# taz.de -- Synchronisierung in Deutschland: Kuck mal, wer da spricht | |
> Deutsche sehen Serien und Filme noch immer oft in der Synchronfassung. | |
> Aber kann die Wertschätzung einer Kunst ihre Zukunft sichern? | |
Bild: „Yippie yah Yei Schweinebacke!“: Bruce Willis in „Stirb Langsam“ | |
[1][Yippie Yah Yei Schweinebacke!“] Das ruft Synchronsprecher Manfred | |
Lehmann anstelle der Stimme – und Obszönität – von Bruce Willis’ | |
(vergleichsweise veganem) englischem Schlagwort „motherfucker“ im Film | |
„Stirb langsam“ von 1988. Deutsche Fans machten das Zitat schon zum Meme, | |
noch bevor es soziale Medien gab. | |
Heute ist die deutsche Film- und Fernsehsynchronisation selbst ein Meme | |
geworden: Im Internet parodieren Menschen, wie Wortwahl und Sprechweise die | |
Bedeutung der Sätze so stark verändern, dass sie das Anschauen des | |
Originals zu einem ganz anderen Erlebnis machen. Auch ein Tiktok von | |
Comedian [2][Jonna Groneberg], die in der Synchronindustrie gearbeitet hat, | |
gehört zu diesen Memes. „Ich verwandle englische Filme im Grunde genommen | |
in intensive deutsche Softpornos“, [3][scherzt sie in dem Video von einem | |
Auftritt, das über 43.000-mal aufgerufen wurde]. Sie liest eine Zeile aus | |
einem Bewerbungsgespräch auf Englisch vor, ganz seriös. Dann wiederholt sie | |
sie in mädchenhaftem, hauchigem Deutsch. | |
Auf Uneingeweihte wirkt Synchronisieren vielleicht albern. Literatur und | |
Filme – ja, sogar die synchronisierten – haben uns trainiert, uns nach der | |
„echten“ Stimme zu sehnen. In Disneys „Arielle, die Meerjungfrau“ zwingt | |
eine Meerhexe Arielle, ihre schöne Stimme abzutreten. | |
In „Du sollst mein Glücksstern sein“ („Singin’ in the Rain“) sind die | |
Stimmbänder von Jean Hagens Figur solche Trommelfellspalter, dass Debbie | |
Reynolds’ Figur hinter einem Vorhang für sie singen muss (was in der | |
deutschen Synchronisation bedeutet, dass Marianne Prenzels Stimme aus | |
Debbie Reynolds kommt, deren Figur von Jean Hagen gesprochen wird, die | |
wiederum von Gertrud Spalke synchronisiert wird). Glänzende, schöne Stars | |
werden durch eine Stimme verständlich gemacht, die einer Person gehört, die | |
wir nie zu Gesicht bekommen. Das kann sich wie Täuschung anfühlen. | |
## Rassistische Stereotypen | |
In den letzten Jahren wurde die Politik der Synchronisation zunehmend | |
kritisiert: [4][Die deutsche Synchronsprecherin Thelma Buabeng] hat die | |
Branche aufgefordert, ernsthafter gegen rassistische Praktiken anzugehen, | |
etwa dagegen, dass einige weiße Synchronsprecher:innen Schwarzen | |
Charakteren Stimmen geben, die rassistischen Stereotypen nachempfunden | |
sind, gegen Fake-Akzente und gegen Fistelstimmen. | |
Bereits 2004 stellte der Soziolinguist Robin Queen fest, dass Schwarze | |
Charaktere überproportional oft mit deutschen Arbeiterklassen- und | |
bayerischen Akzenten synchronisiert wurden. Und der US-amerikanische | |
Wissenschaftler Patrick Ploschnitzki untersuchte in seiner Studie [5][„Seit | |
wann ist Steve Urkel weiß?“] aus dem Jahr 2023, wie bei der Einstellung von | |
Synchronsprecher:innen und bei deren Darbietungen rassistische | |
Vorurteile außer Acht gelassen werden. | |
Insbesondere für junge Menschen und diejenigen, die privilegiert genug | |
sind, fließend Englisch zu sprechen, erscheint das gesamte Unterfangen der | |
Synchronisation wie etwas, das man hinter sich lässt, sobald man Untertitel | |
lesen kann. In einer Zeit, in der wir zögern, Kunst von Künstler:in zu | |
trennen, warum sollten wir dann die Stimme vom Filmstar entfernen? | |
Genau das wird in „Du sollst mein Glücksstern sein“ gemacht, dem Film über | |
