# taz.de -- Antisemitismus auf Höchststand: Judenhass in allen Milieus | |
> Jüdinnen und Juden sind zunehmend Gewalt ausgesetzt. Die | |
> Dokumentationsstelle Schleswig-Holstein verzeichnet einen Höchststand. | |
Bild: Palästina-Camps an Universitäten werden von Jüdinnen und Juden teils a… | |
HAMBURG taz | Mehr als zweimal pro Woche wird in Schleswig-Holstein eine | |
Person oder eine jüdische Institution [1][aus antisemitischen Motiven | |
angegriffen], beschimpft oder bedroht. Die landesweite Informations- und | |
Dokumentationsstelle Antisemitismus (Lida) dokumentiert für das Jahr 2023 | |
mit 120 antisemitischen Taten einen massiven Anstieg im Vergleich zum | |
Vorjahr (79 Taten) und einen noch nie gemessenen Höchststand. In fast allen | |
Landkreisen meldeten Betroffene oder deren Mitbürger*innen | |
entsprechende Vorfälle. | |
Der Anstieg der Hasstaten steht nach Einschätzung der Dokumentationsstelle | |
im Zusammenhang mit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und dem | |
anschließenden [2][Krieg in Gaza]. „Struktur und Verbreitung | |
antisemitischer Vorfälle sind stark von Gelegenheitsstrukturen abhängig“, | |
sagt der Leiter der Dokumentationsstelle, Joshua Vogel. | |
Social-Media-Kampagnen sowie Demonstrationen, die sich auf die Eskalation | |
im Nahen Osten bezögen, stellten solche Gelegenheiten dar. „Sie eröffnen | |
Möglichkeitsräume, sich unverhohlen und öffentlich wahrnehmbar | |
antisemitisch zu äußern“, sagt Vogel. Knapp die Hälfte aller dokumentierten | |
Vorfälle stünden in direkter Verbindung zum Terroranschlag der Hamas und | |
dem palästinensisch-israelischen Krieg. | |
Die Qualität der Übergriffe reicht von Beleidigung in der Schule, am | |
Arbeitsplatz oder im Internet über Sachbeschädigung im öffentlichen Raum | |
oder an jüdischen Friedhöfen und Synagogen bis zu körperlichen Angriffen | |
oder Bedrohungen. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren hat sich aber | |
die Erscheinungsform der Übergriffe verändert – vom | |
Post-Shoah-Antisemitismus zu israelbezogenem Antisemitismus. | |
## Israel wird dämonisiert | |
Früher machte die Leugnung der Schuld der Deutschen am Holocaust, sowie | |
eine Täter-Opfer-Umkehr von Deutschen und Jüd*innen einen Großteil der | |
Taten aus. Im Jahr 2023 hingegen überwogen Vorfälle, bei denen der Staat | |
Israel dämonisiert und antiisraelische Propaganda verbreitet wurden. | |
Hier ist der Zusammenhang mit dem Hamas-Attentat und dem Gazakrieg | |
besonders deutlich: Während sich die Zahl der gemeldeten antiisraelischen | |
Vorfälle in den Monaten Januar bis September zwischen null und vier pro | |
Monat bewegte, stieg sie im Oktober und November auf 21 Taten. | |
Daraus lassen sich auch Rückschlüsse auf das Milieu ziehen, in dem die | |
Taten passieren. Während Täter*innen in den vergangenen Jahren in | |
Schleswig-Holstein besonders häufig dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen | |
waren, ist das jetzt nicht mehr so – antiisraelischer Antisemitismus | |
durchzieht alle Milieus. | |
„Antisemitische Einstellungen, die sich jederzeit in antisemitischen | |
Vorfällen materialisieren können, sind nicht nur ein Phänomen an | |
vermeintlichen ‚politischen Rändern der Gesellschaft‘, sondern tief in der | |
Gesamtgesellschaft verwurzelt“, schlussfolgert [3][der Bericht]. Folglich | |
sei es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gegen Antisemitismus | |
vorzugehen. | |
„Der Kampf gegen Antisemitismus darf weder zu einer Freizeit- noch zu einer | |
Teilzeitbeschäftigung verkommen“, sagt Joshua Vogel. Eine deutlich | |
intensivere Bildungsarbeit sei dafür fundamental, auch die finanzielle | |
Ausstattung diverser Projekte gegen Antisemitismus und für | |
Demokratieförderung sei elementar. Leider gingen die aktuellen | |
Diskussionen, wo es immer nur heiße „hier und dort muss gespart werden“, | |
völlig in die falsche Richtung. „Das lässt mich ratlos zurück“, sagt Vog… | |
## Palästina-Camps als Bedrohung | |
Währenddessen sind Jüd*innen nicht nur in Schleswig-Holstein zunehmend | |
Hasstaten ausgesetzt. Auch die Dokumentationsstellen anderer Bundesländer | |
haben schon Zahlen für das Jahr 2023 vorgelegt oder wollen diese in den | |
nächsten Wochen veröffentlichen. Doch die Tendenz dürfte überall ähnlich | |
sein. | |
„Die Bedrohungslage ist deutlich spürbar“, sagt die ukrainische Jüdin | |
Kateryna Rumyantseva, die in Hamburg lebt. Dazu trügen auch die | |
Palästina-Camps bei, die in den vergangenen Tagen an mehreren Universitäten | |
entstanden sind. Auch an der Hamburger Uni steht seit der vergangenen Woche | |
ein solches Camp. „Mit Freund*innen und Bekannten tausche ich mich jeden | |
Tag im Chat darüber aus, wie die Lage am Camp ist – ob man in die | |
Innenstadt gehen kann“, sagt Rumyantseva. | |
Auch der [4][Übergriff einer Pro-Palästina-Aktivistin auf eine Vorständin | |
der deutsch-israelischen] Gesellschaft nach einer Ringvorlesung in der | |
vergangenen Woche an der Hamburger Uni habe ihr Angst gemacht. „Ich gehe | |
gern auf Veranstaltungen“, sagt Rumyantseva, die sich für Frieden in der | |
Ukraine engagiert. In letzter Zeit wäge sie aber genau ab, wo sie hingehe. | |
„Ich frage mich: Wann werde ich angegriffen?“ | |
14 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Historiker-Herf-ueber-Antisemitismus/!6005857 | |
[2] /Situation-in-Gaza-im-Nahostkrieg/!6001319 | |
[3] https://lida-sh.de/index.php/auswertung-2023/ | |
[4] /Antisemitismus-in-Hamburg/!6009594 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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