# taz.de -- Gemeinsame Ökonomie: Sich gönnen können | |
> Mehrere Freund*innen, ein Konto. Seit fast 30 Jahren teilen sie ihre | |
> Einkommen für ein gutes Leben für alle – jenseits von Klasse und | |
> Kleinfamilie. | |
Vor einigen Tagen waren sieben Erwachsene zusammen auf einem Bauernhof an | |
der Müritz. Im leuchtend blauen Wasser baden, Kanu fahren, gemeinsam an | |
mecklenburgischen Seen liegen. Reiten gegangen sind sie auch. Das Besondere | |
des Kurzurlaubs ist in den Gesprächen der sieben passiert. Es ging um Geld. | |
Jan, Branka, Norman, Gerd, Kerstin, Tom und Zora teilen sich ein | |
gemeinsames Konto. Darauf zahlen sie ihre kompletten Einkommen ein und | |
bezahlen davon ihre Ausgaben. Jede Person bekommt, was sie jeweils für sich | |
zum Leben braucht, nicht einen fixen Betrag. Finanzcoop nennen die | |
Freund*innen ihr Modell. Andernorts heißt es auch „gemeinsame Ökonomie“, | |
oder kurz: „Gemök“. Sogar [1][ein Buch] haben sie darüber geschrieben. | |
Seit knapp 30 Jahren machen sie das schon. Für den gemeinsamen Urlaub haben | |
sie sich die kniffligen Fragen aufgespart: Erbe, und wie sie das Studium | |
der Kinder bezahlen wollen. | |
„Für solche Themen braucht man Zeit“, sagt Norman, 48 Jahre alt, hagere | |
Statur, gerade arbeitslos. Er ist dabei, seit sich die „Coop“ in einer WG | |
einer mitteldeutschen Universitätsstadt in den 90er Jahren gründete. Norman | |
kam damals mit der Sozialhilfe nur knapp bis zum Monatsende. Bei anderen | |
seiner fünf Mitbewohner*innen reichte das Geld der Eltern locker | |
darüber hinaus. Mit ihren Familien waren sie alle nicht so eng. Das Ziel | |
der Gruppe, die damals noch aus sechs Personen bestand: die ungleichen | |
Bedingungen, unter denen sie ins Leben gestartet waren, auszugleichen. Was | |
auf ihren Konten landete, packten sie in eine Sparbüchse in Form eines | |
gelben Blechbus. Aus der Dose wurde später ein gemeinsames Konto. Das gibt | |
es bis heute, ansonsten hat sich in den Leben der vier Mitglieder, die von | |
Anfang an dabei waren, fast alles verändert. | |
Um die Perspektiven von drei der sieben soll es in diesem Text insbesondere | |
gehen. Um Zora, die mit Theaterabo, Skiurlaub und Haushälterin aufgewachsen | |
ist. Heute arbeitet sie als Oberärztin in einer Kinderklinik und wohnt mit | |
Ehefrau und Sohn im eigenen Haus. Um Jan, der als erster in seiner Familie | |
aufs Gymnasium ging, wo alle Kinder tolle Fahrräder geschenkt bekamen, | |
während er für sein Rennrad sparen musste. Das Bioladen-Kollektiv, in dem | |
er heute arbeitet, hat er mit aufgebaut. Er wohnt im Bauwagen und reist | |
gern zu imposanten Tieren, meistens weit weg. Und um Norman, dessen | |
Großvater ihm zwei Strategien zur Klassenflucht nahelegte: „Gute Noten oder | |
eine reiche Frau finden.“ Als noch die ganze Finanzcoop-WG zusammenlebte, | |
holte er gerade sein Abi nach. Nach dem Studium entschied er sich, in der | |
Wissenschaft zu bleiben und schreibt gerade seine Doktorarbeit fertig. Im | |
April ist er zum ersten Mal in seinem Leben in eine eigene Wohnung gezogen, | |
er hat jetzt ein Wohnzimmer mit Kronleuchter. | |
Die Namen der Städte, in denen sie wohnen, sollen hier nicht vorkommen. | |
Auch die Namen der Coop-Mitglieder sind Pseudonyme, erkannt werden wollen | |
sie nicht. Aber den sieben Freund*innen ist wichtig, über Geld und dessen | |
Verteilung zu sprechen. Über Lohnunterschiede etwa, denn die Einkommen der | |
