# taz.de -- Kolumne Besser: Deutschland, der Haustyrann Europas | |
> Mal gegen die Schweiz, mal gegen Griechenland – Deutsche Politiker | |
> wünschen sich ein Europa, das genauso untertänig ist wie die Deutschen. | |
Europa hat einen neuen Zuchtmeister: Der heißt Deutschland und schön ist | |
das nicht. Weil die Schweizer Ermittlungsbehörden ihre Arbeit tun, also | |
gegen deutsche Steuerfahnder [1][vorgehen], die im Verdacht stehen, sich | |
auf strafbare Weise Kontodaten verschafft zu haben, haben die Schweizer für | |
den Moment die Griechen als Lieblingsobjekt deutschen Zuchtmeistertums | |
abgelöst und zählen Bestimmungen des Schweizer Strafrechts so wenig wie | |
sonst nur der demokratische Wille der griechischen Wählerinnen und Wähler. | |
Mal schauen, ob zuerst die Griechen den von Angela Merkel ins Gespräch | |
[2][gebrachten] Sparkommissar vorgesetzt bekommen oder die Schweizer einen | |
Bankkommissar. | |
Natürlich, es ist nicht dasselbe, ob man den Zumwinkel und die Seinigen in | |
ihrem Krähwinkel aufspürt ([3][Stefan Ripplinger]) oder ob man griechischen | |
Rentnern nach ihrem Gnadenbrot trachtet. Doch der Kraftsprech ist derselbe, | |
und dieser gehört inzwischen ebenso zur deutschen Außenpolitik wie der | |
bescheidende [4][Hinweis], man möge die neue deutsche Weltmachtrolle nicht | |
überbewerten. | |
## Moralisch aufgeladenes Obermackertum | |
„Einst war Deutschland stark und böse, dann schwach und gut – heute ist es | |
stark und gut“, [5][beschrieb] der Tagesspiegel vor einiger Zeit diese neue | |
Rolle in ebenso rührend naiver wie grenzenlos selbstgefälliger Weise. Und | |
weil auch der Gutmütigste ab und zu mit der Faust auf den Tisch hauen muss | |
(Jesus im Tempel!), hauen auch deutsche Politiker ab und zu mit der Faust | |
auf den Tisch – na gut, nicht unbedingt, wenn es um wirtschaftlich | |
interessante Staaten mit zweifelhaftem demokratischen Leumund geht; da | |
können sie mit Engelsgeduld einen ebenso end- wie fruchtlosen "Dialog" | |
führen. Aber umso mehr, wenn es um demokratisch verfasste Staaten geht, die | |
das Pech haben, geografisch wie politisch zu nah an Deutschland zu liegen. | |
Bemerkenswert ist nicht allein dieses moralisch aufgeladene Obermackertum, | |
bemerkenswert ist auch, dass in der deutschen Öffentlichkeit, anders als im | |
Rest der Welt, kaum jemand Anstoß daran nimmt - und wenn, dann nur, weil | |
man die deutsche Regierung noch zu milde findet. | |
## Venceremos, Jürgen Trittin! | |
Das gilt etwa für Jürgen Trittin, der das Vorgehen der Schweizer | |
Staatsanwaltschaft für „skandalös und an Dreistigkeit kaum zu überbieten“ | |
[6][befindet] und von Finanzminister Wolfgang Schäuble verlangt, endlich | |
Kante zu zeigen. Noch vor einiger Zeit drohte Peer Steinbrück mit der | |
Kavallerie in die Schweiz einzufallen; vielleicht kommt Trittin demnächst | |
auf die Idee – die Grünen laufen stets dann zur Bestform auf, wenn sie | |
ihren Opportunismus in Folklore kleiden -, Internationale | |
Steuerzahlerbrigaden aufzustellen, um diese in den Kampf gegen das | |
Schweinesystem über die Alpen zu schicken. Venceremos! | |
Dabei kann Trittin auf ebenso viel Zuspruch hoffen wie bei seinem letzten | |
fabelhaften Einfall, als er vorschlug, einen gewissen ostzonalen | |
Stinkstiefel ins Amt des Bundespräsidenten zu [7][befördern]. | |
Zwar fehlt diesmal die Partei der organisierten Steuerhinterziehung, dafür | |
ist die | |
Links-ist-dort-wo-der-Staat-ist-und-wo-es-nichts-zu-lachen-gibt-Partei mit | |
von der Partie. | |
Jedenfalls entspringt das Ressentiment gegen die „da oben“, die den Staat | |
