| # taz.de -- Anderen das Essen vergönnen: Bei Kuchen verstehe ich keinen Spaß | |
| > Falafel teilen, Steak verteidigen, Pudding beschriften: Futterneid ist | |
| > eine Familienkrankheit – und ein treuer Begleiter bis ins | |
| > Erwachsenenleben. | |
| Bild: In meiner Familie gab es immer genug, aber nicht von dem leckeren Zeug | |
| Vor drei Tagen sitze ich beim Thai und beobachte eine Szene am Nebentisch. | |
| Kaum ist das Essen serviert, da greift der Typ auch schon auf den Teller | |
| seiner Freundin und stibitzt eine Scheibe knusprige Entenbrust. Ich bin | |
| empört. Erstens, weil er dafür nicht mal sein Besteck verwendet hat. Aber | |
| noch frecher finde ich, dass er kostet, bevor sie probiert hat. | |
| Es ist der gute alte Futterneid, der sich hier stellvertretend für sie bei | |
| mir meldet. Manch eine Beziehung wäre fast an ihm zerbrochen, und bei einer | |
| jugendlichen Rangelei um den letzten Kartoffelpuffer gab es einen blauen | |
| Fleck. „Du warst schon immer futterneidisch“, sagte neulich meine Mutter am | |
| Telefon. Stimmt. Ich war die, die mit Edding ihren Dany Sahne beschriftet | |
| hat. Genützt hat es mir nichts, er war trotzdem weg. | |
| Wir konkurrierten um alles, meine drei Geschwister und ich. Um die Gunst | |
| unserer Eltern, die Fernbedienung, den Schokopudding. Futterneid: Ganz | |
| normal unter vielen Geschwistern. [1][Mein Ex-Kollege Volkan Ağar schrieb | |
| bereits darüber,] der wie ich in einer Großfamilie aufgewachsen ist. Auch | |
| in meiner Familie gab es immer genug, aber nicht von dem leckeren Zeug. | |
| Mein Vater, der für den Großeinkauf verantwortlich war, [2][kaufte billig]. | |
| Dafür durchforstete er die Supermarktprospekte und machte an jedes | |
| Sonderangebot ein Klebchen. Aufschnitt kam nie von der Frischetheke, und | |
| wenn gegrillt wurde, wollte natürlich niemand das lahme Lidl-Würstchen, | |
| sondern ein Stück von Papas Steak. | |
| Im Freundeskreis habe ich meinen Futterneid mittlerweile eingedämmt, was | |
| auch daran liegen könnte, dass alle wissen, wie wichtig mir der größte | |
| Leckerbissen ist. Aber sobald ich mit meinen Geschwistern oder meinem | |
| Partner esse, falle ich in das alte Muster zurück. Und so wird jedes | |
| familiäre Dinner zur kulinarischen Kampfzone. | |
| ## Die gierigen Augen des anderen | |
| Da ist man zum Beispiel schon so höflich und lässt den anderen von seiner | |
| Falafelrolle abbeißen, und schwupps ist die halbe Rolle weg. Oder: „Du, ich | |
| habe eigentlich gar keinen Hunger“ – und dann soll man plötzlich den | |
| Heiligen Martin spielen und alles teilen. Fast noch schlimmer: Die gierigen | |
| Augen des anderen, der seinen Teller längst leergegessen hat und nur darauf | |
| lauert, dass man die eigene Portion nicht schafft. | |
| Ich merke so richtig, wie mein Puls in die Höhe schnellt, wenn ein Gericht | |
| zwischen mir und meinem Freund steht. Mein Atem wird flacher, die Muskeln | |
| spannen sich an – und jede Zelle meines Körpers schreit: Finger weg, | |
| Freundchen, sonst ramme ich dir die Gabel in die Hand. Dass es bisher noch | |
| nicht so weit gekommen ist, habe ich nur meiner Selbstbeherrschung zu | |
| verdanken. Und deshalb lecke ich das Essen auch nicht präventiv ab oder | |
| furze es an, wie es zu Teeniezeiten durchaus üblich war. Aber ich könnte. | |
| Meiner Erfahrung nach verstärkt sich der Futterneid, sobald der Mitesser | |
| größer ist als man selbst und deshalb theoretisch auch mehr essen kann. | |
| Weil ich aber mindestens genauso viel vom Kuchen will, futtere ich selbst | |
| dann noch weiter, wenn ich satt bin. Wenn ich mich vor Bauchschmerzen | |
| krümme oder fünf Kilo zunehme, dann ist das so. | |
| Von daher wäre für mich eigentlich auch ein eher klein geratener Mann | |
| sinnvoll, aber dann stünde ja auch nur halb so viel auf dem Tisch. Ich aber | |
| schöpfe gerne aus dem Vollen, deshalb koche ich auch für mich alleine groß | |
| auf. Nur dann will mein Heute-Ich meinem Morgen-Ich keine einzige Nudel | |
| gönnen. Wir bleiben dran. | |
| 10 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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