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# taz.de -- Das Ende eines Königs
> Felix Houphouet-Boigny, der Präsident der Elfenbeinküste und einer der
> ältesten Staatschefs der Welt, ist tot  ■ Von Dominic Johnson
Souleymane Koti, ein Theatermacher aus der Elfenbeinküste, präsentierte
diesen Sommer im südfranzösischen Avignon ein Drama über das Sterben eines
Königs. „Tropische Totenfeier“ handelt von einem Volk, das nach dem Tod
seines Monarchen kollektiv aufatmet und die Chance ergreift, endlich all
den lang unterdrückten Beschwerden Luft zu machen, die zu äußern es sich
vorher nie traute. Leider ist der König überhaupt nicht gestorben, sondern
er hört gespannt zu und mokiert sich nach seinem Wiederaufwachen über sein
feiges Volk, welches ja damit nur beweist, daß es den Herrscher hat, den es
verdient.
Felix Houphouet-Boigny, Präsident der Elfenbeinküste, ist gestern wirklich
gestorben, und sein Volk hat nicht bis heute gewartet, seine
Unzufriedenheit öffentlich zu äußern. Dennoch: Über 33 Jahre lang regierte
der 88jährige diesen westafrikanischen Staat mit dem kolonialen Namen, die
meiste Zeit nahezu unwidersprochen. Totgesagt hat sein Volk ihn erst in
jüngsten Jahren, als seine Herrschaft bröckelte – besonders, seit er im
Juni eine Notoperation in Paris erhielt. „Der Präsident liegt im Bett“,
erklärte vor zwei Wochen ein etwas zu eifriger Parteifunktionär. „Manchmal
öffnet er die Augen und sagt etwas.“
Nach Nordkoreas Kim Il-Sung war Houphouet-Boigny bis zu seinem Tod der
dienstälteste Staatschef der Welt. Als 1960 die Elfenbeinküste gegen seinen
Willen von Frankreich für unabhängig erklärt wurde, hatte er sein
Lebenswerk nach eigenem Bekunden schon hinter sich: Den überwältigenden
Sieg der „Ja“-Stimmen im Referendum von 1958 über den Verbleib der
Teilstaaten Französisch- Westafrikas in einer Gemeinschaft mit Frankreich,
der communauté francaise. Als Präsident der westafrikanischen
Schwarzenpartei „Afrikanische Demokratische Sammlung“ (RDA) rief
Houphouet-Boigny damals zur Union mit Paris auf; nur Guinea stimmte für die
Unabhängigkeit und geriet in die Isolation – wie von Houphouet-Boigny
prophezeit. „Wir werden nicht in die britische Falle der Schaffung
unabhängiger Staaten in Afrika tappen“, hatte er ein Jahr zuvor die
Wandlung der benachbarten britischen „Goldküste“ zur unabhängigen Republik
Ghana kommentiert. Dementsprechend enge französische Bindungen suchte er
auch nach dem Sommer 1960, als Paris die communauté lockerte, seine
afrikanischen Zöglinge abnabelte und das moderne Afrika – ein von Europa
gezeugtes Afrika – geboren wurde.
Als Präsident regierte Houphouet-Boigny die Côte d'Ivoire wie der
französische Ortsgouverneur, der er bereits in den 30er Jahren war.
Politische Freiheit blieb ein Luxusgut ebenso wie europäischer
Lebensstandard. Unter der ebenso schlichten wie zutreffenden Parole
„Houphouet-Boigny gestern, heute und morgen“ ließ sich der Präsident alle
fünf Jahre mit Stimmenanteilen zwischen 99 und 100 Prozent wiederwählen.
„Sie finden an der Spitze der Regierung einen Chef, Houphouet- Boigny; an
der Spitze der gewählten Körperschaften einen Führer, Houphouet-Boigny; an
der Spitze der Partei einen Präsidenten, Houphouet-Boigny“, charaktisierte
der frühere Generalsekretär der Einheitspartei „Demokratische Partei der
Côte d'Ivoire“, Philippe Yacé, schlicht und zutreffend das politische
System.
Das war über Jahrzehnte hinweg in der Region Usus, Konsequenz eines im
Anspruch totalitären Modernisierungsnationalismus, und Houphouet-Boigny,
Sohn eines Baoule-Stammeschefs, brachte dieses System vielleicht nur
deshalb zur Perfektion, weil er seine Macht nicht nur auf die Gewehrläufe
stützen mußte, sondern durch feingesponnene Allianzen im ganzen Land, mit
traditionellen Königen ebenso wie mit den verbliebenen Franzosen, den
Konsens der Elite suchte. Wie ein roter Faden zieht sich dabei durch seine
Karriere die Interessenverteidigung des Sektors der Gesellschaft, dem er
selbst entstammte – der Kakaobauern, Produzenten des größten Exportguts der
Elfenbeinküste und Rückgrat dessen, was einige wenige Jahre als miracle
ivoirien, als Wirtschaftswunder der Elfenbeinküste, um die Welt gehen
sollte.
