# taz.de -- Sarrazin und die SPD: Wer schafft jetzt wen ab? | |
> Da die SPD ihn selber nicht rausschmeißen wird, wollen Sarrazins Gegner | |
> jetzt, dass er das selbst erledigt. Wie schwierig das alles zu vermitteln | |
> ist, weiß man in der Partei. | |
Bild: Soll bitte von alleine gehen: Thilo Sarrazin. | |
BERLIN dapd | Nach dem gescheiterten Parteiausschluss gegen den früheren | |
Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin fordern ihn seine Gegner jetzt zum | |
freiwilligen Austritt aus der SPD auf. Niedersachsens SPD-Landeschef Olaf | |
Lies sagte am Mittwoch, das Ende des Verfahrens sei schwer zu vermitteln. | |
Dagegen verteidigten der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi | |
und der konservative Seeheimer Kreis in der SPD die Einigung mit Sarrazin. | |
Die Grünen attestierten der SPD einen Rechtsruck. Vertreter von Juden und | |
Muslimen warfen der SPD Feigheit vor. | |
Mehrere SPD-Organisationen hatten in der vergangenen Woche nach | |
Verhandlungen einer Schiedskommission ihre Ausschlussanträge gegen Sarrazin | |
zurückgezogen. Vorausgegangen war eine Erklärung des früheren Politikers | |
und Bundesbankers, wonach er keine sozialdemokratischen Grundsätze | |
verletzen oder Migranten diskriminieren wollte. Hintergrund sind Thesen | |
Sarrazins zur Integration in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab". | |
Lies sagte, Sarrazin solle Größe zeigen, die SPD vor Schaden bewahren und | |
freiwillig austreten. "Wäre ich in seiner Situation, würde ich jetzt | |
Verantwortung übernehmen und die Partei schützen und sie deshalb | |
verlassen", sagte der niedersächsische Landespolitiker. Dennoch sei das | |
Ende des Ausschlussverfahrens richtig gewesen. Eine monatelange Diskussion | |
über einen Ausschluss hätte Sarrazin viel zu viel Öffentlichkeit gegeben | |
und der Partei sowie dem Thema Integration geschadet. | |
Lies räumte ein: "Es wird nicht einfach sein, den Menschen zu erklären, | |
dass wir eine solche Entscheidung treffen mussten, obwohl wir uns mit dem | |
Bauch nicht wohl dabei fühlen." Er habe Verständnis für jeden, der diese | |
Entscheidung nicht auf Anhieb nachvollziehen kann. | |
Dohnanyi sagte, die Einigung mit Sarrazin sei nicht vorher abgesprochen | |
gewesen. Sarrazin hatte Dohnanyi als Verteidiger vor der | |
SPD-Schiedskommission engagiert. Dohnanyi räumte ein, Sarrazins Buch sei | |
kompliziert und nicht immer transparent. Sarrazin sei vielfach | |
missverstanden worden. Er hoffe, dass der frühere Berliner Finanzsenator | |
künftig selbst Missverständnisse verhindern helfe. | |
Der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs sagte: "Ich kann die | |
Entscheidung nachvollziehen. Es bringt nichts, weiter darüber zu streiten." | |
Der Chef der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer, | |
forderte seine Partei auf, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten. "Die SPD | |
ist die Partei mit der größten Meinungsvielfalt. Wir müssen | |
Meinungsverschiedenheiten aushalten", sagte er. | |
## Sarrazin spaltet | |
SPD-Präsidiumsmitglied Joachim Poß sagte, die SPD stehe im Fall Sarrazin | |
vor einem schwierigen Balanceakt. Es handele sich um ein "absolutes | |
Spalterthema". Die Frage sei, ob sich der umstrittene Ex-Senator des | |
"Vernunftversuchs" als würdig erweise, den die SPD-Schiedskommission | |
angeboten habe. "Nach meiner Erfahrung wird es Sarrazin der Partei nicht | |
leichter machen", sagte Poß. | |
Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet | |
Kilic warf der SPD vor, sie werbe um Wähler am rechten Rand des | |
Parteienspektrums. Für die Grünen sei das indiskutabel. Wenn das | |
Gedankengut Sarrazins in der SPD salonfähig werde, disqualifiziere sie sich | |
für mögliche rot-grüne Bündnisse in Berlin und im Bund. | |
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, | |
warf der SPD vor, sich um eine klare, schonungslose Auseinandersetzung mit | |
Sarrazin und seinen Thesen zu drücken. "Wir brauchen mehr Politiker, die | |
für ihre Werte stehen und kämpfen, auch wenn ihnen der raue Wind mal | |
entgegen schlägt", sagte Mazyek. | |
## Generalsekretär des Zentralrats will in der SPD bleiben | |
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan | |
Kramer, sagte, der Verzicht auf einen Ausschluss Sarrazins sei kein | |
glorreicher Tag in der Geschichte der SPD gewesen. "Es wäre richtig und | |
besser gewesen, für einen Ausschluss Sarrazins zu kämpfen, auch auf das | |
Risiko einer Niederlage hin", kritisierte Kramer, der SPD-Mitglied ist. Er | |
wolle in der Partei bleiben, allein um sie nicht den Sarrazins und dessen | |
Sympathisanten zu überlassen. "Die SPD war historisch auch immer die Partei | |
von Juden in Deutschland und sie sollen auch zukünftig hier eine politische | |
Heimat haben", sagte Kramer. Der Gründer des Arbeitskreises jüdischer | |
Sozialdemokraten, Sergey Lagodinsky, hatte wegen der Entscheidung zu | |
Sarrazin seinen Parteiaustritt erklärt. | |
27 Apr 2011 | |
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Schwerpunkt Deniz Yücel | |
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