| # taz.de -- Gespräch zu Kinos in Berlin: „Wir haben Chancen, wenn wir stärk… | |
| > Als andere Berliner Kinos schließen mussten, wurden drei neue gegründet. | |
| > Ein Gespräch mit den Betreiber*innen der Kinos. | |
| Bild: Kino früher: 1988 waren die Freizeitmöglichkeiten beschränkt und die K… | |
| Im Berlin der 2010er Jahre eröffneten drei unabhängige Programmkinos, als | |
| viele Kinos der Stadt längst schließen mussten: Il Kino, Wolf und Kino | |
| Zukunft. Zehn Jahre später gibt es sie immer noch. Zeit für eine | |
| Bestandsaufnahme mit den Betreiber:innen Carla Molino, Verena von | |
| Stackelberg und Sven Loose. | |
| taz: Frau Molino, Frau von Stackelberg, Ihre Kinos liegen wenige Kilometer | |
| voneinander entfernt. Spricht man sich ab in Sachen Programm, damit keine | |
| Kannibalisierungseffekte entstehen? | |
| Carla Molino: Meine Entscheidung, einen Film zu zeigen, rührt nur daher, | |
| dass ich ihn mag oder bekomme. Ich glaube, dass wir nicht wirklich im | |
| Wettbewerb stehen. Man kann dem Film nur Gutes bringen, wenn wir beide ihn | |
| spielen. | |
| Verena von Stackelberg: Je mehr Angebot es gibt, desto mehr fördert man die | |
| Cinephilie und dass das Publikum häufiger ins Kino geht. Das zeigt auch die | |
| Cineville-Mitgliedschaft, die es in Deutschland seit einem Jahr gibt, aber | |
| auch in anderen Ländern. Weil es mit diesem Abo so leicht ist, ins Kino zu | |
| gehen, und zwar in jedes Arthousekino der Niederlande, tun die Leute das | |
| dort häufiger und sind experimentierfreudiger damit, welche Filme sie | |
| aussuchen. Das ist der Beweis dafür, dass wir uns nicht kannibalisieren, | |
| sondern eher ergänzen. Seid ihr auch Teil von Cineville? | |
| Molino: Ja. | |
| Sven Loose: Es gibt ja mindestens zwei Abo-Modelle, auch Cinfinity. Wir | |
| sind nirgendwo dabei. | |
| von Stackelberg: Wir müssen reden (lacht). Das ist der Fehler in | |
| Deutschland, dass man zwei Abos gleichzeitig eingeführt hat. | |
| taz: Sie alle haben zu einer Zeit eröffnet, als größere, aber auch kleinere | |
| Berliner Kinos bereits schließen mussten. Wie stellt sich Ihre Lage heute | |
| dar? | |
| Loose: Ich würde sagen, wie vorher auch. Wir machen das ja seit Anfang der | |
| Neunziger, ursprünglich als Clique von jungen Leuten in den wilden Zeiten | |
| im Osten. Es kamen weitere Standorte dazu, immer selbst gebaut. Damals war | |
| die Entwicklung nicht abzusehen, außer man hatte vorgerechnet und | |
| prognostiziert. Dann trat das ein: Man brauchte mehrere Standbeine, etwa, | |
| wenn ein Vertrag nicht verlängert oder die Miete stark angehoben wurde. Das | |
| sind die Gründe, warum ein Kino heutzutage schließen muss. | |
| Molino: Mein Kino war das erste, das nach der Wende neu gebaut wurde. Ich | |
| habe viele Komplimente bekommen. Zur Filmauswahl, der Ausstattung, dazu, | |
| wie nett wir waren. Das hat mir Kraft gegeben, mich zu entwickeln und | |
| professioneller zu werden. Ich hatte 2019 über 22.000 Zuschauer, das ist | |
| viel für einen Saal mit 52 Plätzen. [1][Nach der Pandemie wieder | |
| anzufangen, war komplizierter.] | |
| taz: Abgesehen von der Pandemie: Wo lief das Kinomachen anders als geplant | |
| oder erhofft? | |
| von Stackelberg: Ich habe in London als Kartenabreißerin gearbeitet und den | |
| Übergang von analogen zu digitalen Projektionen erlebt. Meine Theorie ist: | |
| Durch den Wegfall der analogen Projektion musste sichergestellt werden, | |
| dass man weiter Geld damit macht. Die neuen Projektoren sind sehr teuer und | |
| müssen alle fünf Jahre aufgerüstet werden. Gleichzeitig ist es durch die | |
| Verschlüsselung der Filme teuer, digitale Kopien zu kaufen. Meine Hoffnung | |
| war, dass ich viel mehr Filmgeschichte zeigen kann. Das ist kaum möglich, | |
| weil die Sachen nicht digitalisiert worden sind oder eine einmalige | |
| Vorführung um die 150 Euro kostet für Verschlüsselung und digitales Cinema | |
| Package. Dazu die Rechte für den Film selbst. Einen Klassiker einmal zu | |
| zeigen, kann bis zu 500 Euro kosten. Das macht meine Vorstellung davon, wie | |
| wir mit Filmgeschichte umgehen, schon etwas kaputt. | |
| Molino: Ich dachte, ich bringe viel mehr unabhängige Filme aus dem Ausland | |
