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# taz.de -- Wahlen in der Elfenbeinküste: Der Schatten des Elefanten
> Offene Grenzen, Aufnahme von Migranten – einst stand die Elfenbeinküste
> für Fortschritt. Das ist vorbei. Die kommenden Wahlen sind ein
> Alarmsignal.
Bild: Alassane Ouattara strebt bei den Präsidentschaftswahlen Ende Oktober ein…
Schon lange steht die Elfenbeinküste nicht mehr auf der Krisenagenda der
Weltpolitik. Der Bürgerkrieg dort endete 2011, die letzten UN-Blauhelme
verließen das Land 2017. Aber die Wahlen am 25. Oktober, bei denen der
greise Präsident Alassane Ouattara zu einer vierten Amtszeit antritt,
drohen alte Dämonen zu wecken. Die Elfenbeinküste mag global vor allem als
weltgrößtes Kakaoanbauland bekannt sein, aber ihr Schicksal beeinflusst
ganz Westafrika.
Die „Côte d’Ivoire“ – sie behielt als einziges Kolonialgebiet ihren al…
kolonialen Händlernamen, anders als die „Pfefferküste“, die „Sklavenkü…
und die „Goldküste“ – stand einst für ein Gesellschaftsmodell, das sowo…
neokolonial als auch zukunftsweisend erschien: Exportwirtschaft und
Arbeitsmigration. Der nördliche Nachbar Burkina Faso, damals Obervolta,
stellte zu Kolonialzeiten, als all diese Gebiete Teil von
Französisch-Westafrika waren, das Gros der Zwangsarbeiter auf den
ivorischen Kakaoplantagen.
Bei der Unabhängigkeit 1960 erklärte der mit Frankreich verbündete
Staatsgründer Felix Houphouet-Boigny dieses Systems zum Fortschrittsmodell.
Mit den Worten „Sei gegrüßt, o Land der Hoffnung, du Land der
Gastfreundschaft“ beginnt [1][die ivorische Nationalhymne] bis heute.
[2][Menschen aus dem ehemaligen Französisch-Westafrika] blieben in der
Elfenbeinküste nicht nur willkommen, sie genossen dieselben Rechte, sofern
es überhaupt Bürgerrechte gab. Ihre Aufnahme beförderte zugleich Landnahme
durch Plantagenfarmer, zum Nachteil lokaler Kleinbauern.
Houphouet-Boignys multikulturelles, aber autoritäres Klassensystem
funktionierte nur, solange die Exportpreise stimmten, über die das Land
keine Kontrolle hatte. Zwangsläufig war Opposition dagegen zugleich
sozialistisch und nationalistisch ausgerichtet. Nach dem Ende des
Einparteienstaates und dem [3][Tod Houphouet-Boignys 1993] versuchte
Nachfolger [4][Henri Konan Bédié], das System mit einer nationalen Wende zu
retten: der Kampfbegriff der „ivoirité“, die „Elfenbeinigkeit“ als
Unterscheidungsmerkmal von Einheimischen und Zugewanderten, diente zur
Diskriminierung.
Landeigentum und passives Wahlrecht, später auch Posten im Staatsdienst und
zahlreiche Bürgerrechte, wurden auf „Ivorer“ beschränkt, ein Viertel der
Bevölkerung damit ausgegrenzt. Zu den Ausgegrenzten gehörte Bédiés großer
Rivale, der liberale Expremierminister Alassane Ouattara – seine Wurzeln
liegen teils in Burkina Faso.
## Der Sozialist Gbagbo machte es nicht besser
Nach einem Militärputsch errang 2000 die linke Opposition unter dem lange
verfolgten Sozialisten Laurent Gbagbo, dessen Basis bei einst zugunsten der
Plantagen enteigneten Volksgruppen lag, bei Wahlen die Macht. Er setzte die
Ausgrenzung nicht nur fort, sondern verschärfte sie. Als Teile des Militärs
rebellierten. Machte das Gbagbo-Regime im Namen der „Ivoirité“ Jagd auf
ganze Bevölkerungsgruppen, ethnische Hetze trat an die Stelle des früheren
inklusiven Diskurses.
