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# taz.de -- Der Mörser und ich: Ganz wunderbar zermürbend
> Klack, krtsch, klack, krtsch – minutenlang. Mörsern ist anstrengend, aber
> lohnt sich. Eine Ode an den vielleicht meditativsten Küchenhelfer.
Bild: Ein Mörser aus Granit
Der Mörser in meiner Küche ist aus Granit. Er hat mal meiner
Schwiegermutter gehört. Ich mag sie ja wirklich gern, aber sie ist eine
miserable Köchin. Wenn man nicht gerade in Feierlaune zusammenkommt, dann
behandelt sie Essen eher wie die notwendige Aufnahme von Kalorien. Deswegen
soll es auch schnell gehen, deswegen ist ein Mörser ihr keine große
Küchenhilfe und deswegen finde ich es nur richtig, dass er jetzt mir
gehört.
So ein Mörser verlangt nämlich Geduld. Er gibt nichts zurück, was man zuvor
nicht hereingesteckt hat. Dieses dumpfe Klack und Krtsch beim Stoßen und
Zerreiben ist das Geräusch von Arbeit, nicht von Effizienz. Deswegen
benutze auch ich ihn nicht besonders oft. Ich schaue ihn eher an wie ein
altes Familienmitglied, das man eigentlich mal wieder besuchen sollte, aber
nie die Zeit dafür findet.
Die Vorzüge eines Mörsers fielen mir das erste Mal auf, als ich zu Besuch
bei meinem Bruder Jörg in Aachen war. Das ist ein paar Jahre her. Ich kam
abends von der Arbeit, so gegen 20 Uhr, und hatte zuletzt um 12 Uhr in der
Kantine gegessen. Ich hatte also riesigen Hunger. In Jörgs Küche stand ein
Mörser aus Stein, groß wie ein Findling, und in ihm war eine Paste, die an
Bauschutt in Olivenöl erinnerte.
„Was ist das?“ habe ich gefragt. „Resteficken“, antwortete Jörg und me…
damit, dass er einfach den ganzen alten Kram aus der Küche genommen hat,
der fast – aber eben nur fast – nicht mehr gut war. Dinge, die im
Kühlschrank weit unten lagen und unappetitlich aussahen, hat er zerstampft
und zerrieben, bis sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren.
Mein Hunger war wirklich groß, der Magen hatte sich schon zusammengezogen,
meine Laune war im Keller. Ich verwandelte mich in einen Zombie und wurde
mir seltsam fremd. Es war zermürbend.
Doch dann war da diese Paste aus Ingwer, Chili, Knoblauch, Salz, Pfeffer
und Öl, vielleicht war auch noch ein Schuss Zitrone dran. Zusammen mit
einem Stück Käse und einem Stück Brot war sie meine Rettung. Ich wurde
langsam wieder ein Mensch. Ich trank noch ein Bier, rauchte noch eine
Zigarette, die Welt rückte sich wieder zurecht.
Ein anderes Mal begegnete mir der Mörser in Tschechien. Nebensaison. Ich
war in Český Krumlov, einem kleinen Ort, der an ein Märchen erinnert. Seit
dem Mittelalter wurde dort nichts zerstört, alles ist irgendwie vorzeitlich
geblieben. Sogar die Haustiere der Stadt. Im Schlossgarten leben zwei
Bären, die man sich wie in einem Zoo anschauen kann.
Ich ging in ein Lokal. Es war klein, die Holzvertäfelung, die den ganzen
Laden prägte, war ein bisschen hässlich, aber insgesamt war es irgendwie
charmant. Ich war umgeben von Einheimischen, sie lachten laut, waren
hingebungsvolle Trinker und sie erklärten mir, woher ihre Standfestigkeit
kam. Es sei der „Nakládaný Hermelin“, der ihnen ihre beeindruckende
Toleranz gegenüber dem leckeren tschechischen Bier verleihe.
Nakládaný Hermelin ist ein typisches Kneipenessen. Man schneidet eine Art
Camembert wie ein Brötchen auf und beschmiert die Hälften mit einer
würzigen Paste, dazwischen kommen hauchfein geschnittene Zwiebeln, und das
Ganze wird einige Stunden in Öl eingelegt, bevor man es serviert.
Eine zahnlose Oma brachte mir das Gericht – und es war eine Offenbarung.
Die feine Textur des Käses, die milden und leicht säuerlichen Aromen auf
der Zunge, serviert mit einfachem Brot, machten ihn für mich zu der
kulinarischen Überraschung des Jahres 2025.
Ich war neugierig, was sich da zwischen den Käsescheiben befand und gab das
der Zahnlosen zu verstehen. Sie führte mich in die Küche. Dort stand ein
großer Mörser. Drin war eine Paste. Die Oma zeigte mir, was ich tun muss:
Erst Knoblauch zerstampfen, dann das Paprikapulver dazu, außerdem Salz,
Pfeffer und Tomatenmark. Das Mischverhältnis nach eigenem Geschmack einfach
anpassen.
Zurück in Deutschland probierte ich das ein paar Tage später mit dem Mörser
meiner Schwiegermutter aus. Und machte direkt einen Fehler. Ich wollte das
Tomatenmark und den Knoblauch miteinander zerstampfen. Aber der Knoblauch
rutschte einfach weg, am Tomatenmark vorbei. Es flutschte wie ein Stück
Seife unter der Dusche. Ätzend war das.
Obwohl ich die Gabel dazunahm, wurde der Mörser für mich zum Inbegriff der
Ineffizienz. Das Prinzip ist zwar einfach: kleinmatschen und fertig. Bis
aber eine feine, gleichmäßig-sämige Paste hervorgebracht wird, muss man
sich in sehr viel Geduld üben.
Klack, krtsch, klack, krtsch – minutenlang. Fast meditativ. Der Mörser und
ich. Er ist ehrlich, er duldet kein Multitasking, keine Push-Nachrichten,
keine halben Sachen. Wer mörsert, kann nicht scrollen. In der Ruhe liegt
die Kraft.
Der Traum eines jeden Meditierenden ist es, sich von Gedanken zu lösen. Ich
denke also nicht mehr aktiv, ich nehme nur noch wahr, wie meine Gedanken an
mir vorbeiziehen. Ist es nicht paradox? Alles, was unter den Stößel kommt,
wird zermahlen, zerfetzt, zerstört. Alles wird in seine einzelnen
Bestandteile zerlegt und etwas völlig Neues entsteht. Das Ende ist der
Anfang. Der Mörser wird zum Lehrer.
6 Nov 2025
## AUTOREN
Clemens Sarholz
## TAGS
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Küche
Genuss
Essen
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