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# taz.de -- Neues Album von Say She She: Herzschmerz in der Disco
> Die New Yorker Band Say She She kommt mit ihrem fabulösen Album „Cut &
> Rewind“ für zwei Konzerte nach Deutschland. Was macht ihre Musik so
> besonders?
Bild: Dreistimmige Harmonien im superelastischen Rhythmusraster: Say She She au…
Ein Londoner Atelier, dessen ganze Einrichtung aus einem kleinen Teppich
besteht. Sieben Tage am Stück bleiben die Tänzerin Isadora Duncan und der
Regisseur Edward Gordon Craig dort, als sie sich im Prä-Disco-Jahr 1904
kennenlernen. So schreibt Duncan in ihren Memoiren über den Beginn dieser
[1][stürmischen Beziehung.]
Mit dem Album „Cut & Rewind“ von Say She She stellt sich ein ähnlich
schockverliebter Zustand ein. Die Musik der siebenköpfigen New Yorker Band
besteht aus Gesang und Groove. Dreistimmige Harmonien im superelastischen
Rhythmusraster (Bass, Gitarre, Drums, Keyboard). Erschaffen von den
Sängerinnen Piya Malik, Sabrina Mileo Cunningham und Nya Gazelle Brown
sowie den vier Musikern Dan Hastie, Sam Halterman, Dale Jennings und Sergio
Rios (zugleich Produzent).
Der Sound von Say She She ist temperamentvoll und zugleich elegant. Er
sorgt für einen Sog, wie an der Eingangsschleuse von Kaufhäusern, wo einem
von der stehenden Luft die Haare zu Berge stehen. Auf inzwischen drei Alben
versammelt das US-Septett Ohrwürmer mit Soul-, Funk- und Discoschlagseite;
radiotauglich, Tiktok-fähig, nur beste Zutaten verwendend, en point
arrangiert, hochprozentig destilliert, bis dass der Retro wasserdicht
klingt. Snippets reichen, um sofort davon süchtig zu werden.
## Dröhnt wie Sturmklingeln
Warum funzt das so? Weil der Sound von Say She She zwar slick klingt, aber
nie ehrfürchtig daherkommt oder gar selbstzufrieden, sondern als Wille, das
angehäufte Knowhow prägnant in Szene zu setzen. Hier eine Gesangsharmonie,
die dröhnt wie ein Sturmklingeln, dort ein Bassriff, das spritzt wie
Bratfett. „Rough cuts get radio ready / Luggin’ weight / We carry it heavy
/ Grind grind / Cut and rewind / Reading all the billboards / Searching for
signs“, heißt es gleich in der ersten Strophe vom titelgebenden
Auftaktsong.
Obwohl, „Cut & Rewind“, zurückspulen und trotzdem auf die Kosten kommen,
wird für Say She She immer schwieriger. Als „Grind“, als Knochenmühle, hat
die female fronted Band ihre Existenz in Interviews öfters beschrieben,
trotz ausverkaufter Konzerte und langer Tourneen kämen sie kaum noch über
die Runden.
Gegründet wurden Say She She 2020. Der Sage nach in einem Mietshaus an der
Lower East Side. Malik und Cunningham hatten dort als Nachbarinnen beim
Gesangüben zwangsweise der jeweils anderen zugehört, dünner Zimmerwände sei
Dank. „Wir haben erst gesungen und dann geredet.“ Dritte im Bunde ist die
Londonerin Nya Brown, die die beiden anderen 2022 bei einer Dachparty in
Harlem aufgegabelt haben. Alle drei sangen seit Kindheitstagen in Chören.
Say She She, der Projektname ist [2][Referenz an Nile Rodgers von Chic] und
dessen frankophile Ader (im Bandnamen Chic und im Signatursong „Le Freak“).
Wer jetzt an Eskapismus denkt oder an Menschen, die auf die Tanzfläche
gehen wie Lemminge zu den Klippen, liegt falsch. Zur Wahrheit des
1970er-Jahre New York gehört: Funk und Disco konnten nur im Rezessionsklima
gedeihen. Die Stadt war damals von dem Immobilienspekulanten Fred Trump,
Vater des amtierenden US-Präsidenten, in den Ruin getrieben worden.
## Fontäne aus Champagner
Musikjournalist [3][Peter Shapiro] hat in seinem Buch „Turn the Beat
Around“ über die gesellschaftlichen Verwerfungen jener Jahre geschrieben.
Die Champagnerfontäne von Disco war eine Reaktion der abgehängten
hispanischen, afroamerikanischen und queeren Künstler:innen.
Der eingängigste unter allen eingängigen Songs von Say She She heißt denn
auch „Disco Life“. Er bezieht sich auf die „Disco-Demolition-Night“ des
Radio-DJs Steve Dahl. Dieser hatte anlässlich eines Baseballspiels in
Chicago Discoalben auf dem Spielfeld des Stadions Comiskey Park verbrannt,
woraufhin der Platz gestürmt wurde. Nile Rodgers erinnerte dies an die
Bücherverbrennung der Nazis. Ein bisschen hat sich der MAGA-Größenwahn von
heute bestimmt von damals inspirieren lassen.
„We’re taking back the major league / A playing field where all are free“,
singen Say She She im Song, dessen Refrain „Never had a Disco Life“ lautet.
Wenn sie also mit „Cut & Rewind“ Bezug auf die unheilvolle Geschichte
nehmen, tun das Say She She mit dem Gefühl von Ohnmacht vor dem jetzigen
Popen im Weißen Haus. Ihre Musik ignoriert die US-Krise keineswegs, sie
wendet sich mit Verve gegen das Unheil und verweist auf seine lange
Vorgeschichte.
28 Nov 2025
## LINKS
[1] /Graphic-Novel-ueber-Taenzerin-Isadora-Duncan/!5717918
[2] /Ausstellung-zum-Club-Studio-54/!5779061
[3] /Erinnerungen-ans-Berliner-Nachtleben/!5057794
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Popmusik
Disco
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Frauen
Musik
Soul
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