Hollywoods Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm: Weil die Stimme eines | |
Stummfilmstars so nervig ist, dass sie das Publikum abschrecken würde (wie | |
die von Fran Drescher in „The Nanny“, deren Nasal der deutschen | |
Synchronisation „Die Nanny“ leider fehlt), braucht sie eine | |
Synchronsprecherin. Als Filme in den 1920er Jahren begannen, Tonaufnahmen | |
zu verwenden, gab es statt der bisherigen Zwischentitel, die für | |
Auslandsveröffentlichungen leicht zu übersetzen waren, nun Monologe und | |
schnelle, sich überschneidende Dialoge. | |
## Untertitel als Lösung | |
[6][Anfangs ließen einige Regisseur:innen ihre Stars die Zeilen in der | |
Übersetzung neu aufnehmen] – auch wenn sie die Sprache gar nicht | |
beherrschten. Das Endergebnis war unverständlich. Untertitel waren eine | |
Lösung. Eine andere: Synchronsprecher:innen. Eine | |
Milliarden-Dollar-Industrie war geboren. [7][Gut für die faschistischen | |
Länder] – Deutschland, Spanien und Italien –, die die neue Technik in den | |
1930er Jahren am eifrigsten einsetzten. So konnten die Regime andere | |
Sprachen aus fremdenfeindlichen Gründen entfernen und die Dialoge | |
gleichzeitig ideologisch zensieren. | |
Nach dem Krieg erlebte die deutsche Synchronisation einen Boom, als die | |
Amerikaner:innen ihre Filme nach Deutschland importierten. Der | |
Filmverleih passte sie beim Synchronisieren dem Geschmack des Publikums an | |
– so wurden beispielsweise Nazi-Anspielungen aus „Casablanca“ und | |
Hitchcocks „Notorious“ entfernt. Selbst Jahrzehnte später wurden die | |
deutschen Bösewichte aus „Stirb langsam“ in der deutschen Synchronfassung | |
zu Briten. | |
Jonna Groneberg vom bereits erwähnten Tiktok erklärte gegenüber der taz, | |
dass deutsche Synchronisationen viele Vorteile haben. Mit Synchronisationen | |
kann man beim Teekochen zuhören. Synchronisationen bieten verständliche | |
Dialoge, in einer Zeit, in der schlechte Tonqualität als Grund dafür | |
angesehen wird, [8][dass viele englische Muttersprachler:innen | |
glauben, sie benötigten Untertitel für englischsprachige Medien]. | |
Groneberg vermutet jedoch, dass die Entscheidung für eine deutsche | |
Synchronisation weniger technischer als vielmehr persönlicher Natur ist. | |
Dass sie darin begründet liegt, warum wir überhaupt ins Kino gehen. | |
„Synchronisation ist mehr als nur ‚Oh, ich spreche kein Englisch‘“, sag… | |
sie. „Es ist eher: ‚Ich möchte die Emotionen wirklich in meiner Sprache | |
spüren.‘“ | |
Groneberg arbeitete hauptsächlich als Studio-Koordinatorin und war nur | |
gelegentlich als Synchronsprecherin tätig. Aber sie spricht sehr | |
detailliert über die technischen Details des Handwerks: Der rote Punkt, der | |
sich auf dem Bildschirm bewegt, „fast wie bei Karaoke“, zeigt ihr an, wie | |
viel Zeit sie hat, damit ihr Dialog mit den Lippen der Schauspielerin auf | |
dem Bildschirm übereinstimmt. Wie sie innerhalb dieses roten Punktes | |
schauspielern, schreien, rufen, ihre Hand küssen oder so tun muss, als | |
würde sie rennen – und das alles, ohne zu nahe an das Mikrofon zu kommen. | |
## Passend zu den Lippenbewegungen | |
Und natürlich passend zu den Lippenbewegungen des Originals. Die Ps, Bs und | |
Ms der Originalsprache und der Übersetzung werden berücksichtigt, damit das | |
Publikum keine störenden Dissonanzen wahrnimmt, die den Drang zum | |
Umschalten auslösen, wenn der Ton um einen Sekundenbruchteil verzögert ist. | |
Cédric Cavatore arbeitet seit fünf Jahren als professioneller Sprecher und | |
Synchronschauspieler, er war unter anderem der deutsche Erzähler in der | |
