Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Besser: Ein Stinkstiefel namens Gauck
> Die Personalie Joachim Gauck zeigt, was rauskommt, wenn in diesem Land
> die meisten einer Meinung sind: nichts Gutes.
Jetzt also der. Jetzt bekommen die deutschen Medien den, den sie vor
anderthalb Jahren in seltener Einmütigkeit unbedingt haben wollten: "Der
bessere Präsident" titelte damals der Spiegel, "Yes we Gauck", ergänzte
extrem kreativ die Bild am Sonntag, und auch in der taz fragten die meisten
Kollegen nicht, welcher Teufel die Grünen und mehr noch die SPD geritten
hatte, diesen eitlen Zonenpfaffen aufzustellen, sondern waren pikiert, dass
die Linkspartei Joachim Gauck die Gefolgschaft verweigerte.
Einer erklärte den Genossen, warum es "klug und souverän" sei, Gauck zu
wählen, ein anderer meinte gar, die Linke "sollte diesen Mann verehren".
(Nee, das waren nicht die, die noch vor ein paar Wochen Christian Wulff als
Unsrigen herzten, ehe sie ihn als Raffke verabschiedeten; das waren
andere.)
Mag Gauck durch seine Wortmeldungen zu Thilo Sarrazin (fand er gut) und zur
Occupy-Bewegung (fand er doof) seither in dieser Zeitung und ihrem Milieu
einiges an Sympathien verloren haben, der "Präsident der Herzen" (Bild,
Spiegel, Solinger Tageblatt) ist er geblieben. Fragt sich bloß: Warum
eigentlich?
## Zwischen Walser, Steinbach und Effenberg
Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck ziemlich genau zu dem Moment
lautstark gegen die DDR zu protestieren, als dies nichts mehr kostete, um
sich hernach mit umso größerem denunziatorischen Eifer an die Aufarbeitung
der DDR-Geschichte zu machen. Dabei trieb ihn keineswegs ein sympathisches
grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen im Allgemeinen
und Geheimdiensten im Besonderen, das zuweilen unter amerikanischen
Konservativen zu finden ist.
Nein, Gauck ging es bloß um schnöden, gutdeutschen Antikommunismus. So
meinte er im Sommer vorigen Jahres zur Beobachtung von Politikern der
Linkspartei: "Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen
innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist
nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert
und Linke verfolgt." Alles, was Joachim "Behörde" Gauck an
Intellektualität, Freiheitsliebe und kritischem Geist zu bieten hat, steckt
bereits in diesen zwei Sätzen.
Freilich hat sich Gauck nicht erst nach seiner gescheiterten ersten
Kandidatur ideologisch zwischen Martin Walser, Erika Steinbach und Stefan
Effenberg verortet. Ein reaktionärer Stinkstiefel war er schon vorher.
So mag der künftige Bundespräsident keine Stadtviertel mit "allzu vielen
Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen", will das "normale Gefühl"
des Stolzes aufs deutsche Vaterland "nicht den Bekloppten" überlassen,
missbilligt es, "wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine
Einzigartigkeit überhöht wird", besteht darauf, dass der Kommunismus "mit
ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden
muss wie der Nationalsozialismus", trägt es den SED-Kommunisten nach, das
"Unrecht" der Vertreibung "zementiert" zu haben, indem "sie die
Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten", und
fragt – nicht ohne die Antwort zu kennen –, "ob Solidarität und
Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen".
Einem Apparatschik wie Wulff hätte man es hundertmal um die Ohren gehauen,
Leichenberge mit Aktenbergen zu verwechseln oder alleinerziehenden
Stützeempfängerinnen mangelnden Schwung vorzuhalten. Gauck aber kann sich
solchen Schmarren erlauben, weil er nicht im Verdacht steht, die
Parteiendemokratie zu vertreten. Und das gereicht in Deutschland, wo die
Existenz unterschiedlicher politischer Überzeugungen und konträrer
gesellschaftlicher Interessen als schädlich gilt und ihr offener Konflikt
als anrüchig, einem immer noch zum Vorteil.
## Der ideelle deutsche Gesamtpräsident
Deswegen merkt auch kaum jemand, wie viel antidemokratisches Ressentiment
im Gerede vom "Konsenskandidaten" steckt, das Gauck ins Amt tragen wird;
wie viel von der autoritären Sehnsucht wenn nicht nach dem Führer, so doch
wenigstens nach dem Kaiser, der mit sonorer Stimme und nachdenklicher Miene
vermeintlich tabubrecherische, in Wahrheit aber gefällige Ansichten zum
Besten gibt.
Kurz: Die Personalie Gauck zeigt, was dabei rauskommt, wenn in diesem Land
so gut wie alle einer Meinung sind (und die übrigen aus den falschen, weil
ostalgischen Gründen einer anderen): nichts Gutes. Aber Landestypisches. So
bekommt dieses Land demnächst einen Winkeaugust, der die Vorzüge seiner
Vorgänger in sich vereinigt: so freiheitsliebend wie Carstens, so pastoral
wie Rau, so dünkelhaft wie Weizsäcker, so marktgläubig wie Köhler, so
kernig wie Herzog, so geschmackvoll wie Scheel, so alt wie Heuß, so
irgendwas wie Wulff und – in den Augen seiner Fans – so integer wie
Heinemann. Schließlich, mit etwas Glück: so lustig wie Lübke. Der ideelle
deutsche Gesamtpräsident.