Coop-Mitglieder liegen zwischen 800 und 5.400 Euro netto. Branka, die auch | |
von Anfang an dabei war, arbeitet als Ärztin. Die später Hinzugekommenen | |
sind von Beruf: freiberufliche Journalistin, Konzert-Booker und DJ. | |
Wie Geld und Prestige in Deutschland verteilt sind, hat bis heute viel mit | |
der Herkunftsfamilie zu tun. Geerbte Vermögen machen laut [2][Armuts- und | |
Reichtumsbericht] durchschnittlich 35 Prozent der Gesamtvermögen aus. Wer | |
aus einer Familie mit hohen Bildungsabschlüssen kommt, geht mit großer | |
Wahrscheinlichkeit ebenfalls aufs Gymnasium. Eine [3][OECD-Studie aus dem | |
Jahr 2018] kommt zum Schluss, dass Menschen aus unteren Einkommensklassen | |
in Deutschland sechs Generationen brauchen, um diese zu verlassen. In | |
anderen OECD-Ländern sind es im Durchschnitt immerhin anderthalb weniger. | |
Einkommen in Deutschland sind in den vergangenen 30 Jahren zwar auch | |
inflationsbereinigt gestiegen. Aber bei den niedrigsten Einkommen kommen | |
gerade mal vier Prozent Lohn dazu, während die [4][obersten zehn Prozent | |
rund 50 Prozent mehr Geld] bekommen. Studien belegen auch, dass die | |
Inflation seit dem russischen Angriffskrieg 2022 [5][ärmere Haushalte | |
besonders stark trifft]. | |
Ungerecht findet das die Coop. Im Universum der sieben Freund*innen hängt | |
es nicht vom eigenen Einkommen ab, wer wie viel Geld zur Verfügung hat. | |
Sondern davon, was jede und jeder so braucht. Für Miete und Essen, aber | |
auch für Urlaube und andere schöne Dinge. Wer sich wie viel vom gemeinsamen | |
Konto auszahlt, wird gemeinsam entschieden. | |
Eigentlich ist es nicht die Aufgabe von Freundschaften, sich gegenseitig | |
finanziell abzusichern. Für den Ausgleich zwischen Arm und Reich sollte der | |
Staat sorgen. Eigentlich. Doch stattdessen will die schwarz-rote Koalition | |
[6][bei Bürgergeldempfänger*innen sparen,] während Steuererhöhungen | |
für Vermögende und Erben mit einer unionsgeführten Regierung in weiter | |
Ferne bleiben. Ist die gemeinsame Ökonomie die Antwort auf Kürzungen beim | |
Sozialstaat, niedrige Renten, die ungleiche Verteilung von Erbe? Lassen | |
sich so Klassenunterschiede ausgleichen, Lohnunterschiede abfangen, Ängste | |
vor sozialem Abstieg nehmen? Und vor allem: Wie schaffen es sieben | |
Erwachsene, knapp 30 Jahre lang ihre Finanzen gemeinsam zu managen? Sieben | |
Fragen an die Gruppe. | |
## 1. Wie wird das Geld verteilt? | |
Ein Samstagnachmittag in einer deutschen Großstadt. Draußen strahlender | |
Sonnenschein. Sechs der sieben Coop-Mitglieder sitzen in der dunklen Küche | |
einer Hinterhofwohnung. Die Dielen abgewetzt, das Fenster in der Ecke des | |
Raums, die Lampe über dem Küchentisch muss man anknipsen. Die sechs | |
erzählen sich, wofür sie im kommenden Monat mehr als 100 Euro ausgeben | |
wollen. Sie sind dafür aus drei unterschiedlichen Städten angereist, ein | |
ganzes Wochenende dauert das Treffen. „120 Euro für Weihnachtsgeschenke“, | |
sagt Gerd. „Ich brauche neue Sneakers“, sagt Jan, „und eigentlich auch ne… | |
Unterhosen, insgesamt kostet das dann so 150 Euro.“ | |
Sogenannte „Kohlerunden“ macht die Finanzcoop mittlerweile seit fast 30 | |
Jahren regelmäßig. „Es kann einem kleinlich vorkommen, dass wir da über | |
100-Euro-Beträge sprechen“, sagt Norman, „aber es hilft, um einen Überbli… | |
über die finanzielle Situation zu bekommen: Sollte ich gerade ein bisschen | |
aufs Geld schauen, weil alle Laptops in der Gruppe kaputt sind oder haben | |