beliebten Kinderserie „Peppa Wutz“ und die Stimme des roten Power Rangers. | |
Eine andere Rolle, die Cavatore gesprochen hat, wurde mal von einer Biene | |
gestochen, wodurch Gesicht und Zunge anschwollen. Um diesen Effekt | |
nachzuahmen, steckte Cavatore sich Taschentücher in den Mund und sprach, | |
während er mit den Händen auf seine Wangen drückte. „Das hat wirklich gut | |
funktioniert. Es war aber auch ein bisschen anstrengend“, erzählt er der | |
taz. | |
Cavatore ist Vorstandsmitglied und stellvertretender Vorsitzender des | |
Verbands Deutscher Sprecher:innen e.V. (VDS), wo er sich gegen den | |
unregulierten Einsatz generativer KI in der Synchronisationsbranche | |
einsetzt. Das Versprechen der KI-Industrie, Hollywoodstars so klingen zu | |
lassen, als würden sie deutsch sprechen, zeugt laut Cavatore von mangelnder | |
Kenntnis darüber, wie Sprache funktioniert. Jede Sprache stelle andere | |
Anforderungen an den Sprechapparat, sagt er, nutze andere Resonanzräume | |
oder Zungenbewegungen und lasse so auch die Stimme anders klingen. Es gibt | |
zudem unzählige in jeder Sprache anders klingende Füllwörter und | |
Soziallaute. Ähs, Auas, Hähs. | |
„Die Stimmfarbe ist nur ein kleiner Teil der Stimmidentität. Sie wird auch | |
von vielen weiteren Aspekten geprägt“, so Cavatore. „Meine Sprachmelodie, | |
meine Modulation, meine Pausen, meine Atmung. Wo und wie ich aufgewachsen | |
bin. All das spielt eine Rolle.“ | |
## KI-Stimmen klingen leblos | |
Dass KI-Stimmen so monoton und leblos klingen, führt Cavatore auf ihre | |
Funktionsweise zurück. Auf Basis von Trainingsdaten errechnet ein | |
Sprachmodell die wahrscheinlichste Betonung eines Textes. Aber das | |
Naheliegendste sei meist langweilig, meint er. „Sprecher:innen mit ihrer | |
ganzen Individualität bringen dagegen eine Lebendigkeit mit, die man mit | |
synthetischen Stimmen nicht herstellen kann. Menschlichkeit ist nicht | |
berechenbar.“ | |
Viele namhafte Unternehmen aus Big-Tech, Streaming oder der | |
Videospielindustrie trainieren deswegen ihre Sprachmodelle mit Stimmen | |
echter Menschen. „Und das meist ohne deren Zustimmung zu erfragen oder | |
dafür zu zahlen“, vermutet Cavatore. Dies verstoße gegen Persönlichkeits- | |
und Urheberrecht. Immer wieder würden sie daher versuchen, | |
Sprecher:innen dazu zu bringen, Arbeitsverträge zu unterschreiben, mit | |
denen sie sämtliche Rechte an ihren Stimmen abtreten, so Cavatore. Eine | |
Methode, die stark an die Meerhexe in „Arielle“ erinnert. | |
Aber es gibt Grund zur Hoffnung. [9][In diesem Monat entschied das | |
Landgericht Berlin], dass die kommerzielle Nutzung von KI-Stimmen, die | |
realen Stimmen nachempfunden sind, eine Urheberrechtsverletzung darstellen | |
kann. Der Kläger? Bruce Willis’ Synchronsprecher Manfred Lehmann. Er hat | |
also ein Recht auf die eigene Stimme. Zumindest vorerst ist das ein „Yippie | |
Yah Yei.“ | |
Übersetzt aus dem Englischen von Johannes Drosdowski | |
29 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=nN68ZdyZyd8 | |
[2] https://www.instagram.com/jonnagroneberg/?hl=en | |
[3] https://www.tiktok.com/@jonnagroneberg/video/7461671741031517473 | |
[4] https://www.instagram.com/thelmabuabeng/?hl=en | |
[5] https://newprairiepress.org/cgi/viewcontent.cgi?article=2235&context=st… | |
[6] /Die-steile-These/!5709409 | |
[7] https://www.deutschlandfunkkultur.de/das-kino-spricht-deutsch-100.html | |
[8] https://www.vox.com/videos/23564218/subtitles-sound-downmixing-dialogue-mov… | |
[9] /Synchronsprecher-gegen-Stimmen-Kopie/!6107976 | |
## AUTOREN | |
Caroline Smith | |
## TAGS | |
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