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# taz.de -- Rüstungsgüter für Krieg in Gaza: Staatssekretär wollte Waffenex…
> 2024 erlaubte die Bundesregierung große Rüstungsexporte nach Israel –
> entgegen massiver Bedenken im Wirtschaftsministerium, wie taz-Recherchen
> zeigen.
Bild: Boxenstop, made in Germany. Das Getriebe des Merkava Panzers, hier am Hak…
Berlin taz | Kanzler Friedrich Merz (CDU) überraschte viele, als er am 8.
August verkündete, dass Deutschland keine neuen Lizenzen für militärische
Ausrüstung erteilen werde, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnte. Er
begründete dies mit den Plänen von Israels Premier Benjamin Netanjahu,
Gaza-Stadt zu besetzen. Noch im Januar, als Oppositionsführer, hatte Merz
sogar mehr Waffen für Israel versprochen: „Ich werde das faktische
Exportembargo der amtierenden Bundesregierung umgehend beenden“, kündigte
er an. Er erweckte so den Eindruck, unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe
ein Ausfuhrstopp bestanden. Tatsächlich aber gab es ein solches „Embargo“
nie.
Recherchen der taz zeigen nun, dass es bereits unter Merz’ Vorgänger Scholz
in der Bundesregierung massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit von
[1][Rüstungsexporten für den Krieg in Gaza] gab. Doch diese Bedenken wurden
offenbar übergangen.
Kurz nach dem Hamas-Massaker an Hunderten israelischen Zivilisten am 7.
Oktober 2023 hatte die Bundesregierung zunächst eine größere Zahl von
Waffenexporten für Israel genehmigt. Statt 33 Millionen Euro im Jahr 2022
bewilligte Berlin im Jahr 2023 Ausfuhren im Wert von 326 Millionen Euro.
Doch bereits Anfang 2024 änderte sich das: Auch die Beamten im
Außenministerium und im Wirtschaftsministerium verfolgten die Nachrichten
über die Art der israelischen Kriegsführung in Gaza. Deutschland ist nach
den Regeln des Vertrags über den Waffenhandel verpflichtet, Exporte zu
verweigern, wenn ein „überwiegendes Risiko“ besteht, dass das Kriegsgerät
für schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verwendet
wird.
Unter den damaligen Grünen-Ministern Robert Habeck und Annalena Baerbock
sorgten die beiden Ressorts von Januar bis August 2024 dafür, dass nur
wenige neue Militärgüter für Israel freigegeben wurden. Laut offiziellen
Zahlen betrug ihr Gesamtwert wenig mehr als 14 Millionen Euro.
## Exporte über 147 Millionen Euro
Doch Baerbock und Habeck gerieten bald unter Druck, auch innerhalb der
Ampel. Im Oktober 2024 warf die Bild-Zeitung den beiden Grünen-Ministern
eine „Blockade“ vor. Friedrich Merz attackierte Scholz im Bundestag. Der
antwortete dem Oppositionsführer im Plenum des Parlaments: „Wir haben
Waffen geliefert, und wir werden weiterhin Waffen liefern.“
In der Ampel wurde das offenbar als Machtwort des Kanzlers verstanden. Nun
nahm der Umfang der freigegebenen Rüstungsgüter deutlich zu, auch das
zeigen die offiziellen Zahlen. Zwischen Ende August und Ende Dezember 2024
genehmigte Berlin insgesamt Exporte im Wert von 147 Millionen Euro –
zehnmal mehr als in den ersten acht Monaten des Jahres.
Recherchen der taz zeigen jetzt, wie umstritten einige dieser
Entscheidungen intern waren. Der prominenteste Kritiker im
Wirtschaftsministerium war nach taz-Informationen Sven Giegold. Er war
unter Habeck als Staatssekretär für Rüstungsexporte zuständig.
Gesprächspartnern vertraute er später eine brisante Information an: Im
Herbst 2024 habe er für mehrere der neuen Exportvorhaben schriftlich seinen
Widerspruch eingelegt; so sagte er es den Gesprächspartnern.
