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# taz.de -- Frauenrechte im Iran: Protest mit kurdischem Antlitz
> Im gesamten Iran demonstrieren Menschen für mehr Frauenrechte. Dabei
> spielt auch die Diskriminierung von Kurd:innen eine große Rolle.
Bild: Der Tod der Kurdin Zhina Amini hat Massen mobilisiert
Berlin taz | Eine Gruppe bewaffneter Soldaten patrouilliert durch die
leeren Straßen einer Wohngegend am späten Abend. Ein kleiner Junge
beobachtet sie aus einem Fenster, ein Erwachsener steht neben ihm und
schiebt die Gardine vorsichtig zur Seite. Sekunden später zielt einer der
Soldaten auf das Fenster und schießt. Der kleine Junge duckt sich daraufhin
schnell vom Fenster weg. Das zeigt [1][ein Video] vom 23. September auf den
sozialen Medien. Der Ort? Die kurdische Stadt Bokan in der Provinz
West-Aserbaidschan im Nordwesten des Iran.
Seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Zhina Amini am 16. September wüten
massive Proteste in über 40 Städten im Iran. Begonnen haben die Proteste in
Seqiz, Aminis Heimatstadt in der Provinz Kurdistan im Westen des Landes.
Hier vermischt sich die Wut über den Tod Aminis mit der Kritik an der
systematischen Diskriminierung der Kurd*innen.
Die Proteste weiten sich schnell auf andere kurdische Städte wie Urmia,
Sardascht, Sine/Sanandaj und Bokan aus. Mittlerweile trägt nahezu das
gesamte Land die Proteste mit. Neben Forderungen zur Abschaffung des
Verschleierungszwangs rufen neben Kurd*innen auch Perser*innen,
Araber*innen, Aserbaidschaner*innen und Belutsch*innen Seite an
Seite Parolen gegen das repressive Regime.
Dabei kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
Demonstrant*innen und Sicherheitskräften. Bislang unbestätigte Videos
in den sozialen Medien zeigen nicht nur das Ausmaß der Gewalt, sondern
auch den revolutionären Charakter der Protestwelle, insbesondere in den
kurdischen Städten. Einige kurdische Social-Media-Accounts verbreiteten am
Freitagabend die Nachricht, dass die kurdische Stadt Shino sich der
Kontrolle des iranischen Staates entzogen habe.
Die erste kurdische Republik wurde immerhin 1947 im nur 95 Kilometer von
Shino entfernten Mahabad ausgerufen, erinnern die Politikwissenschaftlerin
Dastan Jasim und Journalist Pedram Zarei in Analyse & Kritik. Mittlerweile
sei die Stadt wieder unter militärischer Kontrolle des Regimes. Das
berichtet Hengaw, eine in Oslo ansässige Menschenrechtsorganisation. Solche
Berichte können bis dato nicht unabhängig überprüft werden. Laut der
Menschenrechtsorganisation [2][Iran Human Rights] (IHR) sind seit dem
Beginn der Protestwelle mindestens 54 Menschen ums Leben gekommen und
mehrere Hunderte verletzt oder verhaftet worden, Tendenz steigend.
Die meisten Toten sind Kurd:innen
Die landesweiten Proteste schlugen laut Onlinevideos immer wieder in Gewalt
um. Die Repressionen sind besonders stark in den kurdischen Gebieten. In
Piranschahr, Mahabad und Urmia schossen die Sicherheitskräfte den Aufnahmen
zufolge mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten. Die meisten
Getöteten sind daher Kurd*innen. Aber es gibt auch etliche weitere Opfer,
wie die 20-jährige Hadis Najafi*, die bei Protesten in Karaj, einem Vorort
von Teheran, ums Leben gekommen ist..
Die kurdischen Regionen sind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten.
Vergangene Woche hat die Regierung das Internet im ganzen Land weitgehend
lahmgelegt. Betroffen ist vor allem die Provinz Kurdistan, berichtet das
Projekt [3][Netblocks.org]. Unbestätigten Berichten zufolge soll dort der
Ausnahmezustand ausgerufen worden sein.
Am Samstag haben iranische Streitkräfte nach eigenen Angaben Stützpunkte
kurdischer Separatistengruppen im benachbarten Nordirak angegriffen. Der
militärische Angriff wurde als „legitime Reaktion“ auf vorherige Angriffe
kurdischer Gruppen auf iranische Militärbasen im Grenzgebiet
gerechtfertigt, wie die dem iranischen Militär nahestehende
Nachrichtenagentur Tasnim berichtete.
Einige sehen in den Angriffen eine Reaktion auf die Proteste in den
kurdischen Gebieten, denen es anscheinend laut sozialen Medien immer wieder
gelingt die Streit- und Sicherheitskräfte des Regimes zu vertreiben. Irans
Innenminister Ahmad Wahidi hatte zuvor einigen kurdischen Gruppen
vorgeworfen, an den regierungskritischen Protesten der vergangenen Tage im
Iran beteiligt gewesen zu sein. Laut der Regierung soll es auch kurdische
Waffenlieferungen an Demonstrant*innen in den Kurdengebieten Irans
gegeben haben.
Das iranische Regime bekämpft Kurd*innen im Iran seit Jahrzehnten mit
Gewalt. Dass Zhina Aminis Tod das gesamte Land jedoch derart mobilisieren
konnte, das hängt vor allem mit der Person Zhina Amini zusammen. Kurdische
Expert*innen weisen auf die mehrfache Diskriminierung Aminis hin.
Ihre Herkunft spiele für die Proteste durchaus eine Rolle. Vor allem als
Kurdin und als Frau aus einem wirtschaftlich schwachen Teil des Landes habe
sie die historische Frustration und Wut im Land in sich vereinen können und
so dazu beigetragen, dass auch viele weitere im Iran lebende Menschen
gemeinsam Seite an Seite den kurdischen Slogan „Jin, Jiyan, Azadi“ (auf
deutsch „Frau, Freiheit, Leben“) rufen und gegen ein jahrzehntelanges
System der Diskriminierung und Gewalt protestieren. Aktivisit*innen
sind überzeugt: Ohne Kurdistan, ohne Zhina Amini wäre dieser Protest
womöglich nicht machbar gewesen.
*Anm. der Red: Auf Twitter war am Samstag vielfach [4][ein Video geteilt
worden, dass die 20-jährige Hadis Najafi mit offenem Haar auf dem Weg zu
Protesten zeigen soll]. Am Sonntag wurde die Meldung verbreitet, dass Hadis
Najafi [5][bei den Protesten durch sechs Kugeln getötet worden sei].
25 Sep 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/i/status/1573436953009311750
[2] https://iranhr.net/en/
[3] https://netblocks.org/
[4] https://twitter.com/AlinejadMasih/status/1573629330357354496
[5] https://twitter.com/NatalieAmiri/status/1574040871338655750
## AUTOREN
Sham Jaff
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