Houphouet-Boignys politisches Bewußtsein formierte sich aus der
Diskrimierung schwarzer Pflanzer gegenüber ihren weißen Kollegen während
der Kolonialzeit. „Man stiehlt uns zuviel!“ schrieb er 1932 in einer
Zeitung der französischen Sozialisten und gab damit für die Elfenbeinküste
die Beschwerden über Marktbeschränkungen und niedrige Ankaufpreise wider,
die seit den 20er Jahren in Westafrika grassierten. 1944 gründete er das
„Afrikanische Agrarsyndikat“ (SAA), eine Interessenvertretung reicher
schwarzer Bauern; wer beitreten wollte, mußte mindestens zwei Hektar
Kaffee- oder drei Hektar Kakaopflanzungen besitzen. Houphouet-Boigny ließ
sich in die französische Nationalversammlung wählen, und als Anführer von
20.000 schwarzen Farmern gelang es ihm 1946, die Zwangsverpflichtung
schwarzer Landarbeiter zur Arbeit auf weißen Plantagen – die schwarzen
Pflanzern Arbeitskräfte entzog – abschaffen zu lassen. Mit der
Gleichstellung weißer und schwarzer Arbeitgeber auf dem Land war der
Grundstein für Houphouet-Boignys weiteren Aufstieg gelegt, für die
Unabhängigkeit und das postkoloniale Wirtschaftswunder.
Die Elfenbeinküste geriet zu einem auf Kakao gebauten Staat. 1960 wurden
noch 85.000 Tonnen geerntet, weit weniger als in Ghana oder Nigeria; die
Saison 1987/88 brachte die Rekordernte von 640.000 Tonnen, ein Drittel der
Weltproduktion. An der Spitze dieses scheinbar phänomenalen Erfolges:
Houphouet-Boigny. Er persönlich dekretierte jeden September den
Kakao-Ankaufspreis; er persönlich ernannte die Staatsbeamten, die die ganze
Wirtschaft kontrollierten und oft als Großgrundbesitzer und Wochenendfarmer
unmittelbar an der Produktion beteiligt waren. Privatinitiative war in der
Ökonomie genausowenig gefragt wie in der Politik; der Staat fungierte
gewissermaßen als Erziehungs- und Bereicherungsanstalt für loyale Bürger.
Die Arbeit leisteten die anderen: Migranten vor allem aus Burkina Faso und
Mali, die zeitweise bis zu einem Drittel der Bevölkerung stellten und kaum
Rechte genossen. Für die kakaogenährte Elite, waren die 70er und frühen
80er Jahre eine goldene Zeit. In der Hauptstadt Abidjan wuchsen Hochhäuser
und Fabriken, in Houphouet-Boignys Heimatdorf Yamassoukro eine dem
vatikanischen Petersdom nachempfundene Basilika mit heiligen Krokodilen.
Durch die „kollektive Strategie der privaten Bereicherung“ schien ein
Take-off nach dem Muster Südostasiens in greifbare Nähe zu rücken. Für
Paris war Houphouet-Boigny in Afrika der mächtigste und verläßlichste
Freund, ein westafrikanischer Übervater mit engen persönlichen Beziehungen
auf dem gesamten Kontinent.
Aber das Wunder war auf Kakao gebaut. Zwischen 1978 und 1981 fiel der
Weltmarktpreis für das braune Gold um die Hälfte, zwischen 1986 und 1988
noch mal um 55 Prozent. Im Mai 1987 erklärte sich die Elfenbeinküste
zahlungsunfähig.
Da entschied sich „der Alte“, wie Houphouet-Boigny längst hieß, zu einer
letzten Schlacht – zur Rettung seiner Freunde und seines Lebenswerkes, zur
Rettung des Kakaos. Er wollte den Weltmarkt brechen. 1988 setzte er
kurzerhand den Kakaoexport aus, um den Preisverfall zu bremsen: Die Macht
der Produzenten, die sich schon in den 40er Jahren gegen die Privilegien
der Weißen durchgesetzt hatte, sollte auch diesmal siegen. Aber der
Weltmarkt ist größer als das französische Kolonialreich. In die Kakaolücke
stießen andere Produzenten wie Malaysia, der Preis blieb am Boden, und die
Elfenbeinküste saß auf einem unverkäuflichen Kakaoberg. Um doch noch einen
Ausweg zu finden, ließ sich der Präsident schließlich auf ein Geschäft ein,
das seiner Ökonomie den Garaus machte: Der französische Lebensmittelmulti
Sucres & Denrées kaufte der Elfenbeinküste mit staatlichen französischen
Subventionen 400.000 Tonnen Kakao ab und versprach, die Hälfte auf Halde zu
legen. Es war ein Schwindelgeschäft. Der Multi soll Houphouet-Boigny nicht
nur viel weniger gezahlt haben, als er von der französischen Regierung
kassierte; er soll sogar die versprochene Kakaohalde prompt auf den Markt
geschmissen haben – für den Konzern ein Reingewinn, für Paris eine
geheimgehaltene Blamage, für die Elfenbeinküste der Rückfall in finsterstes
Kolonialdiktat.
Den Sturm erntete Houphouet- Boigny persönlich. Ab 1989 regte sich erstmals
offener politischer Protest, 1990 mußte der Präsident die
Einparteiendiktatur abschaffen und 1991 sogar einen Gegenkandidaten bei
seiner Wiederwahl zulassen. Er mußte den Weltbank- Technokraten Alessandre
Ouattara zum Premierminister ernennen und seine Wirtschaftsklüngel dem IWF
offenlegen.
Heute ist Houphouet-Boignys Lebenswerk dahin. Die stolze Elfenbeinküste ist
zum Sanierungsfall geworden. Mit Privatisierung und Demokratisierung wird
das System umgekrempelt. Kein Wunder, daß der alte kranke König sich in den
letzten Jahren immer öfter in sein geliebtes Paris zurückzog und sich über
sein Volk mokierte.
8 Dec 1993
## AUTOREN
dominic johnson
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