| # taz.de -- Annette Hug über Filipino-Übersetzung: „Auf keinen Fall die kol… | |
| > Die Philippinen sind Gastland bei der Frankfurter Buchmesse. Die | |
| > Schweizer Schriftstellerin Annette Hug hat die Bücher aus dem Filipino | |
| > übersetzt. | |
| Bild: Wie lässt sich das Leben in einem Land mit mehr als 7.000 Inseln und üb… | |
| taz: Frau Hug, wie fühlt sich das eigentlich an: Die größte Buchmesse der | |
| Welt präsentiert die Philippinen als Gastland, und alles, was aus dem | |
| Filipino übersetzt wurde, stammt von Ihnen? | |
| Annette Hug: Die meisten Bücher wurden ja aus dem Englischen übersetzt. Es | |
| ist eine politische Entscheidung von Autorinnen, auf Filipino oder eine der | |
| regionalen Sprachen zu schreiben. Aber nein, es fühlt sich eigentlich nicht | |
| so gut an, die einzige Filipino-Übersetzerin zu sein. Es wäre mir lieber, | |
| es gäbe mehr. | |
| taz: Gibt es keinen Markt für übersetzte philippinische Literatur? | |
| Hug: Als ich vor Bekanntwerdung des Gastlandauftritts der Philippinen | |
| Übersetzungsdossiers an Verlage schickte, reagierten die eher verhalten. | |
| Wie es nach der Messe weitergeht, wird man sehen. Das Beispiel eines | |
| anderen asiatischen Inselstaats, der indonesische Gastlandauftritt 2015, | |
| war in diesem Punkt kein besonders gutes. Da sind die Übersetzungen nach | |
| der Messe auf ein sehr niedriges Niveau zusammengeschrumpft. Korea ist | |
| allerdings ein tolles Beispiel. Wobei die koreanische Literatur auch | |
| stärker staatlich unterstützt wird und eine sehr alte Schrifttradition hat. | |
| Das kann man insofern nicht vergleichen. Aber wenn die Philippinen irgendwo | |
| dazwischen lägen, das wäre schon schön. | |
| taz: Woran können deutschsprachige Leser:innen anknüpfen, wenn Sie | |
| [1][Literatur von den Philippinen] lesen? | |
| Hug: Es gibt zwei Romane, die man unter Climate Fiction einordnen könnte: | |
| Caroline Haus „Stille im August“ und Daryll Delgados „Überreste“. Beide | |
| spielen nach einem zerstörerischen Taifun, nicht weit von der Gegend | |
| entfernt übrigens, wo es zuletzt dieses furchtbare Erdbeben gab. In „Stille | |
| im August“ gefällt mir die Erzählperspektive einer Hausangestellten, die | |
| aus Singapur zurückkommt und ihre Mutter sucht. Das ist auf eine Art | |
| Weltwissen, das sich in diesen migrantischen Erfahrungen ansammelt, und mit | |
| der die Figur dann die feudalen Strukturen ihres Heimatortes anschaut. | |
| taz: Sie haben selbst auf den Philippinen gelebt und waren während Ihres | |
| Studiums in der Frauenbewegung aktiv. Wie war die Situation damals, in den | |
| 90er Jahren, im Land? | |
| Hug: Bereits während der 80er Jahre, zum Ende der Marcos-Diktatur, | |
| entstanden sehr viele verschiedene Frauenorganisationen, nachdem sie lange | |
| verboten gewesen waren. Sie entwickelten Kampagnen rund um die Frage des | |
| Einkommens und der sexuellen Gewalt. Was mich dorthin gebracht hatte, war | |
| der Zusammenhang von Militarismus und Sexarbeit, also die Situation von | |
| Sexarbeiterinnen, die in Bars rund um die amerikanischen Militärbasen oft | |
| unter miserablen Bedingungen arbeiteten. | |
| taz: Hatten Sie damals viele Mitstreiterinnen aus anderen Ländern? | |
| Hug: Zu der Zeit boomte das Frauenthema bei internationalen Hilfswerken und | |
| UNO-Organisationen. Auch die Weltbank machte Projekte für Mikrokredite mit | |
| Frauen. Man hatte die Frauen auch als ökonomische Ressource entdeckt, weil | |
| sie als zuverlässiger galten. In den Missionen gab es Frauen aus | |
| Australien, den USA etc. Aber da, wo ich studiert habe, an der University | |
| of the Philippines, war ich die einzige Weiße. Wobei: Mit einer meiner | |
| besten Freundinnen dort hatte ich deswegen immer wieder Diskussionen. Sie | |
| kam aus Japan, von einer antifaschistischen Gruppe aus Osaka, und ich fand | |
| immer, wir seien die beiden Weißen an der Uni. Das sah sie aber anders – | |
| die Filipinos übrigens auch. | |
| taz: Interessant, immerhin ist [2][Japan ja eine Nation, die auf der Seite | |
| der Kolonisatoren], nicht der Kolonisierten stand. | |
| Hug: Ja. Aber: José Rizal zum Beispiel, der 1896 hingerichtete | |
| philippinische Nationalheld und Schriftsteller, dessen Texte jetzt in | |
| Deutschland noch mal neu herauskommen, war ein großer Japan-Bewunderer. | |
| Selbst als Japan die Philippinen besetzte, gab es noch Teile der | |