wir es richtig dick und können lecker essen gehen?“ Die „Kohlerunden“ se… | |
wichtig dafür, dass jeder sich selbst regulieren könne. Hilfreich fürs | |
Budget ist auch ein ungeschriebenes Gesetz der Coop: große | |
Lebensveränderungen möglichst früh kommunizieren, damit die Coop sich | |
darauf einstellen kann, zum Beispiel wenn jemand seinen Job kündigen will. | |
„Vielleicht kaufst du dir gleich zwei Paar Schuhe?“, schlägt Kerstin vor, | |
nachdem Jan erzählt hat, dass er abgesehen von Klebeband-gestützten | |
Turnschuhen nur noch Sandalen und Wanderschuhe besitzt. Als nächstes ist | |
Branka an der Reihe. „Dieser schöne grüne Metalltisch, den ich neulich | |
gekauft habe, ziert jetzt meinen Balkon“, erzählt sie. „Und ich habe jetzt | |
ein schönes weißes Metallbett gesehen.“ 700 Euro kostet das Gestell, dazu | |
kommen noch Lattenrost und Matratze. „Wenn ihr damit einverstanden seid, | |
würde ich das jetzt bestellen.“ | |
## 2. Wie viel Ich passt ins Wir? | |
Eine Stadt in Norddeutschland. In Hoodie und Trainingshose öffnet Zora die | |
Haustür. Auf dem Küchentisch brennen Kerzen. Aus dem Fenster blickt man auf | |
kleine Gärten, dahinter eine Reihe Einfamilienhäuser. Als ihr Sohn geboren | |
wurde, wohnte Zora noch samt Partnerin in einer WG. Eigentlich wollte Zora | |
nie nur in der Kleinfamilie zusammenleben. Doch die anderen | |
Mitbewohner*innen konnten sich nicht vorstellen, langfristig mit einem | |
Kind zusammen zu wohnen, und Pläne für ein Hausprojekt scheiterten. | |
Darüber war die Enttäuschung groß. Aber die Finanzcoop enttäuschte die | |
Oberärztin nicht. Natürlich gab es auch Krisen. Die erste, als | |
Partner*innen in die Finanzcoop eintraten. „Die Beziehungen zwischen uns | |
Coop-Mitgliedern waren plötzlich nicht mehr gleich, es entstanden | |
Untergruppen und demzufolge Hierarchien“, erzählt Zora. Dem Ideal der | |
Coop-Mitglieder entsprach das nicht. Dann trennte sich eines der Paare, das | |
andere trat aus. Keine romantischen Beziehungen mehr in der Coop, | |
beschlossen die Übrigen. | |
Ein zweites Mal veränderte sich die Coop, als mehrere Mitglieder, darunter | |
auch Zora, die Stadt verließen. Anstelle spontaner abendlicher WG-Treffen | |
musste eine neue Struktur her, um über Einnahmen und Ausgaben zu sprechen. | |
Die Freund*innen begannen, sich alle sechs Wochen an einem der Wohnorte | |
zu treffen, ein ganzes Wochenende lang. Seit 27 Jahren machen sie das so. | |
„Man muss die Coop schon sehr priorisieren, damit man das durchhält“, sagt | |
Zora. | |
Krise Nummer drei kam, als die Coop auf vier Mitglieder schrumpfte. „Vier | |
können sich nicht ausreichend abpuffern, wenn jemand mal gar nichts oder | |
wenig verdient, finden wir“, sagt Zora. Die Verbliebenen suchten nach neuen | |
Mitstreiter*innen, von denen zwei bis heute dabei sind. Sechs bis neun | |
Mitglieder sind laut Coop ideal: „Genug Leute, damit man sich gut | |
unterstützen kann, aber auch nur so viele, dass man zu jedem eine | |
persönliche Beziehung aufrecht erhalten kann.“ Am wichtigsten findet Zora, | |
„sich gegenseitig das Leben und die Freiheiten zu lassen, die man braucht“. | |
Jede*r in der Runde müsse trotz gemeinsamem Geld eigene Entscheidungen | |
treffen können, ohne von den anderen bewertet zu werden. | |
Denn es geht ja nicht nur darum, ob jemand sich für 50 Euro Unterhosen | |
kauft. Die sieben Freund*innen müssen auch ihre unterschiedlichen | |
