| # taz.de -- Bundesweite Schüler:innenproteste: Fridays gegen Wehrdienst | |
| > Bundesweit rufen Bündnisse zum Schulstreik gegen Musterung und | |
| > Wehrpflicht auf. Die taz hat sich bei Streikwilligen und | |
| > Jugendorganisationen umgehört. | |
| Bild: Hier wird schulgestreikt | |
| ## Ruben O., 16, geht auf ein Gymnasium in Grunewald | |
| Ich streike, um darauf aufmerksam zu machen, wie scheiße die | |
| Bundesregierung mit uns umgeht. Das [1][Gesetz hat sie ohne unsere | |
| Zustimmung entworfen], ohne sich mit uns Schülern abzusprechen. Warum | |
| sollten 70-Jährige im Bundestag über unser Leben bestimmen? Wir wollen frei | |
| entscheiden, was wir nach der Schule machen, und nicht verpflichtend | |
| lernen, andere Menschen zu erschießen. Auch die Verpflichtung von nur | |
| männlichen Personen ist nicht mehr zeitgemäß. | |
| Meine Schule ist eher konservativ. Die Eltern haben eher eine konservative | |
| Meinung und die Schüler auch. Das Meinungsbild aber ist gemischt. Viele | |
| sagen, das ist echt kacke, ich will nicht zur Bundeswehr. Einige männliche, | |
| aber auch weibliche Stimmen haben die Wehrpflicht dagegen sehr begrüßt. An | |
| meiner Schule wollte ich Plakate für den Streik aufhängen, aber das haben | |
| sie uns verboten. Sie meinten: Wir als Schule halten uns aus politischen | |
| Dingen heraus. | |
| Ich bin an der Organisation der Streiks beteiligt. Ich könnte mir gut | |
| vorstellen, dass es regelmäßige Streiks werden. Eine Hauptmotivation ist, | |
| dass ich dieses Jahr die Ehre hatte, zwei Zeitzeugen aus dem 2. Weltkrieg | |
| zu treffen. Einer erzählte von der Angst damals, dass jederzeit eine Bombe | |
| aufs Haus fallen könnte. Der andere sagt, dass er 12 Jahre alt war, als er | |
| seinen Bruder das letzte Mal gesehen hat. Das sind Ängste und Schicksale, | |
| die kein Mensch auf der Welt haben sollte. | |
| Ich muss laut aktuellem Gesetzentwurf auf jeden Fall zur Musterung. Das | |
| möchte ich nicht. Mit einem verpflichtenden Wehrdienst kommt man dem Krieg | |
| einen Schritt näher. Ein Freund von mir ist dieses Jahr zur Bundeswehr | |
| gegangen. Schon mit der Menge an Leuten aus seinem Jahrgang sind sie dort | |
| völlig überlastet. Da sehe ich keinen Platz für weitere | |
| Wehrdienstleistende. Ich möchte selbst nicht an die Waffe. Wie soll man | |
| überhaupt neue Menschen dazu zwingen, den Wehrdienst zu leisten, wenn sie | |
| keine Lust haben? Das bringt der Bundeswehr auch nichts, wenn Leute nur | |
| hingehen, weil sie müssen. | |
| ## Paul Schürholz, 25, Mitorganisator im „Nein zur Wehrpflicht!“-Bündnis … | |
| Berlin | |
| Sie fordern die Wehrpflicht ein, weil angeblich in naher Zukunft Putin vor | |
| Berlin stehen wird. Doch diese Begründung teile ich nicht. Es gibt | |
| [2][Studien, zum Beispiel von Greenpeace Berlin], die verdeutlichen, dass | |
| das Kräfteverhältnis das jetzt schon nicht zulassen würde. Auch ohne | |
| Wehrpflicht. Das zeigt, dass diese Befürchtung nicht der wahre Hintergrund | |
| der Wehrpflicht ist, sondern dahinter steht eine andere, aggressive | |
| Zielsetzung. | |
| Schüler:innen organisieren sich in vielen deutschen Städten. Daran sieht | |
| man, wie viele keine Lust auf den Wehrdienst haben. Der Bundestag wird den | |
| Gesetzesentwurf am Freitag wohl trotzdem beschließen. Also wird es auch | |
| weiter Proteste geben. Man kann die Bewegung im Ansatz mit Fridays for | |
| Future vergleichen. | |
| Ich persönlich möchte auch nicht im Krieg sterben. Ich bin mit 25 relativ | |
| alt, aber in ein paar Jahren werde ich vielleicht auch eingezogen. Viele | |
| Jugendliche in Deutschland haben einen familiären Background im Zweiten | |
| Weltkrieg. Das kann eine Motivation sein, den Krieg abzulehnen – und sich | |
| gegen die Wehrpflicht zu engagieren. | |
| ## Maria Trende, 18, vom Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium in Friedrichshain | |
| Ich bin zwar Jahrgang 2007 und nicht direkt betroffen, aber viele meiner | |
| Freunde und Freundinnen. Mein Vater und mein Onkel mussten in der DDR zur | |
| Armee. Mein Vater erzählt immer, wie schrecklich das war. Mein Urgroßvater | |
| ist im 2. Weltkrieg verschollen. Generell sieht meine Familie Armee und | |
| Kämpfen als schlecht an, wir sind eher für Frieden und diplomatische | |
| Lösungswege. Als Freundin, Tochter und Nichte hat der Wehrdienst auch | |
| Auswirkungen auf mich. | |
| Ich würde nicht für Deutschland kämpfen wollen. Ich fühle mich als | |
| Weltbürgerin und nicht als Deutsche. Ich will nicht gegen Menschen kämpfen, | |
| die nichts gemacht haben, außer in einem anderen Land zu wohnen. Ich glaube | |
