| # taz.de -- Abschiebungen in den Iran: Bedeutung nicht erkannt | |
| > Bisher gibt es keinen Abschiebestopp für iranische Asylsuchende. Ein | |
| > Gericht urteilte 2017, dass das Ablegen des Kopftuchs nicht asylrelevant | |
| > sei. | |
| Bild: Roya Mosayebi (r.) wurde im Jahr 2000 in Nürnberg von der Polizei mit Ge… | |
| In nur wenigen Tagen haben die Proteste gegen die Herrschaft der Mullahs im | |
| Iran explosive Kraft gewonnen. Nachdem die Kurdin Mahsa Amini am 16. | |
| September nach ihrer Festnahme durch die Religionspolizei in der Hauptstadt | |
| Teheran starb, gehen Menschen in Massen [1][gegen das islamistische Regime | |
| auf die Straße]. Im Zentrum der Proteste steht dabei das Kopftuch, das zu | |
| tragen die Mullahs alle Frauen seit der „Islamischen Revolution“ im Jahr | |
| 1979 ab dem Alter von neun Jahren zwingen. Wer sich nicht daran hält, muss | |
| mit schweren Strafen rechnen. | |
| Die Linken-Chefin Janine Wissler [2][forderte angesichts der jüngsten | |
| Proteste „unkompliziertes Asyl“] für Menschen, die vor Misshandlungen oder | |
| Tod aus dem Iran fliehen. | |
| Welche Aussichten haben Menschen, die sich den Mullahs entgegengestellt | |
| haben, in Europa Zuflucht zu finden? Bisher keine allzu guten: Momentan | |
| gibt es keinen formalen Abschiebestopp, weder auf Bundes- noch auf | |
| Länderebene. In diesem Jahr haben bis Ende August rund 3.500 | |
| Iraner:innen einen Asylantrag gestellt. Etwa ein Drittel wurde vom | |
| Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anerkannt, 2021 war es nur ein | |
| gutes Viertel. Die meisten müssen Gnade vor den Verwaltungsgerichten | |
| erhoffen. | |
| Sind die entrechtenden Normen des Mullah-Regimes, wie etwa der | |
| Kopftuchzwang, ein Asylgrund für Frauen, die sich diesen nicht beugen | |
| wollen? Die Diskussion um diese Frage reicht lange zurück. Deutsche | |
| Behörden haben sie meist mit Nein beantwortet. | |
| 2006 brachte das Verwaltungsgericht Düsseldorf diese Haltung auf den | |
| eiskalten Satz: „Es ist ihr zuzumuten, sich hiermit abzufinden.“ Geklagt | |
| hatten damals zwei Iranerinnen, denen die Abschiebung drohte. Sie hatten | |
| unter anderem argumentiert, sich im Iran den religiösen | |
| Bekleidungsvorschriften unterwerfen zu müssen. Die kulturrelativistische | |
| Haltung des Gerichts lautete, dass das Kopftuch im Iran zur „öffentlichen | |
| Moral“ gehöre und deshalb keinen individuellen Schutzanspruch begründen | |
| könne. | |
| ## Der Kopftuchzwang sei „weltanschaulich neutral“ | |
| In jener Zeit kannten viele Ausländerbehörden und Gerichte keinerlei | |
| Skrupel, wenn es darum ging, Iranerinnen in ihre Heimat zurückzuschicken. | |
| Traurige Berühmtheit erlangte dabei der Fall der Iranerin Roya Mosayebi. | |
| Sie sollte im Jahr 2000 für ihre eigene Abschiebung bei der | |
| Ausländerbehörde Nürnberg Passfotos abgeben, damit die Behörde bei der | |
| Botschaft einen Pass beschaffen könne. | |
| Allerdings akzeptiert die Islamische Republik für diesen Zweck nur | |
| Passfotos mit Kopftuch. Mosayebi verachtete das Kopftuch und schickte Fotos | |
| mit offenem Haar. Die Ausländerbehörde ließ Mosayebi von der Polizei zur | |
| Wache bringen und ihr mit Gewalt ein Kopftuch anlegen. So wurde sie | |
| fotografiert – Zwangsverschleierung made in Germany. | |
| Einige Wochen später kam ein ähnlicher Vorfall aus Bremen ans Licht: Die | |
| [3][Bremer Ausländerbehörde] manipulierte das Foto einer iranischen | |
| Asylsuchenden. Von ihr hatte die Ausländerbehörde verlangt, Passfotos | |
| vorzulegen, auf denen sie verschleiert ist. Die Frau hatte das verweigert | |
| und Fotos ohne Kopftuch abgegeben. Die Behörde retuschierte mit Photoshop | |
| einen Schleier auf ihr Foto. | |
| In einem Eilverfahren billigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die | |
| Praxis der Stadt Nürnberg. Damals entschied das Gericht, dass die | |
| Religionsfreiheit der beiden Frauen nicht verletzt worden sei, da der | |
| iranische Kopftuchzwang „weltanschaulich neutral“ sei. So gehöre das | |
| Kopftuch nicht zum Kern der islamischen Glaubensüberzeugung, selbst wenn | |
| die entsprechenden Passbestimmungen religiös motiviert sein sollten. Ein | |
| Lichtbild mit Schleier werde von jeder iranischen Staatsangehörigen | |
| unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit verlangt. | |
| Die Zeiten haben sich allerdings geändert. In Deutschland ist seit | |
| Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 auch die geschlechtsspezifische | |
| Verfolgung ein anerkannter Asylgrund. Iranerinnen haben bessere Aussichten, | |
| mit Verweis auf die islamistische Rechtsordnung im Iran in Deutschland | |
| Schutz zu erlangen. | |
| Sicher ist das nicht: Noch 2017 urteilte das Verwaltungsgericht Nürnberg, | |
| dass Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen Kleidungsvorschriften nicht | |
| asylrelevant, sondern „Verfolgung wegen eines allgemeinen Straftatbestandes | |
| ohne politische Bedeutung“ sei. Es lehnte deshalb die Klage einer 2015 | |
| [4][aus Iran nach Deutschland geflüchteten Frau] ab. | |
| 27 Sep 2022 | |
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| [1] /Anhaltende-Proteste-in-Iran/!5883516 | |
| [2] https://www.rnd.de/politik/tod-von-mahsa-amini-im-iran-linken-chefin-wissle… | |
| [3] /Abschiebung-in-ein-unbekanntes-Land/!5815987 | |
| [4] /Nach-dem-Tod-von-Mahsa-Zhina-Amini/!5881370 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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