Lebensentwürfe finanziell mittragen. Langstreckenflüge in den Urlaub, die | |
man selbst moralisch verwerflich findet. Klassenfahrten für Kinder, obwohl | |
man selbst auf gar keinen Fall welche bekommen will. „Mir fiel es | |
wahnsinnig schwer zu akzeptieren, dass Leute einen Kinderwunsch haben“, | |
erzählt Norman. Aber damit die Coop gelingen könne, müsse man jeder Person | |
ihren Entwicklungsraum zugestehen, auch wenn sie sich von einem weg | |
entwickle. | |
## 3. Neidfaktor Null im Kollektiv? | |
Ein kalter Tag im Dezember. In der mitteldeutschen Universitätsstadt, in | |
der alles seinen Anfang nahm, sitzt Jan neben weißen Plastikbottichen mit | |
Hafer und Dinkel, Zucker und Weizen. „Bleiben wir lieber im Laden“, sagt | |
Jan, „hier ist es wärmer.“ 2001 hat er das Bioladenkollektiv mitgegründet. | |
Zwischen den Holzregalen dienen ein großer Tisch und ein paar Stühle als | |
Büro. | |
Wollmütze und Fließjacke behält er lieber an. Aber hier ist es noch immer | |
angenehmer als in seinem Bauwagen, wenn man nicht vorgeheizt hat. In dem 18 | |
Quadratmeter großen Raum ist zwar ein Ofen, doch bis der warm ist, dauert | |
es. Jan zählt auf, was noch auf die Fläche mit vier Rädern passt: ein Bett, | |
ein kleiner Schreibtisch, ein Schrank, ein kleiner Abstellraum, eine Spüle, | |
eine Herdplatte. „Im Winter bleiben die Füße halt kalt“, sagt er, „da | |
helfen Schaffelle, sowohl auf dem Boden als auch im Bett“. Dusche und | |
Toilette sind in einem Hausprojekt nebenan untergebracht. 200 Euro im Monat | |
kosten Miete und Stellplatz, Wasser und Holz. An relevanten Fixkosten hat | |
Jan sonst nur noch Ausgaben für Nahrungsmittel. | |
Einige Jahre bevor Jan in den Bauwagen zog, kaufte sich Zora aus dem vorab | |
ausgezahlten Erbe ihrer Eltern das Haus. Die Coop stimmte dem Kauf damals | |
zu. Aber wie ist es jetzt für Jan mit 18 Quadratmeter Bauwagen, während | |
Zora ein gemütliches Haus bewohnt? „Ich will ja gar kein Haus“, sagt Jan. | |
„Warum sollte ich auf etwas neidisch sein, was ich gar nicht will?“ Und | |
wenn er doch eins wolle, sei er sich sicher, dass die Coop ihn dabei | |
unterstützen würde. Stress gibt es eher mit den romantischen Beziehungen | |
der Coop-Mitglieder. „Da trifft sich dein Partner oder deine Partnerin alle | |
sechs Wochen mit einer Gruppe von Leuten, die dann auch über all deine | |
Beziehungsprobleme Bescheid wissen“, sagt Jan. „Das führt durchaus zu | |
Konflikten.“ Vor allem sei es schwierig, wenn die jeweiligen | |
Partner*innen eigentlich gern ihre Finanzen mit der Beziehungsperson | |
teilen würden. Als die Gruppe sich im November trifft, ist ein solcher | |
Konflikt gerade wieder hochgekocht. Die Coop schlägt der Freundin vor, sich | |
mit anderen Partner*innen von Coop-Mitgliedern zu treffen. Das hat in | |
der Vergangenheit schon manchen Partner*innen geholfen. | |
„Kleinfamilie heißt in der klassischen Form meistens auch: Geld miteinander | |
teilen“, sagt Zora. „Da sitzt man als Coop-Mitglied zwischen den Stühlen, | |
wenn die eigene Beziehungsperson solche Versorgungswünsche an einen | |
heranträgt.“ Wer sich für eine Beziehung mit einem Coop-Mitglied | |
entscheidet, entscheidet sich eben immer auch ein bisschen für eine | |
Beziehung mit allen sieben. | |
Beim Telefonat mit Norman, einige Wochen später, fallen ihm schon ein paar | |
Momente ein, in denen Coop-Mitglieder neidisch aufeinander waren. Sie | |
hätten meist damit zu tun gehabt, „dass man sich selbst etwas nicht | |