| nicht, dass man Konflikte mit Gewalt lösen kann. In Anbetracht der Lage mit | |
| Russland und der Ukraine ist es gerade schwierig. Viele sagen: Mit Putin | |
| kann man nicht reden, und wenn die USA aus Verpflichtungen austritt, muss | |
| sich Europa selbst wehren. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass Krieg eine | |
| Lösung ist. Wenn man im Kindergarten lernt, sich friedlich zu wehren, dann | |
| sollten Politiker:innen das nicht verwerfen. Vielleicht ist das auch | |
| naiv oder utopisch gedacht. | |
| Es ist bewiesen, dass Generalstreiks, also auch Schulstreiks, am | |
| effektivsten sind. Wenn man nicht mehr arbeitet und fehlt, dann ist viel | |
| deutlicher, wie viele Menschen betroffen sind. Ich gehe oft streiken, | |
| deswegen sind Fehlstunden im Zeugnis für mich nichts Neues. Mir ist | |
| wichtiger, für meine Zukunft zu kämpfen, als im Unterricht zu sein. | |
| Bei Fridays for Future (FFF) gab es viele Einschüchterungsversuche seitens | |
| der Schulleitung. Zum Schulstreik gegen die Wehrpflicht kam bisher noch | |
| nichts, aber es gibt Lehrer, die sagen, wir haben eine Klausur, bitte kommt | |
| trotz des Streiks. Leider gibt es auch Lehrer, die sagen, wenn man streikt, | |
| muss man statt der Klausur einen Vortrag halten. Für einige Schüler ist das | |
| zu viel Aufwand und sie bleiben dem Streik deshalb fern. | |
| Ich kann mir vorstellen, dass es öfter zu diesen Streiks kommen wird, da | |
| das Problem nicht verschwindet. Es lohnt sich immer weiter zu streiken. | |
| Auch wenn der neue Gesetzentwurf mich als Frau nicht betrifft, will ich | |
| meine Stimme nutzen, für die, die es vielleicht nicht können. | |
| Ron Dekel, 23, Vorsitzender der Jüdischen Studierenden-Union JSUD | |
| Viele Jüdinnen und Juden in Deutschland wissen, was es bedeutet, sich | |
| verteidigen zu müssen. Etwa 90 Prozent der hier lebenden Jüdinnen und Juden | |
| kommen aus dem postsowjetischen Raum, ein großer Teil von ihnen hat einen | |
| direkten Bezug zur Ukraine. Wir haben aber gleichzeitig das Gefühl, dass | |
| die Debatte um die Wehrpflicht geführt wird, ohne Nachfahren von | |
| NS-Verfolgten zuzuhören. | |
| Ich wünsche mir, dass mehr marginalisierte Stimmen zu Wort kommen. Damit | |
| meine ich nicht nur Jüdinnen und Juden. Sinti und Roma haben eine ähnliche | |
| Geschichte, die wert ist, Gehör zu finden. Denn in Talkshows äußern sich | |
| Leute aus der Mehrheitsgesellschaft. Sie können nicht nachvollziehen, wie | |
| es ist, als Nachfahre von Holocaustüberlebenden oder als Mensch aus einer | |
| diskriminierten Gruppe in der Bundswehr dienen zu müssen. Das verzerrt die | |
| Debatte extrem, sie bildet damit nicht die postmigrantische Gesellschaft | |
| ab, die so oft zitiert wird. | |
| Als Vertreter:innen der jüdischen Studierenden besorgen uns vor allem | |
| zwei Punkte. Einerseits der eklatante Anstieg der AfD, die möglicherweise | |
| eines Tages die Bundeswehr führt. Schon jetzt häufen sich rechtsextreme | |
| Vorfällen in der Bundeswehr, etwa in Chatgruppen oder wenn Rechtsextreme | |
| dort Geräte und Munition stehlen. Es ist nicht tragbar, als jüdische Person | |
| in so ein Umfeld und in so eine Organisation gezwungen zu werden. | |
| Andererseits der Blick in die Geschichte: Im 1. Weltkrieg haben mehr als | |
| 100.000 Juden für das Kaiserreich gedient. Als dann die Niederlage drohte, | |
| gab es die sogenannte Judenzählung, Jüdinnen und Juden wurde die Schuld | |
| gegeben im Zuge der Dolchstoßlegende. Wenige Jahre später haben die | |
| ehemaligen Kameraden, mit denen sie Seite an Seite gekämpft hatten, | |
| Jüdinnen und Juden dann in den Gaskammern ermordet. | |
| Das entlarvt die Rede von der Bundeswehr als vereinendem Element in der | |
| Gesellschaft, wo Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten in Kontakt | |
| kommen. Das Militär führt nicht zwangsläufig zu Inklusion und Einigkeit, es | |
| ist kein Allheilmittel gegen gesellschaftliche Spaltungen. | |
| Bis 2011 gab es eine untergesetzliche Regelung: Jüdinnen und Juden, deren | |
| Eltern, Großeltern oder andere nahe Angehörige im Nationalsozialismus | |
| verfolgt wurden, waren vom Wehrdienst zurückzustellen. Konkret fordern wir, | |
| dass diese Regelung weiter Bestand hat, auch über die dritte Generation | |
| hinaus. Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus dürfen nicht zum | |
| Dienst an der Waffe gezwungen werden. Das Recht auf Verweigerung steht zwar | |
| im Grundgesetz, aber die Sorge bleibt, dass es am Ende faktisch nicht | |
| möglich sein wird, sich dem zu entziehen. | |
| 4 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marlene Thaler | |
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