| # taz.de -- Ausstellung über Massaker vom 7. Oktober: Gebündelte Verzweiflung | |
| > Zwischen Empathie, Zeugnis und Spektakel: Eine Ausstellung im Berliner | |
| > Flughafen Tempelhof gedenkt der Toten und Überlebenden des Nova | |
| > Festivals. | |
| Bild: Im Erinnerungsraum sind die Fotos aller Geiseln versammelt, die noch imme… | |
| Am 7. Oktober 2023 überfiel die Hamas Israel. Um 6.29 Uhr drangen | |
| bewaffnete Kämpfer auf das Gelände des neben dem Kibbuz Re’im | |
| stattfindenden [1][Nova-Festivals] ein, töteten dort 411 Menschen und | |
| nahmen 43 Geiseln. | |
| Heute, am 7. Oktober 2025, eröffnet die Ausstellung mit dem Titel: „October | |
| 7, 06:29 AM – The Moment Music Stood Still“, im Berliner Flughafen | |
| Tempelhof, organisiert von der Nova Foundation, einer Stiftung, die kurz | |
| nach dem Attentat von Überlebenden gegründet wurde. „Mit dieser Ausstellung | |
| können wir auch der Welt zeigen, was uns passiert ist, unsere Geschichte | |
| erzählen“, sagte der Mitbegründer des Festivals und Überlebende Ofir Amir | |
| dem RBB. | |
| Was sieht das Publikum? Der Besuch folgt einem klaren Ablauf: ein | |
| Einführungstext und ein Video berichten über das Massaker, lassen in | |
| klassischem Dokumentarformat Menschen zu Wort kommen. Sie beschreiben auch | |
| das Festival, seinen Spirit, die Community. Dann geht es in die ehemalige | |
| Abfertigungshalle des Flughafens, deren Architektur jedoch kaum erkennbar | |
| ist, die Exponate füllen fast jeden Winkel, das Licht ist verdunkelt. | |
| ## Bilder voll ungefilterter Gewalt | |
| In staubigen Zelten und unter künstlichen Bäumen liegen Allerlei Artefakte: | |
| Kleidung und Rucksäcke, Isomatten, Schlafsäcke, ein Spielzeug, ein Spiegel, | |
| es finden sich Verkaufsstände für allerlei Rave-Kitsch, alles bedeckt ein | |
| feiner Staub. Es handelt sich um die zurückgelassenen Besitztümer der | |
| Festivalbesucher:innen. Dazwischen: Flachbildschirme, Telefonscreens, | |
| iPads. Die auf ihnen gezeigten Bilder voll ungefilterter Gewalt sind so | |
| unerträglich zu betrachten, dass die Mitarbeitenden des Flughafens sie | |
| während der Aufbauarbeiten teils mit Tüchern verhängt hatten, um der | |
| visuellen Brutalität nicht konstant ausgesetzt zu sein. | |
| Es sind die Aufnahmen des Überfalls, größtenteils gefilmt von der Hamas | |
| selbst, [2][sie zeigen die Täter], die Taten, die Opfer. Sie zeigen | |
| abfeuernde Maschinengewehre und Motorradfahrten, vermummte Gesichter mit | |
| Nike-Basecaps und grünen Stirnbändern, sie zeigen das Niederreißen von | |
| Zäunen, die „Allahu Akbar“-Rufe, die Hetzjagden, das Blut. Anderes | |
| Bewegtbildmaterial ist von den Opfern selbst gefilmt, auch hier sieht man | |
| den Überfall, die Angst, teils in den eigenen Gesichtern, aufgenommen mit | |
| der Selfie-Kamera des Smartphones. | |
| Sich durch die Ausstellung zu bewegen, ist ein körperliches, ein immersives | |
| Erlebnis. Viele der Videos wurden in den letzten zwei Jahren tausendfach | |
| veröffentlicht, spülten sich durch Social-Media-Streams und | |
| Nachrichtenkanäle. Hier werden sie in der Erfahrung begrenzt. Lässt man die | |
| in Tempelhof aufgebaute Zeltlandschaft hinter sich, geht man vorbei an | |
| ausgebrannten Autofracks und zerschossenen Dixieklos vom Festivalgelände. | |
| Die Bühne des Festivals soll im Laufe der Ausstellung für Kunst aktiviert | |
| werden. Sie ist nachgebaut, ebenso wie die Schutzbunker, die auf dem | |
| Festivalgelände waren und die dort zur Falle für viele der Besuchenden | |
| wurden, als sie sich beim einsetzenden Luftalarm dort hinein begaben und | |
| von den Attentätern überrascht wurden. Auch in ihnen laufen Videos, teils | |
| mit Berichten Überlebender. | |
| Dahinter liegt ein Erinnerungsraum. Versammelt sind die Fotos der | |
| Ermordeten, der Entführten des Festivals sowie aller Geiseln, die sich noch | |
| immer in der Hand der Hamas befinden. Dazwischen Tische voller | |
| zurückgelassener Gegenstände. Angehäufte Kleidung, Rucksäcke, Schuhe. Sie | |
| lassen unweigerlich an die Berge geraubter Gegenstände in deutschen | |
| Konzentrationslagern denken. Es folgt ein Bereich, der sich der Heilung | |
| widmet, ein häufig wiederholter Slogan: „We will dance again.“ Hier wird | |
| die Arbeit der Stiftung dokumentiert, ihr Weg dahin, ihre Ziele. Eins von | |
| ihnen: Geld für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer zu sammeln. | |
| Wie beschreibt man das Unbeschreibliche? Wie stellt man es aus? Die | |
| Gleichzeitigkeiten sind in der Ausstellung „October 7, 06:29 AM“ untrennbar | |
| geschichtet. Zunächst einmal auf zeitlicher Ebene, denn es herrscht immer | |
| noch Krieg. Die Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung ist | |
| dramatisch, noch immer sind Geiseln in den Händen der Hamas. Die | |
| Gleichzeitigkeit findet sich auch auf örtlicher Ebene, wenn die | |
| Ausstellung, die zuvor schon die USA durchreiste, in Deutschland im von | |
| NS-Architekten Ernst Sagebiel errichteten Flughafenbau stattfindet, in dem | |
| auch eine Unterkunft für Geflüchtete untergebracht ist. Die Parallelitäten | |
| manifestieren sich auf medialer Ebene, wenn in den gezeigten Videos der | |
| Hamas digitale Techniken fiktionaler Gewalt (wie sie in | |
| Ego-Shooter-Computerspielen und Militärsimulationen praktiziert wird) ihre | |
| reale Entsprechung in der Tat finden, die wiederum durch Bodycams und | |
| private Smartphones aufgezeichnet wird und in der begehbaren Installation | |
| einen Gegensatz zur entgrenzten, körperlosen [3][Plattformökonomie der | |
| sozialen Medien] bildet. | |
| Die Komplexitäten kleben auf inhaltlicher Ebene zusammen, in der | |
| Ausstellung der Taten durch die Opfer, im Spannungsverhältnis zwischen | |
| Voyeurismus, Abstumpfung, Empathie, Zeugnis und Spektakel. Und auf formaler | |
| Ebene schließlich bündelt sich in ihnen und den Reaktionen auf ebenjene | |
| Bilder der letzten Jahre doch eindeutig die Bildkrise im postfaktischen | |
| Zeitalter und die durch sie begünstigte Verschiebung des antisemitischen | |
| Bildes. | |
| Das alles zu betrachten, ruft Verzweiflung hervor. Und das tiefe Bedürfnis | |
| einer Analyse abseits der rasend beschleunigten Logik von Push-Nachrichten, | |
| contentgerechten Textlängen, Newsfeeds und Social-Media-Aktivismus. | |
| 7 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hilka Dirks | |
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