| philippinischen Intellektuellen, die das begrüßten als endgültige Befreiung | |
| vom Westen. Das haben die Japaner propagandistisch auch so dargestellt. Die | |
| brutale Herrschaft, die dann folgte, hat das Ansehen wieder sinken lassen. | |
| Heute ist es erneut anders, weil China zur Hauptbedrohung geworden ist. | |
| taz: Wie viel hat sich von der Kolonialgeschichte in die Literatur | |
| eingeschrieben? Abgesehen von den Sprachen natürlich, auf denen die Bücher | |
| verfasst wurden. | |
| Hug: Sehr viel. Allan Derains „Das Meer der Aswang“ ist ein tolles | |
| Beispiel. Derain besteht darauf, dass er das Buch nicht auf Tagalog, | |
| sondern auf Filipino geschrieben hat. Filipino, neben Englisch die | |
| Amtssprache im Land, ist ja eine Sprache, die zwar auf Tagalog aufbaut, | |
| aber Wörter aus vielen anderen Sprachen aufnehmen soll. Das Buch ist daher | |
| für Einheimische nicht einfach zu lesen. Derain greift vorkoloniale Mythen | |
| auf und baut daraus eine pralle Geschichte der Auflehnung in Gestalt eines | |
| 15-jährigen Mädchens, das sich irgendwann in ein Krokodil verwandelt. Ich | |
| lese das auch als eine Art Überlebensgeschichte, ein Ankämpfen gegen ihren | |
| Vater und einen katholischen Priester, der die Mutter hinrichten lässt. | |
| taz: Der Roman kreist um Mystik, um Wunderglaube. Wie findet man eine | |
| Sprache dafür, die auch wir nicht über die Maßen spirituellen | |
| Europäer:innen verstehen? | |
| Hug: Ich wollte auf keinen Fall die koloniale Geste des Überschreibens | |
| wiederholen. Das passiert im Roman selbst, als ein spanischer Pater | |
| auftaucht, der überall Teufel sieht und Hexen. Ich hatte eine große Scheu, | |
| europäische Begriffe für die vielen Geisterwesen zu verwenden, aber es | |
| waren zu viele! | |
| Hilfe habe ich dann [3][tatsächlich bei Jacob Grimm] in seinem Buch | |
| „Deutsche Mythologie“ gefunden. In den verschiedensten Landstrichen | |
| beobachtet er auch lateinische Begriffe, französische, wendische, | |
| sorbische, slawische, jeder Begriff hat vielfache regionale Abwandlungen – | |
| ähnlich unübersichtlich und kompliziert wie auf den Philippinen! Ich habe | |
| dann realisiert, wie sehr die Standardisierung von Sprachen mit der | |
| Etablierung eines starken Zentralstaates zusammenhängt, der die ganzen | |
| Institutionen schafft, eine Grammatik durchsetzt und Wörterbücher erzeugt. | |
| taz: Gibt es Dinge, die sich aus dem Tagalog nur schwer ins Deutsche | |
| übersetzen lassen? | |
| Hug: Das Filipino hat eine unglaubliche Bandbreite an Verben für | |
| Berührungen. Ob ich stupse oder tröstend streichle, ob ich mit dem Stupsen | |
| eigentlich etwas sagen will oder nicht. Das finde ich wunderbar. Da komme | |
| ich durch die Sprache in ein feineres Verhältnis zum eigenen Körper. | |
| Ein Abenteuer ist auch das Sichhineindenken in eine ganz andere Grammatik. | |
| Da kommen Grundannahmen ins Wanken: Zum Beispiel, dass Aktiv und Passiv | |
| sinnvolle Gegensätze sind, um menschliche Handlungen zu klassifizieren. Auf | |
| Filipino stellen sich andere Fragen zuerst: Tut jemand etwas absichtlich | |
| oder unwillkürlich? Tut sie es allein oder mit andern zusammen? Macht sie | |
| etwas selber oder lässt sie jemand andern etwas ausführen? | |
| taz: Haben die Menschen auf den Philippinen ein besonderes Verhältnis zu | |
| Übersetzungen? Gesprochen werden über 130 Regionalsprachen, offizielle | |
| Amtssprachen sind aber nur Englisch und Filipino. | |
| Hug: Das ist eine gute Frage. Es gibt auf den Philippinen engagierte | |
| Verleger und Buchhändler, die Übersetzungen herausgeben in den jeweiligen | |
| Regionalsprachen, Bikol zum Beispiel. Das finde ich beeindruckend, weil es | |
| zeigt, dass nicht alles über die Hauptstadt laufen muss. Viele | |
| philippinische Autoren übersetzen sich auch selber, mitunter in der | |
| Hoffnung, dass ihre Bücher so unabhängig von Übersetzern einen Weg in die | |
| Welt finden. Durch den Buchmessenauftritt kommt aber etwas in Gang. Zum | |
| ersten Mal gibt es nun breitere und etwas verlässlichere | |
| Übersetzungsförderungen vonseiten der philippinischen Regierung, was | |
| explizit auch Übersetzungen zwischen den über 130 Regionalsprachen | |
| beinhaltet. | |
| 14 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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