# taz.de -- Adventsgeschäft während Corona: Glühwein hinter Zäunen | |
> In Halle schließt ein Weihnachtsmarkt, macht dann wieder auf. In Berlin | |
> sorgt 2G-Plus für Aufwand. Die unklaren Regeln verärgern die | |
> Schausteller. | |
Bild: Weihnachtsmarkt in Berlin mit 2G-Plus | |
BERLIN/HALLE taz | Über den Marktplatz von Halle schlendert am 24. November | |
ein Mann, struppiges Haar, Gitarre in der Hand. Keiner nimmt Notiz von ihm. | |
Am Tag zuvor war er hier der Star. Da ist Peter Dühring mit wallendem Bart | |
und rotem Mantel auf einem Tretroller über den gerade eröffneten | |
Weihnachtsmarkt gefahren und hat Kekse verteilt. „Die Veranstaltung ist | |
sehr gut gelaufen mit mir“, sagt er. 19 Mal schon war der Kabarettist aus | |
Luckenwalde der Weihnachtsmann von Halle. Doch das zwanzigste Mal will | |
nicht gelingen. Im vorigen Dezember wurde der Markt weit im Voraus abgesagt | |
und in diesem Jahr ist ein paar Stunden nach der Eröffnung Schluss. | |
Als Dühring über den Markt rollerte, war das Ungemach schon unterwegs, sein | |
Name: „15. Eindämmungsverordnung“ des Landes Sachsen-Anhalt. Der | |
Bürgermeister fehlte zur Eröffnung am 23. November. Der Chef des | |
Ordnungsamtes ließ sich nur kurz blicken und kündigte eine Entscheidung an. | |
Am nächsten Morgen kam sie per E-Mail: Ab 10 Uhr kein Verkauf mehr! | |
Der Markt kann die [1][am Vortag beschlossene 3G-Regel] für | |
„Freizeiteinrichtungen, Vergnügungsstätten und Volksfeste“ nicht umsetzen, | |
weil er nicht eingezäunt ist. Die Stadt Halle ist mit dem dezentralen | |
Konzept gescheitert, das sie beschlossen hatte, um pandemiegerecht Abstände | |
einzuhalten – Buden, die in der ganzen Innenstadt verteilt sind, statt | |
konzentriert an einem Fleck. | |
Hartmut Luther kommt aus seinem geschlossenen Häuschen. Der Eröffnungstag | |
war großartig, berichtet er. „Die Leute haben gekauft wie sonst kurz vor | |
Weihnachten.“ Aufgeben will er nicht. „Man arbeite an einem Plan, heißt es | |
aus der Stadtverwaltung“, sagt er süffisant. „Warum haben die noch keinen | |
Plan?“ Nun poltert Luther, gebürtig im Oldenburgischen, los. Da organisiert | |
die Stadtverwaltung in Coronazeiten einen dezentralen Markt, begreift aber | |
nicht, als die Inzidenz steigt, dass man umplanen muss. | |
## Würde ein Zaun helfen? | |
Man müsste den Weihnachtsmarkt doch nur einzäunen, sagt Luther, nicht ganz | |
einfach, zumindest hier zwischen Marktkirche und Ratshof wäre das aber | |
machbar, obwohl mittendrin eine Umsteigestation für die Straßenbahn liegt. | |
Sicher, das kostet. „Aber man hat doch wegen Corona schon so viel Geld | |
ausgegeben, dann kann man doch auch das hinbekommen.“ | |
Drinnen im Häuschen präsentiert Luther seinen ganzen Stolz, handgezogene | |
Kerzen, Fabeltiere, ein ganzer Zoo aus Wachs. Luther gießt alles selbst, | |
bemalt die Tiere und setzt ihnen zum Schluss die Äuglein auf. „Wie soll ich | |
das bloß wieder einpacken“, stöhnt er. Doch die Ware muss Luther trotzdem | |
verkaufen. Er erzählt, dass einer seiner Mitarbeiter mit dem Lastenrad | |
losziehen will. | |
Eigentlich ist es ein abwechslungsreiches Leben. Sein eigener Herr sein, | |
selbst Entscheidungen treffen und dabei unter Leuten sein – das liegt | |