zugesteht, was man eigentlich gerne hätte“. Einen schönen Urlaub zum | |
Beispiel. „Es tut allen gut, wenn man seine Bedürfnisse kennt und | |
ausspricht, dann können wir sie gemeinsam erfüllen“, sagt Norman. | |
Neben emotionalen Fragen sind da die praktischen. Hat ein Coop-Mitglied ein | |
Kind, gibt es ein gemeinsames Familienkonto, auf das die Coop einen Betrag | |
überweist, das andere Elternteil ebenso. Die Familie kann daraus die | |
alltäglichen Ausgaben bestreiten, ohne dass jedes Mal die komplette Coop | |
involviert ist. | |
Dass nicht Ehepartner*innen oder Familie, sondern Freund*innen | |
finanziell füreinander einstehen, diese Konstellation kennt das deutsche | |
Recht bislang nicht. Die von Ex-Justizminister Marco Buschmann [7][geplante | |
Verantwortungsgemeinschaft] schaffte es vor dem Bruch der Ampel nicht mehr | |
durch den Bundestag. Sie wäre längst nicht so weitreichend gewesen, dass | |
sie die finanziellen Beziehungen der Coop-Mitglieder untereinander hätte | |
regeln können. Aber zumindest in Ansätzen hätte sie die Grundlagen dafür | |
geschaffen, dass Menschen ohne romantische oder familiäre Beziehung | |
zueinander Vermögen oder Wohnraum teilen. | |
## 4. Reicht das Geld überhaupt? | |
Für Norman bedeutet Luxus: den guten Wein bestellen und am Dessert nicht | |
sparen, hin und wieder weit verreisen, eine Datsche am See im Brandenburg, | |
und einen Platz im Coworking-Space mieten, in dem sich die Coop gerade | |
trifft. Bis vor Kurzem gehörte er zu den Gutverdiener*innen. Aber jetzt, | |
ohne Job, bringt er nur wenig in den gemeinsamen Topf ein. „Damit hatte ich | |
schon ein bisschen zu tun“, sagt Norman. | |
Auch, weil er in eine neue Wohnung gezogen ist und damit höhere Ausgaben | |
hat als sonst. Ein anderes Coop-Mitglied nimmt gerade eine Auszeit, hinzu | |
kommen die Auswirkungen der Inflation. Zum ersten Mal seit Langem rutsche | |
das Konto am Monatsende manchmal ins Minus, „sodass dann jemand in die | |
Gruppe fragt, ob noch was von jemandem kommt“. Eigentlich haben die | |
Mitglieder sich vorgenommen, jeden Monat 800 Euro zur Seite zu legen. Doch | |
den monatlichen Dauerauftrag aufs Sparkonto musste die Gruppe in diesem | |
Sommer stoppen. Der Spielraum, um finanziell schwerwiegende | |
Lebensentscheidungen auszugleichen, ist kleiner geworden. Will nun noch | |
eine Person eine Auszeit nehmen, wird es eng. | |
Überhaupt reicht das Geld nur, weil der Lebensstil der Ärzt*innen trotz | |
hoher Einkommen bescheiden ist. „Mein Gefühl im Alltag ist, dass ich 2.000 | |
Euro zur Verfügung habe“, sagt Zora, die tatsächlich 5.400 Euro netto im | |
Monat verdient. Zora geht es beim Geld teilen auch um eine Kritik am | |
Kapitalismus: „Wir wollen der ständigen Selbstoptimierung etwas | |
entgegensetzen, und die Verschiedenheit von Bedürfnissen anerkennen.“ Aber | |
wie sehr kann man sich dem Leistungssystem entziehen? | |
## 5. Bedeutet Finanzcoop mehr Utopie? | |
Im Krankenhaus weiß nur eine einzige Kollegin, dass Zora ihr Einkommen mit | |
sechs weiteren Erwachsenen teilt. Allen anderen verrät sie es lieber nicht, | |
„weil ich keine Lust auf das Unverständnis habe“. Dennoch seien die | |
Unterschiede bei Geld und Wertevorstellungen zwischen ihr und ihren | |
Kolleg*innen spürbar. Vor allem, wenn sie den Ärzt*innenkittel | |
ablegen. Die anderen trügen Markenjeans und teure Blazer, Zora bleibt bei | |
ihren Hoodies, bis sie wirklich abgetragen sind. | |
