| # taz.de -- Reform des Bürgergelds: Neuer Name, neue Schikanen und wenig Einsp… | |
| > Arbeitsministerin Bärbel Bas legt regierungsintern einen ersten | |
| > Gesetzentwurf zum Bürgergeld vor. Sanktionen sollen künftig verschärft | |
| > werden. | |
| Bild: Nach dem Koalitionsausschuss im Kanzleramt: Friedrich Merz (CDU) und Bär… | |
| Schon im Wahlkampf hat Friedrich Merz (CDU) gerne [1][Stimmung gegen das | |
| Bürgergeld] gemacht. Immer wieder haben er und Parteikollegen behauptet, es | |
| ließen sich dort mit härteren Strafen Milliarden einsparen, auch nach | |
| Regierungsantritt. Nur die Erklärung, wie genau das funktionieren soll, | |
| wurde nie mitgeliefert. | |
| Selbst wenn sich die inzwischen zuständige Bundesarbeitsministerin Bärbel | |
| Bas (SPD) gelegentlich [2][einschaltet und widerspricht] – Merz zeigt sich | |
| in dieser Frage beratungsresistent. Denn Bürgergeldempfänger*innen | |
| bleiben im medialen Diskurs eines seiner Lieblingsopfer. Zuletzt war das im | |
| Sommerinterview zu beobachten, als er den Eindruck erweckte, [3][sie würden | |
| zuhauf in staatlich finanzierten Luxuswohnungen leben]. | |
| Am Freitag hat Bas nun regierungsintern einen ersten Gesetzentwurf zum | |
| Bürgergeld vorgelegt, in die sogenannte Frühkoordinierung mit dem | |
| Kanzleramt. Auf dieser Ebene wird noch abgestimmt, bevor der Entwurf dann | |
| an alle Ministerien verschickt und die Anhörung von Verbänden eingeleitet | |
| wird. Doch offenbar wurde der Entwurf an verschiedene Medien | |
| durchgestochen, die Bild und [4][die Süddeutsche Zeitung berichteten | |
| daraus.] | |
| Demnach sind im Kern schnellere und härtere Strafen vorgesehen, aber | |
| erwartungsgemäß nur wenig Einspareffekte zu erwarten. Laut Süddeutscher | |
| Zeitung werden Einsparungen von 86 Millionen Euro im Jahr 2026 erwartet, | |
| 2027 dann 69 Millionen. Ab 2028 und 2029 wird sogar mit leichten | |
| Mehrausgaben gerechnet, zunächst zehn Millionen Euro, dann neun Millionen. | |
| „Allein aufgrund der Maßnahmen des Gesetzentwurfes ergeben sich keine | |
| nennenswerten Einsparungen“ hieß es auch aus Ministeriumskreisen gegenüber | |
| der taz. Bessere Effekte würden nur durch eine bessere Wirtschaftslage und | |
| „verbesserte Arbeitsmarktintegration und eine Reduzierung der | |
| Leistungsberechtigten eintreten“. | |
| ## Job vor Weiterbildung | |
| Fest steht: Das Bürgergeldsystem soll künftig einen neuen Namen bekommen. | |
| Die „Neue Grundsicherung“ will „auf mehr Mitwirkung und spürbare | |
| Konsequenzen bei Nicht-Mitwirkung“ setzen, hieß es weiter aus | |
| Ministeriumskreisen. | |
| Der sogenannte Vermittlungsvorrang soll wieder gelten. Es soll also wieder | |
| die Pflicht werden, in erster Linie einen Job anzunehmen. Dabei galt es als | |
| eine große Errungenschaft des Bürgergelds, dass der Vermittlungsvorrang | |
| abgeschafft und stärker auf Weiterbildung gesetzt wurde, um Menschen | |
| nachhaltiger und langfristiger in Arbeit zu vermitteln. | |
| In der Praxis werden Menschen sonst oft in saisonale und schlecht bezahlte | |
| Jobs gedrängt und landen nach einer Zeit wieder in der Grundsicherung. In | |
| der Fachwelt spricht man vom „Drehtüreffekt“. „Das Ziel der nachhaltigen | |
| Integration, vor allem mittels Weiterbildung und Qualifizierung“, solle | |
| aber keineswegs aufgegeben werden, hieß es aus dem Ministerium. | |
| ## Schnellere und härtere Sanktionen | |
| Bei manchen Pflichtverletzungen, zum Beispiel wenn eine Fördermaßnahme | |
| abgegbrochen wird, sollen die Leistungen direkt um 30 Prozent für bis zu | |
| drei Monate gemindert werden können. Dies wären derzeit rund 150 Euro | |
| weniger im Monat. Wenn eine Person ein konkretes Arbeitsangebot ablehnt, | |
| soll in Zukunft sogar der komplette Regelsatz gestrichen werden können. | |
| Erst am Freitag kam eine [5][Studie des Paritätischen Gesamtverbands zum | |
| Ergebnis], dass das Bürgergeld für viele nur das „nackte Überleben“ | |
| abdeckt, oft fehle Geld für die Reparatur kaputter Möbel oder gesundes | |
| Essen. | |
| Auch Terminversäumnisse sollen stärker bestraft werden als bisher. Menschen | |
| mit psychischen Erkrankungen sollen aber geschützt werden. Der | |
| Gesetzentwurf sehe vor, „dass auf einen einmalig verpassten Termin noch | |
| keine Leistungsminderung folgt“, heißt es aus Kreisen des Ministeriums. Ab | |