Hartmut Luther, ein sportlicher Typ Anfang sechzig. Aber was nutzt das | |
ganze Unternehmertum, wenn man so sehr von Entscheidungen abhängt, die | |
andere treffen. Ein Plan B wäre schon gut, betont Luther noch mal. Und dann | |
diese Absurditäten! Luther muss seine Bude schließen, während zwanzig Meter | |
weiter aus einem Wagen weiter Eis verkauft wird. Ganz zu schweigen von den | |
Kaufhäusern und Läden ringsum, die alle offenstehen. Zwischendurch | |
telefoniert Luther mit seiner Freundin, hält sie auf dem Laufenden und weiß | |
doch selbst nicht, wie der Tag enden wird. | |
Nicht jeder ist so auskunftsfreudig. Unter der Glühweinpyramide versammelt | |
sich ein Dutzend Händler, Krisensitzung unter freiem Himmel. So grimmig wie | |
sie die Köpfe zusammenstecken, werden sie wohl gleich das Rathaus stürmen. | |
Oder die Glühweinbestände leeren. „Wir sagen nichts“, zischt eine | |
Händlerin. Plötzlich erscheint ein Händler und sagt vernehmbar: „Wir | |
könnten den Wintermarkt vorziehen.“ Nach ursprünglichem Plan sollte der | |
Wintermarkt mit denselben Buden, aber privatem Betreiber, nahtlos den | |
städtischen Weihnachtsmarkt ablösen. Falls man es schaffe, das Areal | |
einzuzäunen, könne der Winterzauber früher beginnen. | |
## Gezwungen, von Rücklagen zu leben | |
Etwas abseits, am Hansering, hat Familie Backhaus keine Hoffnung mehr. | |
Monika Backhaus, Anfang sechzig, sieht zu, wie ihr Mann hinter der | |
Weihnachtsbäckerei das dicke Stromkabel einrollt, immer wieder tupft sie | |
mit einem Tuch Tränen aus den Augen. Da hat Monika Backhaus Zertifikate | |
kontrolliert, hat Leute wieder weggeschickt, hat sich Beschimpfungen | |
angehört und jetzt werde sie die fünf Angestellten wohl wegschicken und | |
ihren Wagen einmotten müssen. Wovon sie jetzt leben soll? „Von den | |
Rücklagen“, sagt sie. Im vorigen Jahr habe man ihr einen zinslosen Kredit | |
angeboten. „Aber in unserem Alter nimmt man doch keinen Kredit mehr auf.“ | |
Ob Schausteller und Händler eine Entschädigung erhalten, ist offen. | |
Nochwirtschaftsminister Altmaier kündigte Unterstützung an, bisher hat der | |
Bund allerdings nur seine „Überbrückungshilfe“, die Ende des Jahres | |
ausgelaufen wäre, um drei Monate verlängert. Dabei geht es um Zuschüsse bei | |
den betrieblichen Fixkosten, nicht um entgangenen Umsatz und Gewinn. | |
Gunda Kniep hat allein für den [2][Aufbau ihres Weihnachtsmarkts] in Berlin | |
schon knapp 2 Millionen Euro in die Hand genommen. Anderen würde schwindlig | |
werden, Gunda Kniep bleibt zuversichtlich. Kniep, mit einer großen | |
Bommelmütze nicht zu übersehen, führt durch den „Weihnachtszauber“ auf d… | |
Gendarmenmarkt im Herzen Berlins, ihr ganzer Stolz. Der Markt, 2003 von | |
Kniep und ihrem Bruder gegründet, trumpft mit Kunsthandwerk und edler | |
Gastronomie an einem für Berlin geradezu heimeligen Ort auf, wo sich | |
tatsächlich so etwas wie eine „Nussknacker“-Stimmung einstellt. | |
Schon vor Monaten, die Inzidenz war minimal, habe sie entschieden, | |
freiwillig [3][2G-Regeln umzusetzen], erzählt Kniep. Nur so lasse sich | |
maximale Sicherheit bieten. Dreißig Kunsthandwerker, weil nicht geimpft, | |
seien sofort abgesprungen, berichtet sie. Gunda Kniep hat Ersatz gesucht, | |
