| # taz.de -- Schuften in der Leistungsgesellschaft: In die Nacht schauen und an … | |
| > Bei zwölf Stunden Arbeit und einem leeren Büro kommt Wut auf: Warum | |
| > schuften wir so viel, während die „Leistungselite“ längst schläft? | |
| Bild: Der ehemalige Ampelmann Christian Lindner mit seiner teuren Karre | |
| Neulich habe ich zwölf Stunden am Stück gearbeitet. Erst leert sich die | |
| Redaktion und ich finde es prima, weil ich mich so endlich in Ruhe auf die | |
| Textarbeit konzentrieren kann, dann wird mir unheimlich. Ich bin ganz | |
| alleine im Großraumbüro und blicke in die schwarze Nacht hinaus. Hier sitze | |
| ich nun mit meinem protestantischen Arbeitsethos und bringe mich um eine | |
| weitere Stunde Yoga, die meinem Nacken sicher guttäte. | |
| Auch das Wasserglas ist immer noch leer, obwohl ich schon länger durstig | |
| bin. Aber bevor der Text nicht fertig ist, gehe ich nirgendwo hin, befehle | |
| ich mir – und bin gleichzeitig wütend auf mich. Und ich bin wütend auf | |
| diese Zeit: Denn es dreht sich alles um Leistung und Effizienz. Menschen | |
| beurteilen sich selbst und andere danach. | |
| Gleichzeitig lohnt sich Arbeit für immer weniger von uns. Ich blicke also | |
| in die Nacht hinaus, und plötzlich taucht Christian Lindner auf. Es gibt | |
| ein Video von ihm, in dem er vor die Kamera eines Tiktokers fährt. „Hä, das | |
| ist einfach, das ist einfach …“, ruft der Tiktoker. [1][Indes sitzt der | |
| Ampelzerstörer in seiner 140.000-Euro-Karre]. | |
| Hier ist sie also, die personalisierte Leistungslüge. Für uns andere gilt | |
| natürlich, frei nach Multimillionär Friedrich Merz: „Aber jetzt wird wieder | |
| in die Hände gespuckt.“ Irgendwer muss ja den deutschen SUV wieder aus dem | |
| Dreck ziehen. [2][Außerhalb von Merz Büro sieht die Welt anders aus]. Da | |
| gibt es die, die in Arbeit ertrinken, die nächsten haben prekäre Minijobs, | |
| andere müssen in der Rente dazuverdienen und für wieder andere gibt es | |
| keine Arbeit mehr. | |
| ## Ein kurzes Gefühl der Sicherheit | |
| Mir kommt die Mutter meines Schwagers in den Sinn, die sich jetzt im | |
| Ruhestand nach einem Zuverdienst umsehen muss, weil ihr Leben zu teuer | |
| geworden ist. Dann fällt mir mein anderer Schwager ein, der nach längerer | |
| Jobsuche endlich dachte, eine Anstellung über eine Zeitarbeitsfirma | |
| gefunden zu haben. Nur ein kurzes Gefühl der Sicherheit, jetzt ist er | |
| wieder ohne Job. | |
| Dieses Land hat kein Fleiß-, sondern ein Verteilungsproblem, was Jobs und | |
| Geld betrifft. Stellenabbau, Assessment-Center, Vetternwirtschaft, schlecht | |
| bezahlte Praktika, jetzt fallen mir meine eigenen unwürdigen Nebenjobs | |
| wieder ein: Hostess auf der Automesse, Fahrgasterhebung, Kellnern beim | |
| Schützenfest, dann die vielen befristeten Verträge. | |
| Bei manchen von uns hat die Arschkriecherei zum Erfolg geführt, bei anderen | |
| zu Jobs, die sie hassen. Über alldem schwebt die Angst vor | |
| Arbeitslosigkeit. Ich gucke also in die Dunkelheit und frage mich, warum | |
| sich die Erzählung so hartnäckig hält, dass wir alle ersetzbar seien. Durch | |
| andere Menschen, Maschinen oder KI. | |
| Jetzt spuken die vermeintlich Unersetzbaren durch meine Gedanken: Einige | |
| von ihnen, die sogenannten „Familienunternehmer“, haben sich unlängst sogar | |
| auf einen Kurzzeit-Flirt mit der AfD eingelassen. Wer sind diese Leute | |
| eigentlich? „Über Geld spricht man nicht“, hieß es in meiner eigenen | |
| Familie oft. Und der Neidvorwurf, der ja gerne gemacht wird, setzt an jede | |
| Debatte über Verteilung einen Schlusspunkt. Jede*r von uns kennt diese | |
| Sprüche, gleichzeitig wissen wir, dass die soziale Ungleichheit wächst. | |
| Und was tun wir? Zeit, endlich ein Glas Wasser zu trinken und die Arbeit | |
| Arbeit sein zu lassen. Ein halber Tag war es jetzt, durch die Nacht geht es | |
| nach Hause. Zum Glück durch autofreie Straßen, Leistungträger wie Lindner | |
| schlafen nämlich längst. | |
| 6 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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