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# taz.de -- Jurist über Strafvollzug in Berlin: „Das Ganze nannte sich Wohnk…
> Die JVA Tegel bekommt eine neue Teilanstalt. Der Vorsitzende des Berliner
> Vollzugsbeirats, Olaf Heischel, hatte für die Schließung des
> Vorgängerhauses gesorgt.
Bild: Die Teilanstalt II ist immer noch mit Gefangenen belegt
taz: Herr Heischel, die Justizvollzugsanstalt Tegel bekommt ein neues
Hafthaus: den Neubau der Teilanstalt I. Ist das für Sie Grund zum Jubel
oder zur Trauer?
Olaf Heischel: Weder noch. Ich finde es gut, dass es immer weniger
vorsintflutliche Haftplätze gibt. Aber dass neue Gefängnisse gebaut werden,
registriere ich auch mit gemischten Gefühlen.
taz: Sie haben eine besondere Beziehung zu der alten Teilanstalt I. Mit
einer Klage für einen Insassen haben Sie dafür gesorgt, dass das Haus
geschlossen worden ist.
Heischel: Es war Mitte 2004 als der Mandant mit dem Anliegen auf mich
zukam. So wie die heute noch bestehenden Teilanstalten II und III stammte
die Teilanstalt I aus der Kaiserzeit. Der Mandant fand es unsäglich, dass
er dort zwei Monate einsitzen musste.
taz: Was waren das für Bedingungen?
Heischel: Der Haftraum war weniger als 6 Quadratmeter groß. 5,24
Quadratmeter, um genau zu sein. Am Ende des Bettes befand sich die Toilette
– im selben Raum. Wenn man die Arme seitlich ausgestreckt hat, konnte man
von Wand zu Wand fassen. Das Ganze wurde auch Wohnklo genannt. Ich habe
damals noch als Rechtsanwalt gearbeitet und mich bereit erklärt, ihn in
dieser Sache zu vertreten.
taz: Die Klage wurde zunächst abgewiesen.
Heischel: Der Antrag bei der Strafvollstreckungskammer wurde 2005
abgeschmettert. Dann folgte die Beschwerde beim Kammergericht. Die wurde
ungefähr 2007 zurückgewiesen. Daraufhin sind wir vor den
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gegangen. Der hat 2009
entschieden, dass die Unterbringung in dieser Zelle menschenunwürdig ist.
Danach ging die Sache noch mal zurück zum Kammergericht, das hat dann aber
so wie das Landesverfassungsgericht entschieden. Damit war klar, in diesem
Haus dürfen keine Gefangenen mehr untergebracht werden.
taz: Bis die Teilanstalt I geschlossen wurde, verging aber noch einige
Zeit.
Heischel: Erst 2012 war das Haus endgültig leer, bis dahin waren aber keine
Neubelegungen mehr erfolgt. Weil es Streitigkeiten mit dem Denkmalschutz
gab, verzögerte sich der Abriss bis 2018.
taz: Die rot-grün-rote Koalition stoppte dann den zuvor von SPD und CDU
beschlossenen Neubau der Teilanstalt I. [1][Seitdem war das Gelände in der
JVA Tegel eine Brache].
Heischel: Der grüne Justizsenator hatte den Neubau seinerzeit mit ähnlichen
Bedenken gestoppt, wie ich sie grundsätzlich auch habe: Dass man damit neue
Haftplätze schafft. Aber ich finde es wichtiger, die anderen Altbauten auch
leer zu bekommen.
taz: Die Teilanstalt II gilt als schlimmstes Haus in Tegel. Mit 7,8
Quadratmetern sind die Zellen auch dort klein und haben keinen abgetrennten
Sanitärbereich. [2][Sie haben oft darauf hingewiesen, dass unter den
Insassen ein Klima der Gewalt und Unterdrückung herrscht].
Heischel: Der unabhängige Sachverständige Gerhard Meiborg hat 2018 in einem
Gutachten festgestellt, dass in der Teilanstalt II eigentlich keine
Gefangenen mehr untergebracht werden dürften. Das Haus gehöre sofort
geschlossen. Das ist nie passiert. Sogesehen ist der Neubau als Alternative
für die Teilanstalt II überfällig.
taz: Wie entwickeln sich die Gefangenenzahlen in Berlin derzeit?
Heischel: Die Zahlen in der Untersuchungshaft nehmen zu. Es gibt gerade
diverse Großverfahren und die Richterinnen und Richter lassen offenbar
wieder mehr verhaften. Die U-Haftanstalt in Moabit ist zu mehr als 100
Prozent belegt, dort herrscht wirklich große Not.
taz: An dem Spatenstich für den Neubau in Tegel nehmen Justizsenatorin
Felor Badenberg (CDU) und Bausenator Christian Gaebler (SPD) teil. Werden
Sie auch zugegen sein?
Heischel: Ich werde mir das vor Ort anhören. Es wird heißen, dass man
schlimme Haftplätze beseitigt hat und moderne Haftplätze schafft. Aber es
gibt noch viele andere Baustellen. Der Berliner Strafvollzug hängt der
gesellschaftlichen Entwicklung extrem hinterher, was gegen das Gesetz ist.
taz: Auch an den drastischen Einsparungen in der Straffälligen- und
Resozialisierungshilfe hält der Senat fest?
Heischel: [3][Ja, das ist schlimm]. Angeblich, so hieß es, könnten die
Bediensteten im Strafvollzug das Weggefallene auffangen, aber das können
sie mit Sicherheit nicht. Die Angebote wurden früher ja ausgelagert, weil
die Bediensteten so belastet waren. Die Freien Träger sollten das deshalb
übernehmen. Und die wurden jetzt weggekürzt. Das heißt, die
Resozialisierungsarbeit findet entweder gar nicht oder nur zur Hälfte
statt. Das Ergebnis wird sich wahrscheinlich bald zeigen.
taz: Was ist eigentlich aus Ihrem Mandanten von damals geworden?
Heischel: Er sollte auch zum Spatenstich eingeladen werden, aber seit dem
letzten Verfahren habe ich keinen Kontakt mehr. Ich wüsste auch nicht, wie
ich ihn ausfindig machen sollte.
taz: Ob die Resozialisierung in seinem Fall geklappt hat, wissen Sie also
nicht?
Heischel: Nein (lacht), aber ich nehme es an. Er war 2011 längst entlassen
und ich hatte zu dem Zeitpunkt den Eindruck, er könnte es packen.
8 Sep 2025
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Strafvollzug
Resozialisierung
Kriminalität
Social-Auswahl
Gefängnis
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
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