| # taz.de -- Ausstellung von Carolyn Lazard in Berlin: Die Farben der Kugelschre… | |
| > Mittels Objekten erzählt die Künstlerin Carolyn Lazard von Krankheit und | |
| > Klasse. Ihre Ausstellung läuft in der Berliner Galerie Trautwein Herleth. | |
| Bild: Massenproduzierte Kugelschreiber als Werbeartikel der Pharmaindustrie | |
| Wie Zählstriche reihen sich die Plastikobjekte an der Galeriewand entlang, | |
| eins nach dem anderen in grafische Reihen angeordnet. Weiß mit Akzenten aus | |
| Violett, Türkis, Blau, Orange – das typische Farbspektrum der | |
| Pharmaindustrie. Tritt man näher, erkennt man die Kugelschreiber. Technisch | |
| klingende Namen wie Relpax stehen steht auf ihnen. Atacant, Lipdor, Adavir, | |
| Kendall, Wellbutrin XL, Viagra und viele andere. | |
| In Gruppen hängen sie aufgereiht an den blendend weißen Wänden der | |
| Kreuzberger Galerie Trautwein Herleth. „Portrait I–V“ heißen die Arbeiten | |
| der US-amerikanischen Künstlerin Carolyn Lazard. Entstanden sind sie 2025. | |
| Nicht selbst gesammelt, sondern als ebenjene Konvolute hat Lazard die | |
| Kugelschreiber auf Auktionen gekauft: Überbleibsel aus aufgelösten | |
| Arztpraxen, im Alltag unbeachtete, massenproduzierte Pfennigprodukte. | |
| Schwarz-goldene Stifte für den Chefarzt | |
| Nach Marken sortiert erzählen sie viel. Über Krankheit, Pharmaindustrie, | |
| Einfluss, Design und Klasse. Da sind die schwarz-goldenen schweren für den | |
| Chefarzt, die pinken, lustigen für die Brusttasche des Pfleger-Kasacks. | |
| Da sind dynamische Logos und Farben der Zeit. Da wird | |
| 80er-Jahre-Türkis-Pink zu zurückgenommenem Ultramarin. Man kann an ihnen | |
| ablesen, wie oft welche Pharmavertreter vorbeigekommen sein müssen – und | |
| wie oft wohl die jeweiligen Medikamente verschrieben worden sind. | |
| [1][Die Auseinandersetzung mit Krankheit] ist ein wiederkehrendes Motiv in | |
| den Werken der konzeptionell arbeitenden, 1987 geborenen Lazard, die unter | |
| andere 2024 auf der New Yorker Whitney Biennale oder 2022 auf der Biennale | |
| di Venezia ausstellte und deren Werke sich mittlerweile in renommierten | |
| Sammlungen wie der Berliner Haubrok Foundation befinden. | |
| Der Himmel am Boden | |
| Gelingt es, den Blick endlich von den Kugelschreibern abzuwenden, bleibt er | |
| an einer Installation in der Mitte des Raumes hängen. Lazard hat hier | |
| leuchtende Deckenpaneele auf dem Boden installiert. Als blicke man in einen | |
| spiegelglatten Teich, leuchtet hier ein schäfchenwolkenbetupfter strahlend | |
| blauer Himmel der Betrachtenden ins Gesicht. | |
| An den Rändern kräuseln sich sanft wiegende Ahornblätter an den ins Bild | |
| hineinragenden Ästen. „Into the Wild Blue Yonder“ heißt die Arbeit, auch | |
| hierbei handelt es sich um ein Objet trouvé. Um Leuchtkästen, wie sie in | |
| Arztpraxen gern über den Behandlungsstühlen der Patienten montiert werden. | |
| Durch den Sturz der Perspektive zwingt die Künstlerin in die Körperhaltung | |
| des Behandelnden, eines Narziss, bei gleichzeitiger Einnahme des Blicks des | |
| zu Behandelnden, in den Himmel, die immergültige Metapher des Nach-Lebens, | |
| ein umgedrehter Höllensturz. | |
| Weitere Werke umfassen ein wirklich lustiges Archiv aufgekaufter, für | |
| Filmdreharbeiten künstlich erstellter Patientenakten und eine immersive | |
| Lichtinstallation, die durch den Einsatz von OP-Leuchten die eigene | |
| Wahrnehmung direkt und – zumindest für ein paar Minuten – nachhaltig | |
| verändert. Mehr möchte man hier nicht vorwegnehmen, das Erlebnis ist jedoch | |
| dringend empfohlen. Auch oder gerade weil man dafür eine Zeit lang die | |
| Kunst wirklich betrachten muss. | |
| Das zu tun, ist bei den subtilen Werken Carolyn Lazards nicht | |
| selbstverständlich. Der Blick tendiert erst fast dazu, über die beiläufigen | |
| Arbeiten genauso hinwegzugleiten, wie er es im Alltag gegenüber [2][dem | |
| Kranken, dem Dysfunktionalen und Klinischen] gewohnt ist. Es lohnt sich bei | |
| Trautwein Herleth jedoch sehr, ein wenig mit den Augen hängenzubleiben. | |
| Dann hängt nämlich auch das Hirn mit. Und zwar genauso gut, [3][wie nur | |
| Kunst das schaffen kann]. | |
| 10 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hilka Dirks | |
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