***
Besser: Besser geht’s nicht. Schade ist nur, dass er nicht gleich am
Donnerstag auf der Gedenkfeier für die Opfer der Nazimorde anstelle von
Wulff in die Bütt gehen wird. Andererseits: Der nächste Dönermord oder eine
andere Gelegenheit, um Ausländern die Meinung zu geigen, Verständnis für
die Überfremdungsängste seiner Landsleute zu zeigen, die Juden in die
Schranken zu weisen und klarzustellen, dass Nationalsozialisten auch nur
Sozialisten sind, findet sich ganz bestimmt.
20 Feb 2012
## AUTOREN
Deniz Yücel
## TAGS
Joachim Gauck
Besser
Besser
Besser
Besser
Sparprogramm
Besser
Schwerpunkt Iran
Besser
Schwerpunkt Deniz Yücel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Besser: Aspirin, Vitamin, Kokain – und Gauck
Gauck sprach in Rostock mal wieder über sein Lieblingsthema: sich selbst.
Und Lance Armstrong sollen alle Tourtitel aberkannt werden. Ein Stück über
Heuchelei.
Kolumne Besser: Die Welt ist kein Zoo
Der Ehrenmord an Arzu Özmen durch ihre fünf Geschwister wirft die Frage
auf: Ist jedes religiöse und kulturelle Brauchtum erhaltenswert?
Kolumne Besser: Im Zweifel deutsch
Grass, Sarrazin, Augstein: Wie man immer tiefer in die Scheiße rutscht und
trotzdem den Beifall eines Millionenpublikums bekommt.
Kolumne Besser: Deutschland, der Haustyrann Europas
Mal gegen die Schweiz, mal gegen Griechenland – Deutsche Politiker wünschen
sich ein Europa, das genauso untertänig ist wie die Deutschen.
Kolumne Besser: Ich, ich, ich, Deutschland, ich, Gauck!
Der Stinkstiefel hat seine erste Rede als Chef vom Ganzen gehalten. Was er
sich dabei gedacht hat und was er meinte.
Kolumne Besser: Claqueure der Mullahs
Der große Irrtum des deutschen Erstunterzeichnerkartells: es gibt kein
Menschenrecht auf Israelkritik.
Kommentar Gauck: Gauck und der Holocaust
Was der künftige Bundespräsident wirklich gesagt und was er gemeint hat.
Und wie er den Holocaust verharmlost. Eine Antwort auf die Kritik an der
Gauck-Kritik.
Joachim Gaucks Überhöhung: Der Prediger und die Projektion
Der andere Präsident: Wie der Rostocker Pastor Joachim Gauck in einen
Volkstribun verwandelt wurde. Ein kleines Lob des bundesdeutschen
Populismus.
Die Ossis übernehmen die Macht: Drüben geht die Sonne auf
Die Kanzlerin ist es, der künftige Präsident auch: Ossi. Sollen wir uns
darüber jetzt freuen oder was? Man ahnt: Die Ostler werden wieder was zu
meckern haben.
Linke und Migranten zu Gauck: Bürger gegen Joachim Gauck
Alle lieben diesen Mann. Wirklich alle? Linke Aktivisten und
Migrantenvertreter stimmen nicht in den Jubel über den
Präsidentschaftskandidaten Gauck ein.
Kommentar Gauck: Der falsche Kandidat
Joachim Gauck bleibt der, der er sowieso schon ist: der Falsche. Er kann
sich gar nicht neu erfinden, sonst verliert er seine Glaubwürdigkeit.
Jürgen Trittin über Gauck: "Politik des Zuhörens"
Der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht Gauck als jemanden, der auch
Dinge sagt, die seinen Wählern nicht gefallen. Und wertet dessen
Nominierung als Erfolg der Grünen.
First Lady Daniela Schadt: Ehrenamt für eine Karrierefrau
Daniela Schadt ist Vollblutjournalistin. Jetzt folgt ein nicht ganz
freiwilliger Berufswechsel. Die neue Frau im Schloss Bellevue – sie wird
eine alte Rolle spielen.
Wulff nach dem Rücktritt: Mein lieber Herr Gesangsverein!
Nach seinem Rücktritt gönnt sich Christian Wulff ein Rücktrittsbier – am
Stammtisch der Ex-Bundespräsidenten im Bürgerbräukeller. Die taz
dokumentiert das Gespräch.
Kolumne Besser: Der heiße Scheiß
Daunenjacken statt Erdbeereis, fade Warmbettglückseligkeit und
Smalltalk-Themen mit blöden Leuten.
Blamable Bundespräsidenten: Vollpfosten in Amt und Würden
Bundespräsident Christian Wulff soll "das Amt beschädigt" haben. Dabei hat
dieses Amt schon so manchen peinlichen Vorgänger ertragen.
Kolumne Geburtenschwund: Super, Deutschland schafft sich ab!
In der Mitte Europas entsteht bald ein Raum ohne Volk. Schade ist das
nicht. Denn mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner
vermissen wird.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.