# taz.de -- Alte Menschen, weniger Geburten: Super, Deutschland schafft sich ab! | |
> In der Mitte Europas entsteht bald ein Raum ohne Volk. Schade ist das | |
> aber nicht. Denn mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner | |
> vermissen wird. | |
Bild: Halbe Sachen waren nie deutsche Sachen: So wie Vollkornbrot. Oder der tot… | |
BERLIN taz | Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als | |
Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaftlich (so mit Zahlen und | |
Daten) und amtlich (so mit Stempel und Siegel) erwiesen: Deutschland | |
schafft sich ab! | |
Nur 16,5 Prozent der 81 Millionen Deutschen, so hat das Statistische | |
Bundesamt ermittelt, sind unter 18 Jahre alt, nirgends in Europa ist der | |
Anteil der Minderjährigen derart niedrig. Auf je 1.000 Einwohner kommen nur | |
noch 8,3 Geburten – auch das der geringste Wert in Europa. | |
Besonders erfreulich: Die Einwanderer, die jahrelang die Geburtenziffern | |
künstlich hochgehalten haben, verweigern sich nicht länger der Integration | |
und leisten ihren (freilich noch steigerungsfähigen) Beitrag zum | |
Deutschensterben. | |
## Volkssportarten Jammern und Ausländerklatschen | |
Noch erfreulicher: Die Ossis schaffen sich als Erste ab. Während im Westen | |
die Zahl der Minderjährigen in den vergangenen zehn Jahren um 10 Prozent | |
gesunken ist, ging sie im Osten um 29 Prozent zurück. Die Sandys, Mandys | |
und Jacquelines pfeifen auf das neue deutsche Mutterkreuz ("Elterngeld") | |
und tragen nach Kräften dazu bei, dass den ostdeutschen Volkssportarten | |
Jammern, Opfersein und Ausländerklatschen in absehbarer Zeit der Nachwuchs | |
ausgehen wird. | |
Woran Sir Arthur Harris, Henry Morgenthau und Ilja Ehrenburg gescheitert | |
sind, wovon George Grosz, Marlene Dietrich und Hans Krankl geträumt haben, | |
übernehmen die Deutschen nun also selbst, weshalb man sich auch darauf | |
verlassen kann, dass es wirklich passiert. Denn halbe Sachen waren nie | |
deutsche Sachen ("totaler Krieg", "Vollkornbrot"); wegen ihrer | |
Gründlichkeit werden die Deutschen in aller Welt ein wenig bewundert und | |
noch mehr gefürchtet. | |
Nun ist schon so manches Volk ohne das gewalttätige Zutun anderer von der | |
Bühne der Geschichte abgetreten: Die Etrusker wurden zu Bürgern Roms, die | |
Hethiter gingen im anatolischen Völkergemisch auf, die Skythen verschwanden | |
irgendwo in den Weiten der Steppe. | |
## Eine Nation, die mit ewiger schlechter Laune auffällt | |
Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner | |
schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur | |
Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen | |
Namen und Gesicht verliehen und, wie Wolfgang Pohrt einmal schrieb, den | |
Krieg zum Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit gemacht zu haben; | |
eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter | |
Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die | |
Dutzende Ausdrücke für das Wort "meckern" kennt, für alles Erotische sich | |
aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur | |
verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese | |
freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden. | |
Apropos Sprache: Die Liste jener deutschen Wörter, die sich nicht oder nur | |
mit erheblichem Bedeutungsverlust in andere Sprachen übersetzen lassen, | |
illustriert, was der Welt mit dem Ableben der Deutschen verlustig ginge: | |
Blitzkrieg, Ding an sich, Feierabend, Gemütlichkeit, Gummibärchen, | |
Hausmeister, Heimweh, Kindergarten, Kitsch, Kulturkampf, | |
Lebensabschnittsgefährte, Nachhaltigkeit, Nestbeschmutzer, Ordnungsamt, | |
Querdenker, Realpolitik, Schlager, Spaßvogel, Tiefsinn, Torschlusspanik, | |
Vergangenheitsbewältigung, Volksgemeinschaft, Weltanschauung, | |
Wirtschaftswunder, Zwieback. | |
Welcher Mensch von Vernunft, Stil und Humor wäre betrübt, wenn diese Wörter | |
und mit ihnen die ihnen zugrunde liegenden Geisteshaltungen verschwinden? | |
Eben. | |
## Mehr Zärtlichkeit für den Schäferhund als für die Sprache | |
Der Erhalt der deutschen Sprache übrigens ist kein Argument dafür, die | |
deutsche Population am Leben zu erhalten. Denn der Deutsche und das | |
Deutsche haben miteinander etwa so viel zu schaffen wie Astronomie und | |
Astrologie. Oder besser noch: wie Lamm und Metzger. "Für seinen Schäferhund | |
und seine Wohnzimmerschrankwand empfindet der Deutsche mehr Zärtlichkeit | |
als für seine Sprache", bemerkte Thomas Blum einmal. Im Interesse der | |
deutschen Sprache können die Deutschen gar nicht schnell genug die Biege | |
machen. | |
Nun, da das Ende Deutschlands ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, | |
was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald in der Mitte Europas | |
entstehen wird: Zwischen Polen und Frankreich aufteilen? Parzellieren und | |
auf eBay versteigern? Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen | |
Bedürftigen schenken? Zu einem Naherholungsgebiet verwildern lassen? Oder | |
lieber in einen Rübenacker verwandeln? | |
Egal. Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal. | |
4 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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Kolumne | |
Thilo Sarrazin | |
Deutschland | |
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