| dem zweiten Meldeversäumnis solle aber eine spürbare Minderung von wiederum | |
| 30 Prozent für einen Monat greifen. Kommt jemand mehrfach ohne Grund nicht, | |
| soll ein zweistufiges Verfahren greifen. | |
| Werden drei Termine verpasst, werde der Regelbedarf „vorerst nicht | |
| geleistet“ und Mietzahlungen gingen direkt an den Vermieter. Melde sich die | |
| Person dann nicht innerhalb eines Monats beim Jobcenter, solle der | |
| Leistungsanspruch ganz entfallen. Hier soll zumindest gelten, dass die | |
| Kosten der Unterkunft für die übrigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, | |
| also zum Beispiel Kinder oder Partner*in, weitergezahlt werden. Die Kürzung | |
| von Wohnkosten ist generell höchst umstritten und es ist unklar, ob eine | |
| solche Regelung überhaupt verfassungskonform ist. | |
| ## Kosten der Unterkunft | |
| Neuerungen bei den Kosten der Unterkunft gibt es bei der einjährigen | |
| Karenzzeit. Bislang werden Mietkosten im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs | |
| vollständig übernommen, damit sich die Menschen auf die Jobsuche | |
| konzentrieren können statt um einen Umzug in eine günstigere Wohnung. | |
| Künftig sollen die Mietkosten in der Karenzzeit aber gedeckelt werden. Der | |
| „Deckel“ betrage dann „das Anderthalbfache der abstrakten (allgemeinen) | |
| Angemessenheitsgrenze.“ | |
| Auch sollen überteuerte Mieten nicht mehr einfach hingenommen werden. | |
| Verstößt die Miethöhe gegen die Mietpreisbremse, sollen Jobcenter künftig | |
| eine sogenannte Kostensenkungsaufforderung verschicken und | |
| Bürgergeldempfänger*innen sollen Vermieter*innen auffordern, die | |
| Miete entsprechend zu senken. Kommunen erhalten zudem die Möglichkeit, eine | |
| Quadratmeterhöchstmiete festzulegen. Das soll helfen, gegen Mietwucher bei | |
| sogenannten Schrottimmobilien vorzugehen. | |
| ## Vermögen wird weniger geschont | |
| Die einjährige Karenzzeit, in der höhere Vermögen akzeptiert werden, soll | |
| abgeschafft werden. Künftig soll sich die Höhe am Lebensalter orientieren. | |
| Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Freibeträge gelten sollen: | |
| „bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres 5.000 Euro, ab dem 21. Lebensjahr | |
| 10.000 Euro, ab dem 41. Lebensjahr 12.500 Euro und ab dem 51. Lebensjahr | |
| 15.000 Euro.“ | |
| Auch Elternteile sollen stärker in die Pflicht genommen werden. Wenn die | |
| Kinderbetreuung gesichert ist, soll es für Erziehende nach dem ersten | |
| Lebensjahr des Kindes als zumutbar gelten, einen Job oder einen Sprachkurs | |
| zu beginnen. Bisher gilt das ab dem dritten Lebensjahr. | |
| ## Scharfe Kritik | |
| Der grüne Bundestagsabgeordnete Timon Dzienus kritisierte das Vorhaben der | |
| Bundesregierung scharf. „Friedrich Merz lügt seit Monaten zu den | |
| Einsparmöglichkeiten beim Bürgergeld. Monatelang mussten wir uns in allen | |
| Talkshows dieses Landes Unsinn von der Union anhören“, sagte er. „Dieser | |
| Sanktionsfetischismus ist schlecht für die Menschen und bringt dem Haushalt | |
| praktisch gar nichts.“ Merz erpresse Menschen, „Jobs mit schlechten | |
| Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.“ | |
| Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) klang wenig begeistert. „Das, was | |
| wir bisher wissen, klingt nicht nach großen Erfolgen, dafür aber nach | |
| vielen Verlierern“, kommentierte Vorstandsmitglied Anja Piel. Das neue | |
| Sanktionsregime schaffe „Angst, mehr Bürokratie, aber keine neuen Jobs.“ | |
| Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, dass bei Ablehnung | |
| einer Arbeit der Regelsatz künftig direkt um 30 Prozent gestrichen werden | |
| kann. Richtig ist: Wenn eine Person ein konkretes Arbeitsangebot ablehnt, | |
| soll der komplette Regelsatz gestrichen werden können. Wir haben das | |
| korrigiert und bitten um Entschuldigung. | |
| 17 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Union-hetzt-gegen-das-Buergergeld/!5997357 | |
| [2] /Soziale-Kuerzungen/!6092978 | |
| [3] /Wohnen-und-Buergergeld/!6101127 | |
| [4] https://www.sueddeutsche.de/politik/buergergeldreform-einsparungen-regelung… | |
| [5] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/buergergeld-studie-… | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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