Ende 2010 führte ein Friedensprozess zu freien Wahlen, an denen auch
Ouattara teilnehmen durfte. Ouattara gewann, aber Gbagbo ließ die
Ergebnisse in Ouattaras Hochburgen annullieren und erklärte sich zum
Sieger. [5][Die Metropole Abidjan wurde Bürgerkriegsgebiet]. Erst im April
2011, nach Tausenden Toten und brutalen Kriegsverbrechen, [6][eroberten
französische Truppen und ivorische Rebellen Abidjan], verhafteten Gbagbo
und setzten Ouattara in sein Amt ein – eine seltene Militärintervention
zugunsten des Rechts.
Ouattara wollte als Reformpräsident das zerrissene Land befrieden. Er
appellierte an Houphouets Erbe und gründete die [7][„Sammlung der
Houphouetisten“] als neue Regierungsallianz, die aus der Elfenbeinküste
wieder ein Land von Hoffnung und Gastfreundschaft macht. Aber es gelang ihm
nicht.
## Ouattara, solange er dem Westen nützt
Eine neutrale Justiz und eine schnelle Demobilisierung ehemaliger Rebellen
brachte er nicht zustande. Die Wirtschaft blieb in alten Abhängigkeiten
gefangen. Das Houphouetisten-Bündnis zerbrach, als Ouattara sich nach
seiner zweiten Amtszeit nicht zurückzog – stattdessen ließ er sich 2020
wiederwählen und tritt 2025 erneut an. Die Welt nimmt das hin, denn
Ouattara gilt als pro-europäisches Bollwerk gegen die Islamisten und
anti-europäischen Militärputschisten in den Sahelstaaten Burkina Faso, Mali
und Niger.
Gbagbo war nach seiner Verhaftung 2011 politisch tot, aber heute ist er
lebendig wie lange nicht. [8][Er kam nach Den Haag] vor den Internationalen
Strafgerichtshof – und wurde freigesprochen. Seit seiner [9][triumphalen
Heimkehr] 2021 geriert er sich als verfolgte Unschuld, der gegen eine
neokoloniale Weltjustiz obsiegt hat. Seine Verbrechen sind sozusagen
höchstrichterlich reingewaschen.
Ouattaras Regierung hat nun Gbagbo von den Wahlen ausgeschlossen, ebenso
[10][den jungen Reformer Tidjane Thiam], der Houphouets und Bédiés
ehemalige Partei jetzt führt. Vom Streiter gegen Ausgrenzung hat sich
Ouattara selbst zum Ausgrenzer gewandelt. Gbagbos Umfeld sucht derweil die
brandgefährlicher Nähe zu den Militärherrschern der Sahelstaaten.
Die Stabilität der Elfenbeinküste hängt am seidenen Faden. Schon die Wahl
2020 führte zu Unruhen mit Dutzenden Toten. 2025 dürfte kaum ruhiger
werden. Zu einer „Nacht der Hyänen“, wie der ivorische Schriftsteller
Venance Konan [11][Ende 2010 in der taz] Gbagbos Repression nach seiner
gestohlenen Wahl nannte, dürfte es kaum kommen: Niemand hat Lust auf Krieg
und Ouattara ist kein Gewaltherrscher wie Gbagbo damals. Aber es hängen
Schatten über der Elfenbeinküste.
Die Elfenbeinküste schaffte es nie, den Traum einer offenen Gesellschaft
mit Demokratie und Nachhaltigkeit zu vereinbaren. An seine Stelle rückten
Alpträume, und eine unbelastete neue Ära will sich einfach nicht
einstellen. Der 80-jährige Gbagbo und der 83-jährige Ouattara halten ihr
Land als Geiseln. Und der Waldelefant, dessen Stoßzähne dem Land seinen
Namen gaben, ist mit der Rodung fast aller Regenwälder fast ausgestorben.
12 Oct 2025
## LINKS
[1] https://fr.wikipedia.org/wiki/L'Abidjanaise
[2] /Abidjan-Babylon-Westafrikas/!1716483
[3] /Das-Ende-eines-Koenigs/!1587413
[4] /Ex-Praesident-Henri-Konan-Bedie/!5952154
[5] /Nach-Wahl-in-der-Elfenbeinkueste/!5130318
[6] /Krise-in-der-Elfenbeinkueste/!5122908
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Rassemblement_des_Houphou%C3%ABtistes_pour_la…
[8] /Expraesident-der-Elfenbeinkueste/!5106408
[9] /Expraesident-der-Elfenbeinkueste/!5777086
[10] /Wahlkampf-in-der-Elfenbeinkueste/!6083817
[11] /Debatte-Elfenbeinkueste/!5129948
## AUTOREN
Dominic Johnson
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