Eigentlich hatte die Coop sich vorgenommen, sich gegenseitig Auszeiten von | |
Erwerbsarbeit zu finanzieren. „Tatsächlich wäre es für uns inzwischen | |
finanziell schon schwierig, wenn ich länger aussteigen würde“, sagt Zora, | |
„aber der Hauptgrund dafür, dass ich nicht weniger arbeite, ist, dass ich | |
mich sehr mit meiner Arbeit identifiziere. Ich komme aus einem | |
Leistungsmonsterhaushalt und ziehe viel Bestätigung aus der Arbeit.“ | |
Auch Jan bedeutet seine Arbeit viel. Der von ihm mitbegründete Bioladen | |
setzt nicht auf Gewinnmaximierung. Stattdessen will das Bioladenkollektiv | |
nachhaltig wirtschaften, selbst organisierte Projekte und fairen Handel | |
unterstützen. Alle Einkaufenden sind zugleich Mitglieder. Alle, die dort | |
arbeiten, verdienen denselben Stundenlohn, „egal ob man putzt oder | |
Buchhaltung macht oder hinter der Kasse steht“. Also ist es zumindest im | |
Kleinen möglich, antikapitalistisch zu sein? „Natürlich nicht“, sagt Jan. | |
„Wir generieren Einkommen aus der Mehrarbeit, die andere Leute leisten, und | |
aus dieser kapitalistischen Logik kommen wir auch nicht raus.“ Da ist die | |
Utopie dann auch schon zu Ende. Einerseits. | |
Andererseits erzählt Jan, wie sich alle Coop-Mitglieder darin bestärken, | |
Auszeiten zu nehmen. „Individuell können wir uns Lohnarbeit und | |
Leistungsdruck nicht entziehen, aber wir können ein Korrektiv füreinander | |
sein, uns gegenseitig klar machen, dass wir mal eine Pause brauchen.“ Dass | |
die Mitglieder beruflich etwas wagen, finanzielle Risiken in Kauf nehmen | |
konnten – DJ oder freiberufliche Journalistin sein, eine Booking-Agentur | |
gründen – hatte mit der Absicherung durch die Coop zu tun. „Das ist jetzt | |
nicht die große Revolution, aber trotzdem zeigen wir, dass es anders geht, | |
und das ist ein tolles Gefühl“, sagt Jan. | |
## 6. Wird das Erbe auch geteilt? | |
Schriftliche Verträge haben die Coop-Mitglieder nicht miteinander | |
geschlossen, auch nicht darüber, was sie machen würden, wenn die Coop | |
auseinanderbricht. Aber es gibt Abmachungen, auf die sich alle geeinigt | |
haben. Zum Beispiel: Die jeweiligen persönlichen Ersparnisse aus der Zeit | |
vor der Coop-Gründung sowie ihr jeweiliges schon ausgezahltes oder zu | |
erwartendes Erbe haben die sieben bislang nicht kollektiviert. Sie haben | |
aber beschlossen, das Geld gemeinsam zu verwalten. Die Rendite gehört | |
allen. | |
Für ihre Rente haben sie sich schon vor Jahren auf ein Säulenmodell | |
geeinigt: Neben der staatlichen Rente haben alle, die prekärer beschäftigt | |
sind, eine private Rentenversicherung abgeschlossen, die vom Kollektiv | |
bezahlt wird. Manche werden Bezüge aus Berufsgenossenschaften erhalten. Die | |
dritte Säule – bislang ist sie sehr klein – besteht aus der Rendite aus dem | |
gemeinschaftlich verwalteten Vermögen. „Das reicht trotzdem nicht, damit | |
wir im Durchschnitt alle über das Existenzminimum kommen“, sagt Zora. | |
Im Urlaub an der Müritz haben die Freund*innen nun gleich zwei große | |
Entscheidungen getroffen. Für den Fall, dass sie eine Wohnung erben, wollen | |
sie diese vermieten und daraus einen Teil ihrer Rente finanzieren. Außerdem | |
wollen sie für die Rente die bislang getrennten Ersparnisse der einzelnen | |
nutzen, in dem Ausmaß, in dem es notwendig ist. „Das bedeutet, dass wir | |
vielleicht in diesem Urlaub unsere Ersparnisse perspektivisch im | |
Einvernehmen kollektiviert haben“, erzählt Norman kurz darauf in einer | |
Sprachnachricht, in seiner Stimme schwingt Euphorie mit. | |
Und wenn jemand vor dem Lebensende aussteigt? Wie viel der Einzelne | |
bekommen würde, ist nicht final geklärt. „Wir vertrauen uns, dass wir das | |
gut hinbekommen werden, sollte es dazu kommen“, sagt Norman. | |
Um später die Rente aufzubessern, könnte ein Wohnungskauf eine gute | |
Investition sein, in der ein Coop-Mitglied wohnen oder die vermietet werden | |
könnte, so sieht es Zora. „Aber ob das überhaupt eine Idee ist, die Leute | |
für umsetzbar halten, ist auch eine Klassenfrage.“ Kein Wunder, findet | |
Zora, dass ausgerechnet sie aus gut betuchtem Elternhaus auf die Idee | |
kommt, aus dem vorzeitig ausgezahlten Erbe ein Haus zu kaufen. | |
Auch in anderen Bereichen spielen Unterschiede der sozialen Herkunft noch | |
immer eine Rolle, findet Zora. Zum Beispiel im mittlerweile gelösten | |
Konflikt, ob Coop-Mitglieder Fernreisen per Flugzeug machen dürfen: | |
„Natürlich ist es für mich einfacher, auf Flugreisen zu verzichten und | |
Urlaub in Bayern zu machen, wenn ich als Kind und Jugendliche schon viel | |
von der Welt gesehen habe.“ Erst viel später habe die Gruppe verstanden, | |
dass im Streit um Flugreisen eine Klassenfrage steckte. Dass die mit | |
bürgerlichem Hintergrund es waren, die sie ablehnten und sich dabei | |
moralisch überlegen fühlten. Und dass die auf die Reisen bestanden, die | |
seit der Coop zum ersten Mal in ihrem Leben finanziell zu Fernreisen in der | |
Lage waren. | |
## 7. Tipps für Neugründer*innen? | |
Die Mitglieder der Finanzcoop haben andere gemeinsame Ökonomien entstehen | |
und wieder verschwinden sehen. „Viele verzetteln sich in Vorabsprachen und | |
fangen dann nie richtig an“, sagt Norman. Der Tipp seiner Finanzcoop sei: | |
„Lieber anfangen, anstatt alles totzuquatschen.“ Man sollte sich darüber | |
verständigt haben, ob man nur Einkommen oder auch Vermögen teilen wolle. | |
Und sich einig sein, wie gut man neue Mitglieder vor deren Aufnahme kennen | |
will. „Aber mehr braucht man für den Start nicht.“ Jan ergänzt: | |
„Sicherheitsbedürfnisse sollte man auch besprechen, bevor man anfängt, und | |
wie man mit Geld umgeht.“ Zum Beispiel betreffe die ganze Coop, wie | |
freigiebig ihre Mitglieder mit Freund*innen seien. Auch über teure Hobbys | |
sollten die neuen Mitglieder im Vorhinein Bescheid wissen. | |
„Damit eine gemeinsame Ökonomie funktioniert, braucht es psychisch | |
einigermaßen stabile Menschen, die in der Lage sind, für sich selbst zu | |
sprechen“, findet Zora. Und man müsse ehrlich miteinander sein – offen | |
kommunizieren, wie viel man besitze, was man verdiene. „Wenn Leute da | |
anfangen, rumzueiern, finde ich das unangenehm.“ Miteinander solidarisch | |
sein – das sei für sie das wichtigste. Alles andere könne danach kommen. | |
„Wir hatten auch keinen Zehnpunkteplan, wir sind einfach losgelaufen.“ | |
13 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.buechner-verlag.de/buch/finanzcoop-oder-die-revolution-in-zeitl… | |
[2] https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Berichte/se… | |
[3] https://www.oecd.org/en/publications/broken-elevator-how-to-promote-social-… | |
[4] https://www.diw.de/de/diw_01.c.891034.de/publikationen/wochenberichte/2024_… | |
[5] /Lebensmittel-und-Energie-teurer/!5983310 | |
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[7] /Justizminister-legt-Konzept-vor/!5987241 | |
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