiftungsprojekten. Beides hängt zusammen – aber doch deutlich | |
komplexer und (tragisch) dialektischer, als es das Bild der nebligen Macht | |
adliger Staatskuratoren hier zu einem erstaunlich verflossenen Klischee von | |
bürgerlicher Kultur zusammenreimt. | |
Man bekommt den Eindruck, dass hier eine im eigenen Saft schmorende Szene | |
sich mit einer großen gebildeten Hitze hochkocht, die mit der Temperatur | |
der pflichtgemäß miterwähnten realen Konflikte des Berliner | |
Off-Kunst-Lebens in einem nur sehr lockeren Zusammenhang steht: der Kampf | |
um den Kotti, die Mieten in Mitte, die grauen Kämpfe in der Ebene der | |
Kulturgelderverteilung. | |
Die Künstlichkeit der Aufregung mag noch so reflektiert daherkommen, sie | |
überdeckt die Unterschiedlichkeit der Interessen. Hier hilft dann wieder | |
der Blick darauf, wie das wirklich aussieht, dieses komische Kreuzberg – | |
und das sieht man am Ende, wenn Asta sich minutenlang durch dessen Straßen | |
chauffiert: dabei schiebt sich aber immer ihr autofahrerische Überlegungen | |
anstellende Kopf vor die Straßenszenen. | |
In „Umsonst“ erweckt der Durchgang durch alle Tages- und Nachtzeiten das | |
Gefühl einer kompletteren Welt. Doch beide Filme stellen die Frage, wie es | |
angehen kann, dass diejenigen, die diesen Ort und seine Attraktivität | |
permanent produzieren und reproduzieren, dafür nicht nur nicht bezahlt | |
werden, sondern auch dieses Nichts der Freiheit immer weniger gegen etwas | |
tauschen können. Es wird Zeit, dass Hoteliers, Immobilienspekulanten und | |
Ferienwohnungsbesitzer endlich Subkultursteuer abführen. | |
10 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
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