# taz.de -- Kolumne Besser: Der heiße Scheiß | |
> Daunenjacken statt Erdbeereis, fade Warmbettglückseligkeit und | |
> Smalltalk-Themen mit blöden Leuten. | |
Was ist der heiße Scheiß? Nicht dass Syriens Machthaber Assad nun mit der | |
Billigung Russlands, Chinas und den Ganz-ganz-Linken aus der Linkspartei | |
seine Untertanen nach Gutdünken niedermetzeln kann, nicht dass man | |
allenthalben erwartet, Israel möge seelenruhig ansehen, wie die Mullahs | |
ihre Vernichtungsphantasien auf eine atomare Grundlage stellen, nicht die | |
Kolonialherrenart, mit der europäische und vor allem deutsche Politiker mit | |
Griechenland umspringen, nichts von alledem ist der heiße Scheiß, auch | |
nicht der großartige BVB oder die weniger großartigen Bayern, nix mit | |
Twitter, nicht einmal Madonna. | |
Der heiße Scheiß ist - nein, diesen Reim verkneifen wir uns jetzt - es ist | |
jedenfalls sehr kalt. | |
Was aber ist das schlimmste an der Kälte? Besser kennt die elf besten | |
Argumente: | |
1. Die Kälte ist kalt. Das ist offensichtlich, muss aber mal gesagt werden | |
dürfen. | |
2. Die Kälte ist unpolitisch. Im wohlwollenden Sinne heißt Politik die | |
Aushandlung des gesellschaftlich Machbaren und Wünschenswerten. Der | |
Scheißkälte aber sind Facebook-Gruppen, Leitartikel oder Meinungsumfragen | |
scheißegal. Kein Krieg kann ihr etwas anhaben und keine Revolution. Sich | |
mit der Kälte abfinden heißt sich damit abfinden, dass die Dinge so sind, | |
wie sie nun mal sind. | |
3. Die Kälte ist doof. Ihretwegen können wir weder Erdbeereis essen noch | |
die Miniröcke der Mädchen genießen, schreibt Franz Josef Wagner und hat wie | |
immer recht. | |
4. Die Kälte schweißt zusammen. Plötzlich hat man sich mit wildfremden | |
Menschen oder mit welchen, die man gut genug kennt, um jede Unterhaltung | |
mit ihnen zu meiden, ein gemeinsames Gesprächsthema. Eine ähnliche Wirkung | |
hat sonst allenfalls die Fußballweltmeisterschaft. Aber da kann man | |
wenigstens anderer Meinung sein. | |
5. Die Kälte tötet. Menschen erfrieren und kriegen ins Armengrab dumme | |
Metaphern ("soziale Kälte") hinterhergeworfen. | |
6. Die Kälte ist reaktionär: Plötzlich sind Erkenntnisse aus 2.500 Jahren | |
Philosophie weit weniger wert als irgendwelche obskuren Regeln eines | |
Berufsstandes, dessen Ignoranz sonst sprichwörtlich ist. | |
7. Die Kälte macht hässlich: Man trägt Wohlfühlsocken und Dauenjacken, | |
wickelt sich in Wollschals oder zieht sogar Thermoleggings an, um nur ein | |
bisschen weniger zu frieren. | |
8. Die Kälte macht genügsam. Die Aussicht auf ein paar Tage auf irgendeiner | |
öden Vulkaninsel erscheinen wie das Versprechen auf den Garten Eden, eine | |
dampfende Tasse Tee, ein heißes Bad, ein warmes Bett werden zum Inbegriff | |
des Glücks und plötzlich scheinen die Verzichtsprediger richtig zu liegen, | |
die lehren, man möge diese kleinen Dinge wertschätzen. Oder irgendwer sagt, | |
dass es schon mal schlimmer war (Stalingrad, Steckrübenwinter, Holiday on | |
Ice). | |
9. Die Kälte ist kitschig: Es wird gekuschelt, dass es kracht und bedauert, | |
wer nichts zum Kuscheln hat. | |
10. Die Kälte ist kompliziert. Denn so kalt es auch ist, wird das Klima, | |
wie Experten versichern, wärmer. Das verstehe, wer will. | |
11. Die Kälte ist kein heißer Scheiß. Und das ist das Allerschlimmste. | |
6 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
## TAGS | |
Besser | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |