| # taz.de -- Schwarzmarkt nach Cannabis-Legalisierung: Ernüchternde Ernte | |
| > Mit dem Cannabisgesetz sollte durch Social Clubs der Schwarzmarkt | |
| > verdrängt werden. Den Clubs aber wird es schwergemacht, der Schwarzmarkt | |
| > brummt. | |
| Bild: Cannabisanbau mit Aussicht | |
| Ein „richtiges Scheißgesetz“ sei das, was die Ampelregierung mit der | |
| [1][Teillegalisierung von Cannabis] auf den Weg gebracht hat. So äußerte | |
| sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt vor Kurzem bei der Vorstellung | |
| eines neuen Lageberichts des BKA zur organisierten Kriminalität. Im | |
| Zusammenhang mit diesem Thema kam er auf Drogen zu sprechen, auf Drogentote | |
| und eben die Teillegalisierung. Wer Kiffer nicht gesetzlich verfolgt, | |
| fördert das ganze Drogenelend samt Kriminalität auch noch, so etwas in der | |
| Art wollte er zum Ausdruck bringen mit seinen Worten, die vom | |
| Social-Media-Team seiner CSU als „Klartext“ beworben wurden. Einmal mehr | |
| hat Dobrindt die Forderung der Union bekräftigt, das drogenpolitische | |
| Vermächtnis der Vorgängerregierung ohne Wenn und Aber verschwinden zu | |
| lassen. | |
| Das wollen die laut Schätzungen fast 5 Millionen Cannabiskonsumenten in | |
| Deutschland sicherlich nicht. Aber wer sich einmal mit dem beschäftigt hat, | |
| was unter dem ehemaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) | |
| gesetzgeberisch auf den Weg gebracht wurde, um Kiffern eigentlich das Leben | |
| zu erleichtern, kommt kaum herum, Alexander Dobrindt auch ein wenig | |
| beizupflichten. In vielerlei Hinsicht ist es schließlich wirklich scheiße, | |
| das neue Cannabisgesetz. | |
| Mario Gäde, Vorstand der Cannabis-Anbauvereinigung White Lake Weed in | |
| Berlin, der sich mit der Materie gut auskennt, formuliert es so: „Das fängt | |
| schon an mit den 50 Gramm Cannabis oder 50 Gramm Hasch, die als | |
| Besitzmengen erlaubt sind. Wer sich so etwas ausdenkt, hat von vorneherein | |
| nichts verstanden. Hasch ist schließlich unglaublich viel potenter als | |
| Cannabisblüten. Das ist wie ein Ziegelstein im Vergleich zu einem Sack | |
| voller Federn. Schon hier zeigt sich: Das komplette Gesetz ist null | |
| durchdacht.“ | |
| Eineinhalb Jahre nach seiner Einführung hat sich eigentlich nur bestätigt, | |
| was von vornherein befürchtet wurde: das Gesetz ist zu kompliziert und | |
| unpraktikabel. Zu dem Schluss kommen auch die Experten der | |
| Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf und Düsseldorf, sowie der | |
| Universität Tübingen in ihrer eben vorgestellten ersten | |
| [2][Zwischenevaluierung] der Teillegalisierung. Darin betonen sie noch | |
| einmal die primären Ziele der ehemaligen Ampelregierung: Konsumenten den | |
| Zugang zu legalem und nicht verunreinigtem Cannabis zu ermöglichen und den | |
| Schwarzmarkt zurückzudrängen. Und sie weisen darauf hin, auf welche Art und | |
| Weise diese vornehmlich erreicht werden sollen: Durch Anbauvereinigungen | |
| wie die von Mario Gäde, die möglichst flächendeckend ihre Mitglieder in | |
| ganz Deutschland mit selbst angebautem Gras versorgen, und das ohne | |
| Gewinnabsichten. | |
| Die wenigen hundert Vereine, die es bereits gibt, würden jedoch bei Weitem | |
| nicht ausreichen, um eine signifikante Auswirkung auf den Schwarzmarkt zu | |
| haben, mehrere tausend sollten es dafür schon sein, so die Wissenschaftler. | |
| Um das zu erreichen, so die Empfehlung, müsste dafür gesorgt werden, dass | |
| die Bürokratie es den Anbauvereinigungen, den Social Clubs, in Zukunft | |
| leichter macht. | |
| Als das neue Cannabisgesetz beschlossen wurde, war die Euphorie ja erst | |
| einmal groß. Ein paar Hanfpflanzen hochzuziehen und einen Verein zu | |
| gründen, [3][das kann ja wohl nicht so schwer sein], dachten sich viele. | |
| Doch schnell stellte sich heraus, „wie behördlich deutsch der Wind ist, der | |
| da weht“, wenn man sich um eine Lizenz als Anbauvereinigung bemüht, so | |
| Mario Gäde. Der Antrag seines Vereins für eine Genehmigung sei erst 70 | |
| Seiten, dann 90 und am Ende 130 Seiten dick gewesen, als er dann endlich | |
| durchgewunken wurde, sagt er. Hinter ihm liege eine schier endlose Odyssee, | |
| auf der er sich mit dem Finanzamt, der Berufsgenossenschaft, Versicherungen | |
| und dem Bauamt hat herumplagen müssen. Und all das, um seit diesem Juli an | |
| gerade einmal 120 Mitglieder ein paar frische Cannabisblüten abgeben zu | |
| können, damit die sich nach Feierabend auch mal einen Joint anzünden | |
| können. Mitglieder zu finden sei gar nicht mal so einfach aufgrund des ihm | |
| auferlegten Werbeverbots, so Gäde. Auf der Homepage seines Vereins gibt es | |
| letztlich nicht mehr zu finden als lediglich ein Impressum, aus Angst, dass | |
| ihm weitere Informationen bereits als Werbemaßname ausgelegt werden | |
| könnten. | |
| ## Unterschiedlich schnell | |
| Kein Wunder also, dass es bei derart unattraktiven Konditionen Stand heute | |
| bundesweit bloß weniger als 340 Anbauvereinigungen bis zur Lizenz geschafft | |
| haben. Bei der Versorgung von Kiffern spielen diese derzeit eine | |
| verschwindend geringe Rolle. Dabei geht es von Bundesland zu Bundesland | |
| unterschiedlich schnell voran. Im rot-grünen Niedersachsen läuft es | |
| besonders gut, in Dobrindts konservativer Heimat Bayern besonders schlecht, | |
| so weit stimmen die Klischees also. Aber auch im liberalen Berlin werden | |
| die Bemühungen um Lizenzen von den Ämtern nur widerwillig begleitet. Dazu | |
| kommt noch die hauptstadttypische Planlosigkeit bei allem Bürokratischen, | |
| weswegen bislang in der sicht- und riechbaren Kifferhochburg gerade einmal | |
| elf vergeben wurden. | |
| Abschreiben sollte man die Sache mit den Cannabis-Clubs aber noch nicht. | |
| Vielleicht erfährt sie ja einen neuen Schwung, wenn die Umtriebe des | |
| bisherigen großen Gewinners des neuen Cannabisgesetzes beschränkt werden, | |
| die Branche mit medizinischem Cannabis. Die Union und Gesundheitsministerin | |
| Nina Warken wollen die Liberalisierung beim Cannabis auf Rezept unbedingt | |
| wieder zurückdrehen. Die Frage ist nur, ob die SPD dabei mitmacht, bislang | |
| erteilt sie den Plänen eine Absage. | |
| Während es den Anbauvereinigungen mit einem Wust an Regeln unnötig schwer | |
| gemacht wird, boomen die Telemedizin-Plattformen, über die sich problemlos | |
| gutes Gras zu guten Preisen beziehen lässt. Anders als die | |
| Anbauvereinigungen dürfen sie für ihre Dienste werben. Und dabei auch noch | |
| so tun, als sei Cannabis ein Wunderheilmittel, das in jeder Lebenslage | |
| hilft. So kann man sich bei einem Anbieter sogar ernsthaft Cannabis als | |
| Hilfe im Anti-Aging-Kampf verschreiben lassen. Humbug, der erst recht | |
| absurd wirkt, wenn man das mit dem totalen Werbeverbot für die | |
| Anbauvereinigungen vergleicht. | |
| ## Der Stoff aus der Apotheke | |
| Der Import von medizinischem Cannabis nach Deutschland ist in den letzten | |
| eineinhalb Jahren massiv angestiegen. Im ersten Quartal 2025 wurden mit 37 | |
| Tonnen mehr medizinische Cannabisblüten importiert als noch im ganzen Jahr | |
| 2023. Auf dem Weißmarkt ist neben dem Eigenanbau das Cannabis aus der | |
| Apotheke für die Mehrheit der Kiffer in Deutschland die Nummer eins. | |
| Gut, irgendwo muss das Zeug ja her kommen, wenn die Sache mit den | |
| Anbauvereinigungen schon nicht so richtig in Schwung kommen will. Das sieht | |
