| # taz.de -- 20 Jahre Guantánamo: Jeden Tag 9/11 | |
| > Nach dem 11. September 2001 übten viele Länder Solidarität mit den USA. | |
| > Die Stimmung kippte, zu oft verletzten die USA selbst Menschenrechte. | |
| Bild: 779 muslimische Jungen und Männer wurden in Guantánamo interniert | |
| Reingehen war einfach. Die Metallkäfige auf das üppig wuchernde tropische | |
| Gras stellen. Sie durch Container und später durch Betonbauten mit | |
| Klimaanlage ersetzen. Sie mit Wachtürmen und Stacheldraht umgeben. Und sie | |
| mit angeketteten, in Orange gekleideten Männern mit verbundenen Augen und | |
| Ohren füllen. Das konnte die Supermacht. Aber aus dem Schlamassel wieder | |
| herauskommen, das Gefangenenlager schließen, alle überlebenden Männer | |
| zurück ins Leben zu entlassen oder sie vor ordentliche Gerichte stellen, | |
| dazu ist sie auch zwanzig Jahre und drei Präsidenten später nicht in der | |
| Lage. | |
| Nachdem der Krieg in Afghanistan für die USA vorbei ist, bleibt Guantánamo | |
| als der Ort zurück, [1][an dem „9/11“] jeden Tag weitergeht. Zwar wird dort | |
| seit 2010 offiziell nicht mehr gefoltert. Aber es bleibt bei der | |
| Internierung ohne Prozess und ohne Enddatum. | |
| [2][Guantánamo sollte ein Ort der Rache] und der Stärke sein. „Wir werden | |
| die Verantwortlichen zur Strecke bringen und bestrafen“, hatte Präsident | |
| George W. Bush nach den Attentaten vom 11. September 2001 gesagt. Als im | |
| Januar 2002 die ersten Männer, die auf Schlachtfeldern in Zentralasien | |
| gefangen worden waren, in Guantánamo ankamen, fügte sein [3][Vizepräsident | |
| Dick Cheney] hinzu: „Sie sind die Schlimmsten von den Schlimmen und sehr | |
| gefährlich.“ Guantánamo wurde ein Ort der Niederlage. Folter und | |
| systematische Erniedrigung haben die Aufklärung über die Attentate nicht | |
| vorangetrieben. Sie haben Gefangene und Wärter traumatisiert. Sie haben das | |
| Vertrauen in die rechtsstaatlichen Institutionen der USA erschüttert. Und | |
| sie haben weltweit Hass auf das Land geschürt. | |
| Es hätte anders kommen können. Direkt nach den Attentaten in New York und | |
| Washington, bei denen 2.996 Menschen ums Leben kamen, haben sich weite | |
| Teile der Welt hinter die USA gestellt. Der Schulterschluss kam nicht nur | |
| aus Europa, wo Le Monde schrieb: „Wir sind alle Amerikaner“, sondern auch | |
| aus Ländern wie Iran, Libyen und Nordkorea, die den USA nicht unbedingt | |
| wohlgesinnt waren. Auch die kubanische Regierung drückte ihren Schmerz und | |
| ihre Solidarität aus und bot medizinische Hilfe an. | |
| ## Die Einreise in die USA ist ehemaligen Insassen verboten | |
| Die Chancen, die sich daraus ergaben, haben die USA verspielt. Sie | |
| entschieden sich für den Alleingang und offene Brutalität. Gegenüber | |
| al-Qaida machten sie sich die Grausamkeit ihres Feindes zu eigen. Von ihren | |
| Alliierten erwarteten sie uneingeschränktes Vasallentum – auch dann, wenn | |
| sie ihre eigene Verfassung, internationale Verträge und Menschenrechte mit | |
| Füßen traten. In ihrem Inneren schufen sie immer mehr Raum für | |
| Kriegstreiber in Politik, Militär und Geheimdiensten. Als der neue | |
| Präsident, Barack Obama, sieben Jahre nach der Eröffnung des | |
| Gefangenenlagers antrat, um es „in spätestens einem Jahr“ zu schließen, | |
| waren die Falken in Washington so stark geworden, dass sie den Plan | |
| torpedieren konnten. | |
| Die Militärbasis an der großen Naturbucht im Südosten von Kuba ist ein | |
| koloniales Überbleibsel. Wenn es in der Karibik zuginge wie im Norden | |
| Afrikas oder in Asien hätten die USA das 1903 von einem schwachen Regime in | |
| Havanna gepachtete Stück Land längst zurückgegeben. Doch sie hielten es | |
| fest und nutzten es für die Auslagerung von schmutzigen Geschäften. | |
| Die meisten der 779 muslimischen Jungen und Männer, die in den vergangenen | |
