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# taz.de -- Buch über die AK-47: Barfüßige Kriegsgötter
> Mogadischu, Grosny, Aleppo: Der italienische Kriegsreporter Domenico
> Quirico folgt der blutigen Spur des Sturmgewehrs AK-47.
Bild: Die am weitesten verbreitete Waffe der Welt ist zum Symbol für Aufständ…
Saddam Hussein posierte mit ihr auf Fotos, ebenso Fidel Castro und
[1][Arafat]. Sie ziert die Landesflagge von Mosambik und verleiht selbst
Konsumprodukten wie Energydrinks die Aura des Revolutionären: Das
sowjetische Sturmgewehr AK-47, besser bekannt als Kalaschnikow, ist die am
weitesten verbreitete Waffe der Welt und zur Ikone bewaffneter Aufstände
geworden.
Der italienische Kriegsreporter Domenico Quirico ist diesem Mythos, dessen
Ursprung er in der Einnahme Saigons durch barfüßige Vietcongs verortet,
nachgereist: Über Jahre und Kontinente hinweg hat er die blutige Spur der
Kalaschnikow verfolgt. In Somalia ist er mit einem Waffenhändler unterwegs,
im Kongo wohnt er den grausamen Strafritualen bewaffneter Aufseher in den
Coltanminen bei, in der Ukraine kriecht er mit notdürftig Bewaffneten durch
Schützengräben und [2][in Syrien] verbringt er Zeit mit einem
Rebellen-Kommandanten, der ihm erklärt: „Ich bin dieses Gewehr.“
Die Kalaschnikow sei die Waffe derer, die im Tod den wahren Sinn des Lebens
sehen, schreibt Quirico. Sie ist leicht verfügbar (rund 100 Millionen Stück
wurden schätzungsweise davon produziert), billig (für 40 bis 200 Dollar zu
haben) und äußerst robust. Außerdem ist sie auch für Personen ohne jede
militärische Ausbildung leicht bedienbar, Kindersoldaten zum Beispiel.
In den Wäldern Mosambiks trifft Quirico den 16-jährigen Haya, er trägt das
Gewehr über der Schulter und ein Brandzeichen im Nacken. Als Kind wurde er
von den Renamo-Rebellen verschleppt und zwangsrekrutiert. Das Schießen
erlernte er auf einer primitiven AK-47-Nachbildung; er musste einen
gefangenen Regierungssoldaten umbringen.
Er habe, so schreibt der Reporter, kein Buch über die Waffe, sondern über
das Böse schreiben wollen, das weder die Technik noch die Kraft der
Vernunft oder die Kultur ausmerzen könne. Um seine These zu illustrieren,
zieht Quirico die Lebensgeschichte des Erfinders [3][Michail Timofejewitsch
Kalaschnikow] heran, dessen autobiografische Erinnerungen er in sechs
Einschüben zwischen die Reportagen setzt. Der Sohn einer nach Sibirien
deportierten Bauernfamilie entwickelte als junger Soldat das Gewehr, für
das [4][Stalin] ihm einen Orden gab, es wurde zur Standardwaffe der Roten
Armee. Bis zum Ende seines 94-jährigen Lebens blieb Michail Kalaschnikow
stolz auf seine Erfindung.
Die Kalaschnikow ist eine verlässliche Begleiterin, während sich Ideologien
und Kriegsziele ihrer Träger ändern können. Domenico Quirico, lange Jahre
Auslandsreporter für die Turiner Tageszeitung La Stampa, geriet 2013 in
Syrien in Gefangenschaft von Al-Quaida. In Aleppo begegnete er dem
Rebellenkommandanten wieder, der nun unter einer schwarzen Flagge Hof
hielt.
Aus dem zur Philosophie neigenden Deserteur war ein Gotteskrieger geworden.
Quirico fragt sich: „Wenn wir die Kraft gehabt hätten, etwas zu sagen, was
wäre dann noch Menschliches zwischen uns, dem Dschihadisten und der Geisel
geblieben? Nichts.“
Nach fünf Monaten Gefangenschaft kam Domenico Quirico auf Intervention der
italienischen Regierung frei. Welche Spuren die Erfahrung bei ihm
hinterlassen hat, darauf geht er im Buch nicht weiter ein. Doch seine
Reportagen der Folgezeit lesen sich weitaus düsterer. Im zerbombten Grosny
notiert er: „Ein kalter schwarzer Nebel wabert unter einem lichtlosen
Himmel über den geschundenen Erdboden, und die Traurigkeit in uns wird zur
Krankheit …“
Dem Buch tut der Kontrast zwischen den miteinander verwobenen Erzählstimmen
gut: Die des Kriegsreporters Quirico kippt gelegentlich ins Fatalistische
oder balanciert hart am Rand zur maskulinen Kriegsprosa, wie im Kapitel
über Gaza, wo er kräftige junge Männer und junge „Kriegsgötter“ am Werk
sieht. Kämpfende Frauen thematisiert er kaum – das wirkt, als weigere er
sich, den ikonischen Bildern zu huldigen, welche die Kalaschnikow auf
diesem Gebiet produziert hat.
## Leise Zweifel am Lebensende
Jedenfalls setzen die munteren Lebenserinnerungen des Genossen Kalaschnikow
einen wohltuenden Kontrapunkt zu den Kriegsberichten. Kalaschnikow, der
zeit seines Lebens Kommunist geblieben war, beschreibt trocken die Härten
des Stalinismus, lästert über intrigante Kader, Jelzin und den ewigen
kapitalistischen Feind aus dem Westen. Erst ganz am Lebensende äußert er
leise Zweifel an seiner „vollkommenen Schöpfung“, die so vielen Menschen
das Leben genommen habe.
Patriarch Kyrill tröstet den Waffenerfinder: Es gebe den Tod nicht
wirklich, sondern nur in dieser Welt. Worte, die nach den eindringlichen
Reportagen von den Kriegsschauplätzen dieser Welt umso perverser klingen.
16 Oct 2025
## LINKS
[1] /Staatsbegraebnis-fuer-einen-Praesidenten-ohne-Staat/!674881/
[2] /IS-Gefangene-in-Syrien/!6091025
[3] /Portrait-Michael-Kalaschnikow/!5152917
[4] /Deportation-von-Russlanddeutschen/!6104679
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse
Politisches Buch
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