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# taz.de -- Album „Add Land“ von Tellavision: Die moderne Schwimmerin
> Tellavision ist das Ein-Frau-Projekt von Fee Kürtens. Ihr Album „Add
> Land“ hat die Hypnosekraft von Krautrock und die Dringlichkeit von
> Techno.
Bild: „Ich bin eine Frau, ich mach’ meinen Scheiß“, sagt Fee Kürten ali…
Du stehst an der Küste, hinter dir das Land, vor dir die See. Niemand ist
bei dir. Du bist getrieben von Angst. Tellavision singt: „You’re driven by
fear / it makes you weak“. Das Ausgangsszenario ihres neuen Albums ist
denkbar düster. Tellavision ist das One-Woman-Projekt von Fee Kürten, die
auf „Add Land“ erneut Krautrock, Techno und Synthie-Pop auf das
Raffinierteste verschmilzt.
Draußen aprilwettert es, drinnen brennen Kerzen. Ein Treffen in einem Café
in ihrer langjährigen Heimat Hamburg, neun Jahre lebte sie hier, studierte
freie Kunst an der Hochschule für bildende Künste. „Letztes Jahr habe ich
den Absprung nach Berlin geschafft“, sagt Kürten, elegant in Dunkelblau
gekleidet, und verneint sogleich, dass es in der Hauptstadt besser sei. „Es
ist einfach ein anderer Schnack. Ich habe in Hammerbrook gewohnt – keine
Nachbarn, man konnte schön laut sein. Geiles Viertel.“ Kürten sagt
tatsächlich „Vierdel“, mit weichem Konsonanten, wie man das im Norden so
tut.
Ihr viertes Album hat die Künstlerin, 1988 in Bielefeld geboren, selbst
gemacht, so wie sie schon immer alles selbst gemacht hat: Komposition,
Produktion, Gesang, Einspielen sämtlicher Instrumente . „Hardware Post Pop“
nennt sie ihren Stil, und in dem Genre-Wort steckt schon der kleine
Equipment-Park, den Kürten für Konzerte anschleppt. „Ich arbeite auch mit
Software, aber live schätze ich Haptik. Einen Knopf zu drücken, und damit
einen Sound zu erzeugen. Es soll plastisch klingen, 5D! Jahrelang habe ich
mit einem Schuhkarton als Bassdrum gespielt, eine Terpentindose war meine
Snaredrum.“
„Add Land“ ist nun weniger lo-fi als zuvor, auch wenn man es zunächst nicht
hört. Musikalische Roughness ist wichtig für den DIY-Sound von
Tellavision, die Gitarren verwendet, die kaum als solche erkennbar sind.
„Matchbox“ kommt im aufgerauten NdW-Sound daher, „The Laboratory“ mit
coolem Motorik-Beat. „Ich hätte immer schon easy nur mit Laptop auftreten
können“, so Kürten. „Aber das wollte ich nicht. Lieber gestalte ich das
Unperfekte perfekt!“
## Das Private ist politisch
Tellavision springt auf keinen Trend auf, und doch klingt ihr Album
amtlich. Die kühlen Synthie-Landschaften der Achtziger lugen um die Ecke,
auch eine grimmige Industrial-Ästhetik wird bedient. „Add Land“ hat die
hypnotischen Qualitäten von Krautrock-Wertarbeit und die Dringlichkeit von
metallischem Techno. Und ist dennoch: Pop. „Meine Musik wird oft als
experimentell beschrieben“, sagt Kürten, die keine Grenzen zwischen Musik
und bildender Kunst sieht. „In die Schublade wird alles gesteckt, was nicht
eingängig ist. Dabei klingt meine Musik gar nicht akademisch. Gute Kunst
funktioniert auch, wenn man sie fühlt – ohne zu wissen, worum es geht.“
Raum fürs Fühlen ist in ihren Texten, die vage bleiben, und dennoch
Aktuelles einfließen lassen. Das Private ist politisch, auch für Fee
Kürten. „Die Musik geht von mir aus und zieht dann größere Kreise. Der Song
‚Salty Man‘ behandelt eine Figur, die sich verschließt, aber dennoch
austeilt und andere beschuldigt. Das erlebe ich im persönlichen Umfeld,
aber auch im globalen Kosmos. Solche Typen landen zurzeit in
Führungspositionen. Es ist wichtig, damit einen Umgang zu finden – Trump
ist ja nichts anderes als ein zerbrochenes Kind.“
Tellavision singt ausschließlich auf Englisch, auch wenn sich auf dem neuen
Album rätselhafte deutsche Sprachfetzen wie „Ich kann mich nicht
beschweren“ einschleichen. Die Künstlerin kreiert während des
Songwriting-Prozesses zunächst die Bassline, dann die Melodie, und singt
anschließend provisorische Nonsense-Texte dazu. Kürten lässt den Namen
einer allseits vergötterten schwedischen Pop-Diva fallen: „Robyn hat das
‚yogurting‘ genannt. Das ist wie Träumen – nur du allein verstehst die
Texte.“ Erst nach einer Stunde Gespräch fällt auf, Kürten hat keinen Satz
über Feminismus verloren. „Warum auch?“, sagt die Künstlerin. „Ich bin …
Frau, ich mach’ meinen Scheiß. Das ist Feminismus genug. Ich muss mich
schon lange nicht mehr rechtfertigen.“
„Add Land“ ist ein positives Werk, trotz der im Titelsong besungenen Angst.
Der Albumtitel als Metapher für mehr Mut: „The coast is clear / Add land
from here“. Land hinzufügen, obwohl nur Wasser zu sehen ist – für
Tellavision eine Frage der Vorstellungskraft. „Für mich bedeutet das: ein
halbvolles Glas als voll betrachten, weil noch Luft vorhanden ist. Ich
mache mir bewusst, dass es da eine unsichtbare Hälfte gibt.“ Schließlich
lässt sich auch Wasser erkunden: „You can’t walk on the water /but you can
swim in it“.
15 Apr 2019
## AUTOREN
Jan Paersch
## TAGS
Musik
Pop
taz Plan
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Feminismus
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Bayern
Soundsystem
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