| # taz.de -- Wehrpflicht: Koalition schafft es zur Musterung | |
| > Union und SPD beschließen: Der Wehrdienst bleibt freiwillig. Doch die | |
| > Pflicht zur Musterung kommt. | |
| Bild: Na, Interesse? Soldat der Marine in Wilhelmshaven | |
| Am Ende stellen es alle so dar, als wollten sie nie etwas anderes: Von der | |
| Union über die SPD bis zum Verteidigungsminister selbst zeigten sich am | |
| Donnerstag alle glücklich und hochzufrieden über die erzielte Einigung beim | |
| neuen Wehrdienst. Dabei ist es vor allem Minister Boris Pistorius (SPD), | |
| der sich an zentralen Stellen gegenüber den Fraktionen im Bundestag | |
| durchsetzten konnte. „Wir haben einen sehr guten Kompromiss und ein sehr | |
| gutes Gesetz gefunden“, sagte er in Berlin. Die Auseinandersetzungen der | |
| Vergangenheit seien nun Geschichte. | |
| Pistorius ist damit an sein vorläufiges Ziel gelangt: Der neue Wehrdienst | |
| kommt, und er soll freiwillig sein. Verpflichtend wird dagegen für junge | |
| Männer die Musterung, und das bereits ab dem 1. Januar. Diese | |
| flächendeckende Musterung bezeichnete der Verteidigungsminister als einen | |
| „entscheidenden Punkt“ für den angestrebten Aufwuchs der Truppe. | |
| An diesem Punkt hatte sich die Koalition zuletzt verhakt: Eine gemeinsame | |
| [1][Arbeitsgruppe von Union und SPD hatte sich vor einem Monat auf ein | |
| Losverfahren geeinig]t, mit dem junge Männer zur Musterung über ein | |
| Zufallsprinzip ausgewählt werden sollten. Pistorius hatte diesen Vorstoß, | |
| der zunächst auch von seiner eigenen Fraktionsspitze mitgetragen wurde, | |
| scharf kritisiert. Er wollte die flächendeckende Musterung aller jungen | |
| Männer. | |
| Am Donnerstag wollte dann niemand mehr etwas von Streit wissen. Falko | |
| Droßmann, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, gab sich gar handzahm, | |
| nachdem er zuletzt noch als Teil der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe | |
| erheblichen Verbesserungsbedarf an dem Entwurf des | |
| Verteidigungsministeriums gesehen hatte. „Ich freue mich, dass es gelungen | |
| ist, aus dem sehr guten Entwurf der Bundesregierung einen noch besseren | |
| Entwurf des Parlaments zu machen“, sagte er nun. | |
| ## Röttgen: Hat sich gelohnt | |
| Ähnlich sah man es auf Seiten der Union. „Mein Rückblick auf das | |
| Gesetzverfahren ist geprägt von der Frage, ob es sich gelohnt hat“, sagte | |
| deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Norbert Röttgen. „Das bejahe | |
| ich heute uneingeschränkt.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sprach | |
| gleich von einem „mustergültigen Verfahren“, das „beispielgebend für die | |
| Arbeit in der Regierung“ gewesen sei. | |
| Das ist eine zumindest eigenwillige Interpretation der vergangenen Wochen, | |
| die kommunikativ eher in Richtung eines heillosen Chaos deutete. [2][Nach | |
| der Einigung innerhalb der Bundesregierung] folgte eine Verschiebung der | |
| Beratungen im Parlament, um dann innerhalb der Koalitionsfraktionen den | |
| Entwurf zu entkernen. Weitere Schritte führten zu einer aufgeregten | |
| Fraktionssitzung der SPD, die in einer kurzfristig abgesagten | |
| Pressekonferenz mündete, auf der eigentlich eine Einigung präsentiert | |
| werden sollte. | |
| Konkret sieht das Gesetz vor, dass ab dem 1. Januar alle 18-Jährigen einen | |
| Fragebogen zu ihrer Motivation für einen Dienst bei der Bundeswehr | |
| erhalten. Männer müssen diese Fragen beantworten, für Frauen ist das | |
| freiwillig. Um möglichst viele für einen freiwilligen Dienst zu gewinnen, | |
| sind Anreize wie eine monatliche Vergütung von rund 2.600 Euro brutto und | |
| ein Zuschuss zum Führerschein vorgesehen. | |
| Die Pflicht zur Musterung gilt für Männer, die ab dem Januar 2008 geboren | |
| wurden. Hierfür müssen allerdings noch die Strukturen aufgebaut werden, was | |
| laut dem Verteidigungsministerium bis Mitte 2027 dauert. Zunächst sollen | |
| daher diejenigen gemustert werden, die zur Bundeswehr gehen oder einen | |
| Dienst unter allen Umständen verweigern wollen. Nach Angaben Pistoriusʼ | |
| soll für eine verpflichtende Musterung nach den Geburtstagen vorgegangen | |
| werden. Wer im Januar Geburtstag hat, kommt also früher dran. | |
| ## Bis zu 270.000 Soldat*innen im Jahr 2035 | |
| Die Einigung sieht außerdem vor, dass es für jedes Jahr Zielkorridore gibt, | |
| wie viele neue Leute gewonnen werden sollen. Im kommenden Jahr liegt die | |
| Zielgröße dabei zwischen 186.000 und 190.000 aktiven Soldat*innen. 2035 | |
| soll die angestrebte Spanne dann zwischen 255.000 und 270.000 liegen. | |
| Derzeit verfügt die Bundeswehr ungefähr über 183.000 Soldat*innen im | |
| aktiven Dienst. Das Bundesverteidigungsministerium soll dem Bundestag | |
| künftig halbjährlich eine genaue Übersicht über die Personalzuwächse | |
| zusammenstellen. | |
| Anhand dieser Daten möchte der Bundestag dann gegebenenfalls über eine | |
| Wiedereinführung einer Wehrpflicht entscheiden. Denn anders als von der | |
| Union ursprünglich gefordert, soll es künftig keinen Automatismus in diese | |
| Richtung geben, wenn über die angestrebten Attraktivitätssteigerungen nicht | |
| genügend Soldat*innen gewonnen werden können. | |
| Die Linke kritisierte das Vorhaben deshalb als „Vorbereitung zu der | |
| Einführung einer Wehrpflicht“. Die verteidigungspolitische Sprecherin der | |
| Fraktion, Desiree Becker, sagte der taz, die Koalition habe damit den | |
| Streit um eine Wehrpflicht einfach vertagt. „Man hat sich mit 270.000 | |
| Soldatinnen und Soldaten absichtlich ein sehr hohes Ziel gesetzt“, sagte | |
| sie. | |
| 13 Nov 2025 | |
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| Cem-Odos Gueler | |
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