| hierher. Es ist leider unmöglich, das zu bezahlen mit 52 Plätzen, die man | |
| verkaufen kann. | |
| von Stackelberg: An die analogen Kopien kommt man wiederum nicht ran, weil | |
| sie nur noch an Museen verliehen werden. Viele Kopien wurden zerstört, weil | |
| sie Platz brauchen und die Filmlager nicht mehr da sind. So passieren | |
| ständig kleine Tode und Neuentstehungen in der Kinowelt. | |
| taz: Welche Neuerungen zum Beispiel? | |
| von Stackelberg: Etwa, dass jüngere Leute jetzt Klassiker im Kino sehen | |
| wollen. Dank Park Circus und weiteren Firmen, die Rechte und digitale | |
| Kopien verteilen, ist es teilweise wieder leichter geworden, an Klassiker | |
| zu kommen. Aber das ist sehr westlich und englischsprachig limitiert. Dazu | |
| gibt es Bewegungen wie die Onlineplattform Letterboxd über die junge Leute, | |
| die Filmgeschichte neu erleben. | |
| taz: Worin sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen Ihrer Branche? | |
| von Stackelberg: Die Unberechenbarkeit der Kosten wird immer schlimmer. | |
| Dann ist Krieg in der Ukraine und die Stromkosten sind exorbitant. Auch die | |
| Wareneinsatzkosten und Personalkosten steigen. Dazu diese Unverlässlichkeit | |
| der Förderung, also, dass der Staat immer weniger investiert, weil er | |
| lieber Waffen kauft. Besser, man hat seine eigenen Einkommensquellen, mit | |
| denen man verlässlich arbeiten kann. Und wenn ich noch etwas sagen darf? | |
| taz: Bitte. | |
| von Stackelberg: Ich finde es höchst problematisch, dass es eine Kinokette | |
| gibt, die ein Flatrate-Abo hat, das dazu führt, dass alle, die nur zu | |
| diesen Kinos gehen, quasi gar nicht mehr die anderen Kinos besuchen. | |
| taz: Sie meinen die Yorck-Kinogruppe? | |
| von Stackelberg: Ja. Ich finde, wir sollten uns in Deutschland als | |
| unabhängige Kinos zusammenschließen und alle das gleiche Abo haben. In | |
| Ländern, wo das gemacht wurde, etwa den Niederlanden, ist die Erfolgsrate | |
| unfassbar. Wir haben schon Chancen, den Kinomarkt maßgeblich zu verbessern | |
| und zu verändern, wenn wir stärker an einem Strang ziehen. | |
| taz: Teilen die anderen diese Einschätzung? | |
| Molino: Ich sehe das genauso. Diese Kette will Filme auch oft exklusiv | |
| haben. Abgesehen davon sind spontane Kosten ein Problem: Die Kaffeemaschine | |
| geht kaputt oder ein Fenster. Das muss man Ticket für Ticket verdienen. | |
| taz: Sie waren unter den Gewinner:innen des diesjährigen | |
| Kino-Programmpreises, der vom Medienboard Berlin Brandenburg vergeben wird. | |
| Il Kino und Wolf haben Prämien von je 40.000 Euro erhalten, das Kino | |
| Zukunft 15.000. Wofür haben Sie die eingesetzt? | |
| Molino: Ich habe es für den Sommer gebraucht. Da war zwar geschlossen, aber | |
| Miete, Strom, Versicherung wurden weiter gezahlt. Und wir haben mit einer | |
| Förderung die Sessel renoviert. 60 Prozent wurden gefördert, den Rest zahlt | |
| man selbst. | |
| taz: Ist es leichter mit mehreren Standorten, Herr Loose? | |
| Loose: Das ist alles prekär bei den bescheidenen Sitzplatzkapazitäten. Da | |
| bräuchte man schon dreistellige Plätze pro Leinwand. Aber bei uns sind alle | |
| super engagiert und voller Elan. Was mir eher Sorge bereitet in Berlin, | |
| ist, mittel- bis langfristige bezahlbare Mieten zu finden. Mit mehrere | |
| Standorten merkt man, wie man sich immer wieder das Wohlwollen der | |
| Vermieter sichern muss und wie schnell das wegbrechen kann. | |
| von Stackelberg: Die GLS vergibt Darlehen zur Sicherung von | |
| Kulturstandorten. Darüber haben wir Wolf, also die Erdgeschossimmobilie, | |
| die wir gemietet haben, gekauft. Unsere Vermieter haben uns ein gutes | |
| Angebot gemacht. Ich habe sechs Jahre daran gearbeitet. | |
| taz: Wie viel arbeiten Sie denn durchschnittlich? | |
| Molino: Sicher 16 Stunden pro Tag. Ich habe gleichzeitig mit dem Kino | |
| Zwillinge zur Welt gebracht. Deshalb sage ich immer, ich habe drei Kinder. | |
| Das Kino ist wirklich meine Kreatur, das ist kein Scherz. | |
| Loose: Ich rechne gar nicht. Die Kinos sind mein Leben und mein Leben | |
| gehört den Kinos. | |
| 25 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Böhm | |
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| damit ist er nicht die Rettung, sondern der Tod des Kinos. |