| # taz.de -- Nach der Oper direkt zur Beatles-Party: Schluppenblusen-Rubber-Soul | |
| > Gastgeber freuen sich über hungrige Gäste und das richtige Outfit. Aber | |
| > was, wenn das Neonlicht zu sehr blendet? | |
| Bild: Nach der Oper auf eine Beatles-Party? Das geht, wirft aber Fragen bei der… | |
| Vergangene Woche war die vestimentäre Fragestellung komplex: Was zieht man | |
| an, wenn man zuerst [1][in die Oper Carmen] und dann direkt auf eine | |
| Beatles-Party geht? Dass Rüschenröcke jeglicher Art sowie Oberteile mit | |
| nervig (oder „neckig“!!??) an den Schultern runterrutschenden Ärmeln von | |
| vornherein ausscheiden, muss ich nicht extra erwähnen, mal abgesehen davon, | |
| dass solcherlei Kita-Klamottenkisten-Quatsch sich zu keinem einzigen | |
| Beatles-Album kombinieren ließe, nicht mal zu „Sgt. Pepper“. | |
| Und die Party hatte das Motto „Rubber Soul“, also eigentlich Lederjacken | |
| und Rollkragenpullover – die gehen wiederum nicht zur Deutschen Oper. Ich | |
| löste das Problem durch Anzug plus Schluppenbluse und stellte damit | |
| hoffentlich sowohl George Harrison als auch Georges Bizet zufrieden. | |
| Doch im Wochenende lauerte eine neue Herausforderung: Was zieht man an | |
| beziehungsweise übers Gesicht, wenn man auf eine Galerie-Party geht, bei | |
| der gefühlt über 1.000 Lux herrschen? Dabei trägt das Jubiläumsfest „25 | |
| Jahre friendly capitalism lounge“ ja schon im Titel, dass es sich bei den | |
| Gästen vermutlich nicht ausschließlich um „spring chicken“ handelt. Auf d… | |
| anderen Seite tut das dem Reiz natürlich keinen Abbruch. Zudem sehen | |
| [2][Boomer und GenX] eh meistens nicht mehr richtig gut. | |
| So schaute ich am Freitag in der Neurotitan-Galerie glücklich in die | |
| unscharfen Gesichter scharfer Menschen, lehnte mich aus Versehen an schöne | |
| Kunst, hörte Grateful Cat und [3][Neoangin] zu und sinnierte angesichts der | |
| von einer neuen, aus Jeans Team hervorgegangenen Instrumentalband namens | |
| Elektroservice dargebotenen Version von James Lasts „Biscaya“ darüber nach, | |
| wie lange es dauert, bis Sounds mit etwas anderem behaftet werden. | |
| ## 112 mit Tofu | |
| Ich meine, „Biscaya“ – hätte man je im Leben geglaubt, dass die | |
| Tittenquetsche, wie wir das Akkordeon in der Boomer-Kindheit abschätzig | |
| nannten, es noch mal als Leadinstrument auf eine großartige Party schaffen | |
| würde? Zudem Elektroservice diese maritime Sehnsuchtsmelodie mit einer | |
| Melodica interpretierten – da weiß man gar nicht, ob das vom Regen in die | |
| Traufe bedeutet oder ob die Melodica tatsächlich in eine neue | |
| Coolness-Phase eintritt. | |
| Die allerdings nicht mehr ganz so neu ist: Die Endmelodie bei „Everything | |
| Counts“ von Depeche Mode und der über jeden Coolness-Zweifel erhabene Damon | |
| Albarn in „Clint Eastwood“ zeigten ebenfalls nie Berührungsängste mit dem | |
| Musikalische-Früherziehungs-Sound. | |
| Auch der Samstagabend startete mit einer freundlichen Erinnerung an die | |
| Vergänglichkeit: In einem Restaurant, in dem das Self-Order-Terminal größer | |
| war als das Fenster, fiel mir ein, wie sich in einem Café vor Jahren | |
| ungefragt ein Mann mit Man Bun an meinen Tisch gesetzt und begonnen hatte, | |
| auf seinem Handy herumzutippen. „Ich halte die Plätze für meine Freunde | |
| frei“, hatte ich zögernd gesagt. „Ich will doch nur deine Bestellung | |
| aufnehmen“, hatte er zurückgegeben. Dabei fand ich immer beeindruckend, | |
| wenn Kellner:innen wissen, was „die 112 mit Tofu“ in Wirklichkeit | |
| bedeutet, weil sie die geheime, numerische Fremdsprache des Menüs | |
| verinnerlicht haben. | |
| Sonntag schmiss ich mich erneut in Schale und nahm eine Adventseinladung an | |
| – der Dezember ist der billigste Monat, was die Verpflegung betrifft, und | |
| ich arbeite daran, dass das so bleibt. Ich gehe zu jeder Weihnachtsfeier, | |
| nehme zum Outfit passende, reißfeste Tüten mit und schäme mich nicht, mit | |
| Hunger aufzuschlagen. Gastgeber:innen freuen sich, wenn man zugreift, | |
| das ist meine Erfahrung. Sonntagabend kugelte ich gefüllt mit anderer Leute | |
| Plätzchen zurück nach Hause und überführte mitgenommene Salat- und | |
| Dip-Reste stante pede in den Kühlschrank. Die nächste Woche ist kulinarisch | |
| somit schon gerettet. | |
| 8 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Carmen-am-Berliner-Gorki-Theater/!6061934 | |
| [2] /Die-Einsamkeit-von-alten-Maennern/!6110162 | |
| [3] /Multitalent-Jim-Avignon-im-Interview/!5300903 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
| ## TAGS | |
| Kulturkolumnen | |
| Ausgehen und Rumstehen | |
| Kultur in Berlin | |
| The Beatles | |
| Oper | |
| Ausgehen und Rumstehen | |
| Queer | |
| Ausgehen und Rumstehen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schiller auf dem Klo: Sturm und Drang gegen Dunkelheit und Kälte | |
| Wenn man sich darauf einlässt, ist Berlin noch für eine künstlerische | |
| Überraschung gut. Nach drei Stunden Theater schmerzen die Glieder aber doch | |
| etwas. | |
| Abschied vom SchwuZ: Immer ungeprobt oder overthinked | |
| Der Queer-Club SchwuZ in Berlin-Neukölln ist insolvent und schließt. Doch | |
| bei aller Melancholie: Eine Clubnacht ist keine Trauerfeier. | |
| Flanieren im Berliner Stadtbild: Über die Spree und es zieht wie Hechtsuppe | |
| In Kreuzberg, Neukölln und im Plänterwald kann man auch übers Stadtbild | |
| reden, da begegnen einem nämlich Füchse, Waschbären und Die Sterne. |