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# taz.de -- Ein Gespräch mit der Mutter: Im Midlife geht das Leben los
> In dem Alter unserer Kolumnistin hatte ihre Mutter drei Kinder und einen
> viel beschäftigten Mann. Trotzdem empfand sie die Zeit als Neuanfang.
Bild: Durchatmen und neustarten, Mütter im Midlife
Meine Mutter und ich sitzen zusammen beim Frühstück. „Sag mal Mama, wie war
dein Leben eigentlich, als du in meinem Alter warst?“, frage ich. „Da ging
es nochmal richtig los“, sagt sie. Das überrascht mich. Immerhin waren
damals drei ihrer vier Kinder in der Pubertät und damit richtige
Kotzbrocken. Wir lümmelten bei zugezogenen Gardinen im Wohnzimmer und
glotzten Talkshows, halfen so gut wie nie im Haushalt und erklärten ihr,
dass sie sich die Augenbrauen zupfen muss, weil das „cooler“ sei.
Es war aber auch die Zeit, in der sie sich wiederfand, sagt meine Mutter.
Denn während ich mich zwischen 20 und 40 ausprobierte und um meine Karriere
kümmerte, hatte sie ihre Bedürfnisse all die Jahre denen ihrer Familie
untergeordnet.
Als ich zur Welt kam, war sie 26. Zwei Jahre später zogen wir um, weil mein
Vater eine neue Stelle angenommen hatte. Bei der Wohnungssuche war meine
Mutter hochschwanger mit den Zwillingen. Nichts gefiel ihr, erzählt sie.
Dann wurde die Zeit knapp, und so mieteten meine Eltern ein düsteres Haus
mit ausgebautem Dachboden, wo sie stundenlang mit uns hockte und Bauklötze
stapelte.
## Anstrengende, einsame Jahre
Sie hätte viel geweint in dieser Zeit, sagt meine Mutter. Der Mann immer
auf irgendwelchen Veranstaltungen und sie alleine mit drei kleinen Kindern,
die entweder krank waren oder schrien. Dann die Nachbarn, die allesamt
älter waren als sie und ihr erklärten, wie das Leben in der Siedlung
funktionierte. Also packte meine Mutter uns mehrmals die Woche ins Auto und
floh zu ihrer Mutter oder streifte stundenlang durch den nahegelegenen
Wald.
Ich erinnere mich noch daran, wie wir das spanische Au-pair-Mädchen
ärgerten, das zu ihrer Unterstützung gekommen war, und wie es vorzeitig
wieder abreiste. Ich erinnere mich an den Schreianfall meiner Mutter, als
ich aus dem Glas eines erkälteten Jungen trank. Ein andermal steckten wir
uns alle mit Keuchhusten an. Einschließlich meiner jüngsten Schwester, für
die die Infektion im Säuglingsalter lebensbedrohlich war.
Wenn ich heute darüber nachdenke, müssen es unvorstellbar anstrengende, und
ja, auch einsame Jahre für meine Mutter gewesen sein. So jung und so weit
weg von ihrer Familie und ihren Freund*innen, mit einer Verantwortung, die
ich niemals hätte haben wollen. [1][Klar half auch mein Vater mit, aber
letztlich hing das Meiste an ihr.]
## Sie ist so tough, wie ich es gern wäre
Meine Mutter sagt, sie habe schon früh den Wunsch gehabt, Hausfrau und
Mutter zu sein. „Ich fand das eine schöne Vorstellung, aber ich kannte es
auch nicht anders“, erzählt sie. Dass dieses Leben aber oft alles andere
als rosig war, erfuhr sie am eigenen Leib. Trotzdem würde sie das Meiste
wieder so machen, sagt sie, was ich nicht ganz verstehe, weil es neben den
guten Momenten auch viele Entbehrungen für sie bedeutet hat.
Und weil [2][die traditionelle Rollenverteilung] in anderen Fällen
furchtbar schiefgeht. Mit Männern, die sich zum Despoten aufspielen oder
die ihre Partnerin für eine andere sitzen lassen – mit all den bekannten
negativen Folgen. Deshalb finde ich es auch so bedenklich, dass gerade
wieder vermehrt junge Frauen mit dem Modell des Tradwifes liebäugeln. Dass
sie sich freiwillig in die finanzielle Abhängigkeit ihres Partners begeben,
auf dem wiederum die Verantwortung des Alleinverdieners lastet.
Meine Eltern haben es dennoch geschafft, eine überwiegend harmonische Ehe
zu führen. Wahrscheinlich, weil sie sich viele Freiheiten ließen – und weil
sie sich immer wieder neu erfunden haben. So wechselte meine Mutter in
ihren mittleren Jahren mit einem leisen Knall vom Herd auf den Hochsitz.
Sie wurde Jägerin, machte nochmal eine Ausbildung und suchte sich einen
bezahlten Job. Heute ist sie so tough, wie ich es gerne wäre. Aber mit ihr
tauschen? Auf keinen Fall. Sie sagt das gleiche übrigens über meinen
Lebensentwurf.
30 Oct 2025
## LINKS
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[2] /Mutterschaft-im-Ost-und-West/!6121208
## AUTOREN
Anna Fastabend
## TAGS
Kolumne Midlife Monologe
Care-Arbeit
Mutter-Tochter-Beziehung
Mutterschaft
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