| 20 Jahren in Guantánamo interniert waren, werden nie erfahren, was ihnen | |
| vorgeworfen wurde oder wird. Die USA haben sie nicht angeklagt. Haben ihnen | |
| keine Gelegenheit gegeben, sich vor Gericht zu erklären. Und sie behandeln | |
| sie nach ihrem [4][„Transfer“ in Drittländer] weiterhin wie Verdächtige. | |
| Ein in der zweiten Amtszeit von Bush geschaffenes Bundesgesetz verbietet | |
| allen ehemaligen Guantánamo-Insassen, jemals einen Fuß auf den Boden der | |
| USA zu setzen. | |
| Dass in Guantánamo – und anderen Geheimgefängnissen der USA im Krieg gegen | |
| den Terror – Männer in Kisten gesperrt, aufgehängt, nackt in eiskalte | |
| Zellen geschlossen, bis fast zum Ersticken mit Wasser traktiert und von | |
| bellenden Hunden umzingelt worden sind, geschah auf Weisung aus Washington. | |
| Dort billigte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Jahr 2002 solche | |
| Techniken. Er erklärte ausdrücklich, dass dazu auch das Berauben der Sinne, | |
| Isolation und Stress gehören. | |
| ## 19 der Gefangenen sind für den „Transfers“ freigegeben | |
| Alle wussten, dass es Folter war. Und internationale Organisationen sowie | |
| Menschenrechtsgruppen wiederholten es regelmäßig. Aber an der US-Spitze | |
| prallte die Kritik ab. Sie wähnte sich im Recht, Unrecht zu tun. Sie prägte | |
| Begriffe, die ihr Treiben sprachlich normalisierten. Sie nannte die Folter | |
| „erweiterte Verhörtechniken“, das Vorgehen gegen al-Qaida „Krieg gegen d… | |
| Terror“, ihre Gefangenen, denen sie selbst das Kriegsrecht verweigerte, | |
| „feindliche Kämpfer“. | |
| Sie erfand immer neue Regeln für die „Militärkommissionen“, die unter | |
| Ausschluss der Öffentlichkeit auf dem Stützpunkt von Guantánamo tagen. Und | |
| sie transportierte im Laufe der Jahre Hunderte von in- und ausländischen | |
| Journalisten auf die Militärbasis, wo diese sich nur mit militärischer | |
| Eskorte bewegen durften und jedes Foto, das sie versenden wollten, einem | |
| Zensor vorlegen mussten. | |
| Mit Joe Biden ist jetzt ein weiterer Präsident im Amt, der sagt, dass er | |
| die Schließung von Guantánamo wünscht. Die Notwendigkeit einer Schließung | |
| des Lagers („Weil unsere Feinde es als Propaganda nutzen“) hatte bereits | |
| Bush am Ende seiner zweiten Amtszeit benannt. Die Chance, dass sich unter | |
| Biden Grundsätzliches ändert, ist nicht groß. Er hat andere Prioritäten. | |
| Hat – im Gegensatz zu Obama – nicht einmal einen Sonderbeauftragten | |
| ernannt, der versucht, das Lager abzuwickeln. Und er riskiert im kommenden | |
| November, die knappe Mehrheit seiner Partei im Kongress zu verlieren. | |
| ## 39 Männer sind noch interniert | |
| Nachdem Bush 532 und Obama 197, Trump keinen einzigen und [5][Biden bislang | |
| einen Gefangenen] in ein Drittland „transferiert“ haben, sind weiterhin 39 | |
| Männer in Guantánamo interniert. Die USA geben dafür jährlich 540 Millionen | |
| – oder 13 Millionen pro Gefangenen – aus. 19 der Gefangenen sind für den | |
| „Transfers“ freigegeben – davon manche bereits seit Jahren. Fast alle | |
| anderen könnten in Guantánamo sterben. Davon die meisten ohne Prozess. | |
| Die USA halten sie für zu gefährlich für die eigene Sicherheit, um sie | |
| freizulassen. Aber sie können sie nicht vor Gericht bringen, weil ihre | |
| Geständnisse illegal – unter Folter – zustande gekommen sind. In Guantána… | |
| kommt die Supermacht aus ihrer selbst gebauten Falle nicht heraus. | |
| 14 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-9/11/!t5112232 | |
| [2] /US-Gefangenenlager-Guantanamo/!5792821 | |
| [3] https://www.aljazeera.com/news/2005/6/14/cheney-defends-guantanamo-prison | |
| [4] /US-Gefangenenlager-Guantanamo/!5266852 | |
| [5] /Freilassung-aus-Guantanamo/!5787892 | |
| ## AUTOREN | |
| Dorothea Hahn | |
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