betrügen und ihr Schwarzgeld auf Schweizer Nummernkonten lagern, derselben | |
psychosozialen Disposition wie das Ressentiment gegen Stützeempfänger, die | |
uns auf der Tasche liegen und sich mit Schwarzarbeit dumm und dämlich | |
verdienen. | |
Und wenn die deutschen Finanzämter nach Abermilliarden an ganz legalen | |
Steuergeschenken für die Bourgeoisie – nicht zuletzt aus den Händen jener | |
Bundesregierung, der der Volkstribun Trittin als Minister angehörte - nach | |
„Steuersündern“ fahnden, ist es nur gerecht, wenn sie bei jedermann ganz | |
genau hingucken. Wir müssen alle dasselbe Boot enger schnallen und sitzen | |
alle im selben Gürtel oder wie es Altstinkstiefel Roman Herzog einmal | |
[8][formulierte]: „Alle müssen Opfer bringen.“ | |
Übertragen auf Europa heißt das: Das Ressentiment gegen die Schweiz ist | |
dasselbe wie jenes gegen Griechenland; das Schweizer Nummernkonto ist | |
genauso mythisch wie der Müßiggang in griechischen Tavernen – und wird mit | |
derselben Mischung aus Angst und Neid betrachtet. | |
## Wenn alle bluten, ist alles gut | |
Auch sonst bestehen zwischen Griechen und Schweizern neben allen | |
Unterschieden – die einen sind lebensfroh genug, als dass sie sich jemals | |
in einer Volksabstimmung gegen eine Verlängerung der gesetzlichen | |
Urlaubstage aussprechen würden; die anderen sind friedfertig genug, als | |
dass sie jemals ihre eigenen Stadtzentren in Schutt und Asche legen und | |
immerzu Verschwörungen gegen sich wittern würden – auch Gemeinsamkeiten. | |
In beiden Ländern herrscht eine tiefe Skepsis gegen die Obrigkeit; in | |
beiden Ländern können – oder konnten bislang – die Regierenden nicht auf | |
jenen Untertanengeist hoffen, mit dem man hierzulande so herrlich regieren | |
kann (jedenfalls so lange man nicht die Nachtruhe irgendwelcher Anwohner | |
stört oder potthässliche Bahnhofsburgen ihrem verdienten Ende zuführen | |
will). | |
Mir muss es nicht besser gehen, lautet die deutsche Logik; Hauptsache, der | |
Andere blutet auch irgendwie. Nicht von ungefähr erinnert dies an den | |
griesgrämigen Haustyrannen und dessen Lied von den Füßen unter seinem Tisch | |
und ist genauso hässlich und falsch. Denn was sind schon | |
Steuerbegünstigungen in der Schweiz gegen Lohndumping in Deutschland, was | |
sind griechische Schulden berge gegen deutschen Sparwahn? Nicht viel, | |
versichern Leute, die es besser [9][wissen]. | |
Aber womöglich ist das der Traum deutscher Politiker: Mit dem moralischen | |
Rigorismus jener, die sich als Kämpfer für die gute Sache wähnen, den Rest | |
Europas so gefügig zu machen wie die eigene Bevölkerung, mit der sich auch | |
in der größten Krise prima Staat machen lässt. | |
Besser: Besser man rückt Deutschland nicht zu nah. Und wer kann, packt | |
seine Alpen und Inseln in Umzugskartons und zieht in Gefilde, in denen der | |
Haustyrann nichts zu melden hat. | |
3 Apr 2012 | |
## LINKS | |
[1] /Steuersuender-CD-aus-der-Schweiz/!90718/ | |
[2] /Sparkommissar-fuer-Griechenland-gefordert/!86632/ | |
[3] http://jungle-world.com/artikel/2008/11/21328.html | |
[4] http://www.welt.de/politik/deutschland/article13848243/Der-Abzug-ist-nicht-… | |
[5] http://www.tagesspiegel.de/meinung/kraft-ohne-protz-deutschlands-neue-fuehr… | |
[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,825240,00.html | |
[7] http://www.titanic-magazin.de/postkarten.html?&card=15202&cHash=327… | |
[8] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1997/… | |
[9] http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/breitseite-gegen… | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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