| # taz.de -- Pflegegrad 1 soll abgeschafft werden: Dann müssen (wieder) die Fra… | |
| > Die Bundesregierung erwägt, den Pflegegrad 1 abzuschaffen. Damit will sie | |
| > Kosten sparen. Es könnte am Ende aber teuer werden. | |
| Bild: Berlin 1966: Frauen haben schon immer gern geholfen – auch unentgeltlich | |
| Frau G. ist 86 Jahre alt, lebt in Berlin in einer kleinen Wohnung im 2. | |
| Stock und hat ihr Leben noch weitgehend im Griff. Sie hat keine | |
| Angehörigen, die ab und zu mal nach ihr schauen, für sie einkaufen, Wege | |
| erledigen, die sie selbst nicht mehr bewältigt. Aber Frau G. hat Pflegegrad | |
| 1, eingestuft nach den Regeln der Pflegeversicherung. Das heißt, sie | |
| bekommt Geld aus der Pflegeversicherung, 131 Euro im Monat. Davon leistet | |
| sie sich „Hilfen im Haushalt“: Mal kauft jemand für sie ein, mal putzt | |
| jemand ihre Fenster, jemand anderes besorgt Medikamente aus der Apotheke. | |
| Alles auf Rechnung und mit Kassenzettel. | |
| Frau G. ist eine von knapp 864.000 Menschen in Deutschland, die mit | |
| Pflegegrad 1 ein zwar eingeschränktes, aber doch freies Leben in ihren | |
| eigenen vier Wänden führen können. Die Hilfe, die sie benötigen, können sie | |
| sich „kaufen“ – bei ambulanten Pflege- und anderen Serviceeinrichtungen, | |
| Haushaltshilfen. In den meisten Fällen aber sind es Angehörige, die für die | |
| Mutter, den Großvater, den Ehemann zu Hause da sind. Fast immer sind es | |
| [1][Frauen, die die private Pflege „nebenbei“ leisten]. | |
| [2][Fällt diese kleine Finanzspritze weg, wie die Bundesregierung das | |
| plant,] wird es sowohl für Frau G. als auch für die Pflegenden schwierig. | |
| Bleiben wir bei Frau G. Wer kauft für sie ein? Wer ist da, wenn sie | |
| schwächer wird? Mit großer Wahrscheinlichkeit müsste Frau G. in ein | |
| Pflegeheim umziehen. Das ist ungünstig für ihren Gemütszustand und am Ende | |
| teuer – für Frau G. und den Staat. Ein Heimplatz kostet, gestaffelt nach | |
| Pflegegrad der Bewohner:innen, Lage und Ausstattung, ein Vielfaches mehr, | |
| als die Ausgaben für Pflegegrad 1 ausmachen – zwischen 800 und 2.100 Euro | |
| monatlich, getragen von den Pflegekassen. | |
| Damit sind die Heimkosten noch nicht gedeckt, in vielen Fällen müssen die | |
| Bewohner:innen privat zuzahlen, das können schon mal bis zu 3.000 Euro | |
| sein. Wer kein Vermögen und/oder nur eine geringe Rente hat, dem hilft das | |
| Sozialamt, also der Staat. | |
| Trotzdem erwägt die Bundesregierung, den Pflegegrad 1 zu streichen. Dadurch | |
| ließen sich rund 1,8 Milliarden Euro jedes Jahr sparen. Sparen ist | |
| tatsächlich nötig, die Kosten für die Pflegeversicherung betragen derzeit | |
| 68,2 Milliarden Euro, in Kürze [3][droht ein Finanzloch von 3,5 Milliarden | |
| Euro]. Gleichwohl weiß niemand, wie die Pflegekosten explodieren, müssten | |
| Betroffene wie Frau G. Hilfe in größerem Umfang in Anspruch nehmen. | |
| An dieser Stelle sind wir bei den pflegenden Angehörigen. Fällt der | |
| Pflegegrad 1 weg, wird die Pflege mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem | |
| von ihnen, konkret von den Frauen übernommen. Denn gibt es keine | |
| professionelle Einkaufshilfe mehr, muss das durch Familie oder Bekannte | |
| geleistet werden. Auf diese Weise [4][privatisiert der Staat die Pflege] | |
| und fällt zurück in eine Zeit, in der in erster Linie Frauen für die | |
| Familie da waren. Gleichzeitig klagt er über zu wenige Frauen auf dem | |
| Arbeitsmarkt, die zudem zu oft Teilzeitstellen haben. Sollte die | |
| Bundesregierung ihren Plan durchziehen, dürfte sich dieses Gefälle | |
| verstetigen. Das ist kontraproduktiv – für alle Seiten. | |
| 3 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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