Doch sein Widerspruch fand offenbar kein Gehör. Kurz darauf, im November
2024, trat Giegold als Staatssekretär zurück [2][und wurde
Vize-Vorsitzender der Grünen]. Auf Fragen der taz zu dem internen Konflikt
im Herbst 2024 richtet der Grünen-Politiker heute aus, dass er „schon aus
rechtlichen Gründen zu diesen Vorgängen keine Auskunft erteilen“ könne.
## Bewusste Verschleierung?
Dass der Streit nicht früher öffentlich wurde, liegt vielleicht auch daran,
dass die Bundesregierung unter Scholz es Außenstehenden schwerer als früher
machte, die Ausfuhrentscheidungen zu verfolgen. Über Waffenexporte
entscheidet eigentlich der Bundessicherheitsrat. Er berät unter dem Vorsitz
des Kanzlers – und er tagt geheim.
Doch bereits im Oktober 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht die
Regierung zu mehr Transparenz verpflichtet. Sie sei „verpflichtet“, so die
Richter, Bundestagsabgeordneten „auf entsprechende Anfragen hin“
mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat einen bestimmten Export
genehmigt habe, mit Informationen über das Rüstungsgut und das
Empfängerland. Seitdem schrieben wechselnde Wirtschaftsminister regelmäßig
Briefe an den Bundestag, in denen sie die neuesten Entscheidungen
detailliert auflisteten.
Wegen Russlands Großangriff auf die Ukraine stieg der Umfang der
Rüstungsexporte unter Olaf Scholz stark an. Doch gemessen daran verschickte
die Bundesregierung nun nur noch selten Briefe an den Bundestag; das machte
die Welt bereits im November 2024 publik. Einige der sensibelsten
Exportentscheidungen der Regierung wurden dem Parlament nicht offengelegt.
Das betraf zunächst die Ukraine, dann aber – wie die Zeit jüngst berichtete
– auch Israel.
Seit Anfang 2024 erhielt der Bundestag jedenfalls keinerlei Briefe mit
Informationen über einzelne Israel-Exporte mehr; das bestätigen
Abgeordnete. Was es gab, waren Medienrecherchen und allgemeinere Antworten
der Regierung auf Anfragen von Abgeordneten.
## Bundesregierung setzte auf Wortklauberei
Um das zu begründen, schien die Regierung zu einem Trick zu greifen: Sie
gab vor, dass die Entscheidungen nicht vom Bundessicherheitsrat, sondern
direkt von den Ministerien getroffen worden seien. Das Parlament müsse erst
dann informiert werden, so argumentierte im November 2024 das
Wirtschaftsministerium auf eine parlamentarische Anfrage, wenn „eine
Befassung des Bundessicherheitsrats vorangegangen ist“.
Tatsächlich blieb der Bundessicherheitsrat offenkundig sehr wohl mit dem
Thema der Israel-Exporte befasst. Im Oktober 2024 war es Außenministerin
Baerbock, die im Bundestag den Abgeordneten versicherte, dass diese „vom
Bundessicherheitsrat“ erfahren hätten, dass „in den letzten Monaten
wiederholt Lieferungen“ nach Israel genehmigt worden seien; offenbar hatte
der Bundessicherheitsrat also darüber entschieden – auch wenn die
Parlamentarier in Wahrheit nichts davon erfuhren.
Nach wie vor führten die Regierungsmitglieder im Bundessicherheitsrat
vorläufige Orientierungsdebatten, bestätigte ein Insider der taz. Danach
durften die Ministerialbeamten die endgültigen Entscheidungen formulieren.
Bereits kurz nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 gab die
Bundesregierung etwa grünes Licht für den Export von 3.000
Panzerabwehrwaffen nach Israel; das bestätigte im April 2024 ein Vertreter
der Bundesregierung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Es ging wohl
um Waffen des Typs Matador oder RGW 90. Israel soll den Waffentyp, der auch
für den Häuserkampf geeignet ist, für Angriffe in Gaza einsetzen.