| auch Mario Gäde so, aber versehen mit der kritischen Anmerkung: „Wenn ich | |
| auf einer Telemedizin-Plattform so tue, als hätte ich Bauchschmerzen, und | |
| dann bekomme ich von einem Arzt aus Litauen ein Rezept für Cannabis | |
| ausgestellt, dann ist das eigentlich Missbrauch von Medizin.“ | |
| Würde der Zugang über die Telemedizin von heute auf morgen aber erschwert | |
| werden, wie die Union das vorsieht, würde davon sicherlich der Schwarzmarkt | |
| profitieren. Die Konservativen interessieren solche Logiken aber nicht, da | |
| sie die Teillegalisierung einfach bloß torpedieren möchten, wo es nur geht. | |
| Vernunft wird hier zum untergeordneten Faktor. Und die SPD? Die wirkt so, | |
| als wolle sie möglichst keinen Streit mit dem Koalitionspartner jetzt auch | |
| noch wegen einer solchen Sache heraufbeschwören. Besonders kampfbereit für | |
| die Anliegen der Kiffer wirkt sie jedenfalls nicht. Von der sogenannten | |
| Säule 2, die gemäß des von ihr mitentworfenen Cannabisgesetzes eigentlich | |
| auch noch irgendwann kommen sollte und die die Abgabe von Cannabis über | |
| lizensierte Fachgeschäfte vorsieht, spricht schon lange niemand mehr. | |
| Obwohl nach Meinung von Experten nur mit ihr der Schwarzmarkt wirklich | |
| effektiv zurückgedrängt werden könnte. In den Städten Hannover, Frankfurt | |
| und Berlin geplante Pilotprojekte, die wissenschaftlich begleitet | |
| untersuchen sollten, wie sich der vereinfachte Zugang zu Cannabis über | |
| solche Fachgeschäfte auf das Konsumverhalten auswirkt, wurden eben erst | |
| wieder abgeblasen. | |
| Hört man rein in die Cannabisszene, werden unterschiedliche Vermutungen | |
| darüber angestellt, wie der Telemedizin-Streit der Koalition ausgehen wird. | |
| Die einen glauben oder hoffen, dass die SPD stabil bleiben wird, die | |
| anderen haben da so ihre Zweifel. Dass die Cannabis-als-Medizin-Branche | |
| selbst nervös geworden ist, zeigt sich daran, dass sie eben erst eine | |
| Petition in eigener Sache beim Bundestag eingereicht hat. | |
| Und die Anbauvereinigungen? Könnten die also doch noch einen zweiten | |
| Frühling erleben, wenn nach einer Entliberalisierung der Telemedizin all | |
| die verwaisten „Patienten“ sich wieder an sie erinnern? | |
| Mario Gäde ist da skeptisch. „Die Vereine können nur dann boomen, wenn | |
| ihnen die Ketten abgelegt werden. Die Begrenzung auf 500 Mitglieder müsste | |
| beispielsweise weg, der Lizenzprozess vereinfacht werden, und es müssten | |
| einheitliche Regeln bei den Bauämtern gelten.“ Auch Heinrich Wieker von der | |
| [4][Bundesarbeitsgemeinschaft Cannabis-Anbauvereinigungen], die in Berlin | |
| sitzt, glaubt, dass nur veränderte Strukturen eine Renaissance der | |
| Anbauvereinigungen einläuten könnten. Einschränkungen bei der Telemedizin | |
| würden den paar bereits bestehenden Vereinen sicherlich einige neue | |
| Mitglieder bescheren, aber nicht unbedingt zu mehr Vereinsgründungen | |
| führen, wenn alles so kompliziert bleibt wie bisher. | |
| ## Hoffen auf eine zweite Welle | |
| Es könnte erst dann eine zweite Welle geben, glaubt Wieker, wenn | |
| Anbauvereinigungen unternehmerischer geführt werden dürften, als das | |
| aktuell der Fall ist. „Ein paar Hippies growen gemeinsam Cannabis“, dieser | |
| Ansatz werde das Ganze nicht mehr weiter voranbringen. Es bräuchte jetzt | |
| mehr „Funktionäre“, die auch etwas Geld verdienen dürfen mit ihrem | |
| Cannabis. | |
| Durch ein paar legale Tricksereien im Rahmen des Vereinsrechts könnten | |
| dafür Wege gefunden werden. Vielleicht kommt die große Zeit der | |
| Anbauvereinigungen dann ja doch noch, was Alexander Dobrindt freilich | |
| wieder richtig scheiße fände. | |
| 17 Nov 2025 | |
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