die Abstände zwischen den Buden unmerklich vergrößert, Restaurants haben | |
aufgerüstet, eines wirbt mit „riesigen Luftreinigern“. | |
Zudem ist der Menschenstrom limitiert. 4.000 Gäste dürfen den Markt | |
gleichzeitig besuchen. Ein Bildschirm in der Marktleitung zeigt nicht nur | |
die Personenzahl, sondern auch die Dynamik. Jetzt sind 607 Menschen hier | |
unterwegs. Akribisch werde das von der Polizei überprüft. Weil Kniep | |
Eintritt verlangt, ist der Markt seit Jahren eingezäunt, Kontrollen sind | |
also jederzeit möglich. Allerdings ist der Aufwand in diesem Jahr enorm. | |
Hatte sie früher 20 Leute, sind es heute 60 bis 70, die Tickets verkaufen, | |
Zertifikate überprüfen und Ausweise kontrollieren. | |
## Schon ein Alkoholverbot würde ein Aus bedeuten | |
Eigentlich ist jetzt die beste Zeit, sich am „Weihnachtszauber“ zu | |
erfreuen, es gibt kein Gedränge an Ständen und in Restaurants. Die | |
Maskenpflicht, vom Senat bereits beschlossen, ist noch nicht in Kraft. | |
„Angeblich sollen die Regeln bis 19. Dezember gelten“, sagt Kniep | |
vorsichtig. An eine Schließung will sie gar nicht denken. Es muss | |
allerdings auch gar nicht so kommen, um dem Markt den Garaus zu machen. | |
Schon ein Alkoholverbot wäre das Aus, ist sie sich sicher. Ob das | |
Unternehmen wirtschaftlich ein Erfolg wird, darüber will Kniep nicht | |
spekulieren. Am vergangenen Sonnabend, so berichtet ihr Bruder im RBB, | |
seien 17.000 Gäste gekommen, ein Minus von 35 Prozent zum Jahr 2019. Seit | |
Montag gilt 2G plus. Freiwillig. | |
In Halle öffnet drei Tage nach dem glanzlosen Ende des Weihnachtsmarkts der | |
Wintermarkt hinter Zäunen. Halles Stadtsprecher Drago Bock ist zufrieden. | |
Die Citygemeinschaft, ein Verein von Innenstadthändlern, habe die | |
Organisation übernommen und in Windeseile Zäune aufgestellt. Stadt und | |
Stadtrat, räumt Bock ein, könnten weder so zügig entscheiden, noch hätten | |
sie das Geld, rund 250.000 Euro. Kritik am Konzept der Stadt weist Bock | |
zurück. Man habe „nachgeschärft“, doch mit dem Erlass aus Magdeburg sei d… | |
Aus besiegelt gewesen. Eigentlich ist der Wintermarkt so wie sein | |
Vorgänger, nur mit Zäunen und 2G-Regel. Kosten und Risiken tragen | |
allerdings Privatleute. Und die dürften bangen. | |
Bis Anfang Januar soll das Treiben dauern. Die Bund-Länder-Beratung am | |
Dienstag kündigte jedoch weitere Einschränkungen an. Clubs und Discotheken | |
dürfte bundesweit die Schließung drohen, sie könnten „nicht einfach | |
offenbleiben“, konstatierte der designierte Kanzler Olaf Scholz. Bei | |
Weihnachtsmärkten ist die Lage uneinheitlich. In mehreren Ländern sind sie | |
verboten, Berlin und Sachsen-Anhalt lassen sie unter strengen Auflagen | |
offen. Michael Müller, noch Regierender Bürgermeister Berlins, verteidigte | |
am Dienstag diese Entscheidung. | |
Und wie ist die Lage in Halle? Pressesprecher Bock ist mit dem Telefon zum | |
Fenster gegangen, schaut vom Ratshof hinunter auf den Markt. „Schön“, sagt | |
der, „die Leute sind sehr diszipliniert.“ Er klingt zufrieden. Nur der | |
Weihnachtsmann fehlt. | |
1 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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