Der Bundestag erhielt jedoch nie ein Schreiben mit Einzelheiten zu dieser
Exportentscheidung. Was das Parlament im Dezember 2023 erhielt, war ein
anderes Schreiben von Minister Habeck; es erwähnte eine Genehmigung für 300
Waffen des Typs RGW 90 für Georgien.
## Harte Kritik am Verfahren
Im Herbst 2024 gab Berlin grünes Licht für den Export von spezialisierter
Getriebetechnologie der Augsburger Firma Renk für israelische Kampfpanzer
der Merkava-Klasse. Die wurden von Israel regelmäßig im Gazastreifen und
einmal sogar gegen einen UN-Außenposten im Südlibanon eingesetzt. Doch beim
Bundestag kam die Entscheidung über die Getriebe nicht offiziell an.
Das sorgt jetzt für Kritik. „Das gegenwärtige Verfahren ist unbefriedigend
und passt nicht zu unserer Demokratie“, sagte der SPD-Abgeordnete Ralf
Stegner der taz. Es müsse aufgeklärt werden, ob Minister „die Verantwortung
für Rüstungsexporte intern abwälzen, um der parlamentarischen Kontrolle zu
entgehen“, bemängelt der Linken-Abgeordnete Jörg Cezanne.
Der Kölner Anwalt Sebastian Roßner, ein Experte für Rüstungskontrolle,
kritisiert das Vorgehen der damaligen Bundesregierung ebenfalls scharf.
Politisch gesehen sei die Ausschaltung des Bundestages „fatal“. Es handle
sich um einen „massiven Rückschritt“.
Die verringerte Offenheit könnte auch ein Thema für den IGH in Den Haag
werden. Im April 2024 musste sich die Bundesregierung dort gegen eine Klage
Nicaraguas verteidigen. Das Land warf der Bundesregierung Beihilfe zu
Menschenrechtsverletzungen in Gaza vor.
## Die Beteiligten schweigen
Die Anwälte der Bundesregierung wiesen die Anschuldigung zurück. Sie
verwiesen auf die damals zeitweise stark gedrosselten Waffenausfuhren. Im
April 2024 lehnten die Richter Nicaraguas Antrag auf vorläufige Maßnahmen
gegen Deutschland ab. Sie verwiesen ausdrücklich auf den geringen Umfang
der Exporte, mit dem die deutschen Anwälte argumentiert hatten.
Dass das Volumen der Exporte seit Herbst 2024 dann so stark anstieg, könnte
sich für die deutsche Bundesregierung in den späteren Phasen des
Gerichtsverfahrens als riskant erweisen, sagt Michael A. Becker. Er ist
Assistenzprofessor für internationale Menschenrechte am Trinity College in
Dublin.
Auch der renommierte deutsch-britische Völkerrechtsprofessor Stefan Talmon
glaubt, dass das Volumen der deutschen Exporte Bedeutung für [3][das
Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof] haben werde. „Art und Umfang
der Waffenlieferungen wird, soweit Nicaragua diese substanziieren kann,
durchaus eine Rolle im Hauptsacheverfahren spielen“, sagte Talmon der taz.
Allerdings werde es für Nicaragua wohl „nicht so einfach sein, einzelne
Waffenexporte nachzuweisen – auch wegen der Transparenzfrage.
In Berlin scheinen nicht alle besorgt zu sein. Für das Bundespresseamt
versicherte eine Regierungssprecherin, der Bundestag werde „entsprechend
der Berichtspflichten informiert“. „Zu in der Vergangenheit genehmigten
Exporten“ wollte sie sich nicht äußern. Das Büro von Olaf Scholz verwies
auf das Bundespresseamt. Das Wirtschaftsministerium lehnte es ab,
„Auskünfte zu regierungsinternen Beratungen und Abläufen“ zu
Rüstungsexporten zu geben. Robert Habecks Büro ließ Fragen der taz
unbeantwortet.
16 Sep 2025
## LINKS
[1] /Ruestungsexporte-nach-Israel/!6088528
[2] /Gruenen-Politiker-Sven-Giegold/!6042831
[3] /Macht-sich-Deutschland-in-Gaza-mitschuldig/!6090861
## AUTOREN
Hans-Martin Tillack
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